Campusführer Stuttgart-Vaihingen

 

Objekt R:

Institut für Leichte Flächentragwerke

 

 

1. Entstehungsgeschichte und Gebäudedaten

 

Das Grundgerüst für das Institut für leichte Flächentragwerke entstand 1966 als Versuchsbau für den deutschen Pavillon zur Weltausstellung 1967. Im Jahr 1965 wählte eine Jury unter Vorsitz von Egon Eiermann, der für den deutschen Pavillon in Brüssel 1958 zuständig gewesen war, den Entwurf von Frei Otto und Rolf Gutbrod für den deutschen Beitrag in Montreal aus.

 

  Abb. 1 Schnitt Zeltbau, Institut für Leichtbau                     

Die vorgeschlagene neuartige Zeltdachkonstruktion war in dieser Form und Größe zuvor noch nie da gewesen. Aus diesem Grund beantragte Frei Otto im November 1965 unter Berufung auf die vielen Unwägbarkeiten die in solch einer Konstruktion steckten die Mittel für die Errichtung eines Versuchsbaus im Modellmaßstab 1:1 bei der Oberfinanzdirektion Stuttgart.

Die erforderlichen Gelder sowie ein Grundstück auf dem Gelände der Hochschule wurden ihm bereits Anfang Dezember 1965 von der Behörde zugesagt.

Der Versuchsbau wurde in knapp drei Monaten im Februar 1966 fertig gestellt und trug ursprünglich ein provisorisches Kunststoffdach.

Bereits zum damaligen Zeitpunkt reifte in Frei Otto die Idee, für die Rohbaukonstruktion eine weiterführende Nutzung zu finden und diesen für die Hochschule zu erhalten.

Das 1964 neue gegründete Institut für leichte Flächentragwerke befand sich bis dato in relativ beengten Räumlichkeiten auf ca. 200m² in einem bestehenden Institutsgebäude. Daher lag es auf der Hand durch Ertüchtigung des Versuchsbaus neue Räumlichkeiten für das Institut zu schaffen.

Da dem Land 1967 keine Mittel für die Errichtung eines Institutsbaus zur Verfügung standen wurden die Mittel über das Kultusministerium bei der Volkswagenstiftung beantragt.

Nach der Bewilligung wurde 1967 in Eigenregie mit den Arbeiten begonnen.

Hierfür musste der Zeltbau zunächst an den heutigen Standort versetzt werden, weil aufgrund eines Bebauungsvorschlags der Stadt Stuttgart und der damit verbundenen änderung der Erschließungsstraße zum Universitätsbereich, der ursprüngliche Standort nicht mehr geeignet war.

Im Mai 1968 wurde dann Richtfest für die neue Unterkunft gefeiert und Ende des Jahres konnten die neuen Räumlichkeiten bezogen werden.

Die offizielle Einweihung fand im April 1969 statt.

Die zum damaligen Zeitpunkt geschätzten und bewilligten 314.000 Deutsche Mark für den Ausbau sollten bei weitem nicht ausreichen und so mussten weitere 298.068 DM nach der Fertigstellung aufgetrieben werden.

Das Gebäude umfasst inklusive der zusätzlich errichteten Werkstatt und weiteren außen liegenden Nebenräumen einen Brutto Rauminhalt von 3.112m³ und bietet eine Nutzfläche von rund 600m².

Dies entspricht 172,80DM/m³ umbauter Raum, was in dieser Zeit, trotz der Detail und Musteraufwändigen Bauart, genau im Rahmen der üblichen Baukosten für konventionell gebaute Hochschulinstitute lag.

In einem Nachantrag im Dezember 1968 wurde von Frei Otto der fehlende Betrag bei der Volkswagenstiftung beantragt und diese stellte weitere 140.000 DM zur Verfügung. Die restlichen rund 158.000 DM wurden dann schließlich von der Universität durch Umlage auf Haushaltsmittel finanziert.

Das Gebäude wurde im Dezember 1991 von der unteren Denkmalschutzbehörde des Stadtplanungsamtes Stuttgart gemäß §2 Denkmalschutzgesetz als Kulturdenkmal eingestuft. An seiner Erhaltung bestand insbesondere aus wissenschaftlichen Gründen ein öffentliches Interesse.

In Abstimmung mit der Denkmalschutzbehörde und Frei Otto wurde das Gebäude nach 25 Jahren Standzeit im Jahr 1993 einer Generalsanierung unterzogen. Die Maßnahme wurde vom Architekturbüro Dr. Bodo Rasch durchgeführt, der seinerzeit auch bei der Erstellung des Gebäudes beteiligt war. Das Sanierungskonzept sah keine wesentlichen änderungen vor, einzig die industrielle Dachdeckung aus Asbestzement wurde durch eine Schieferdeckung ersetzt. Die Sanierung kostete gemäß HU-Bau von 1992 rund 2.0 Millionen Deutsche Mark. 

 

2. Planungsgemeinschaft zur Weltausstellung 1967

 

Frei Otto, der durch seine innovative Forschung im Bereich der leichten Flächentragwerke mit vielen berühmten Stuttgarter Architekten der damaligen Zeit, sowie im weiteren Verlauf seiner Karriere mit weltweit agierenden Büros zusammenarbeitete, erstellte dieses Gebäude in Kooperation mit Rolf Gutbrod als Versuchsobjekt für den deutschen Pavillon zur Weltausstellung in Montreal 1967. Damals wurde die nationale Konkurrenz erstmals ein wesentlicher Bestandteil auf Weltausstellungen. Die deutsche Teilnahme stand vor dem Hintergrund der politischen und wirtschaftlichen Situation der Bundesrepublik. Die deutsche Teilung war ein Symbol des kalten Krieges geworden und mit dem Pavillon sollte der Tatsache Rechnung getragen werden, dass die Welt mehr eine Welt der Menschen ist, denn eine Welt der Nationen. Der vorgeschlagene Entwurf der beiden Freidenker Otto und Gutbrod wurde diesen Kriterien optimal gerecht.

Das dafür konzipierte Zeltdach hatte ca. 8.000m² zu überdachen und wurde über acht bis zu 38m hohe Stützen als Stahlseilnetz gespannt und mit einem teilweise transparenten und teils opaken Polyestergewebe eingedeckt. Im Inneren wurde eine ein- bis zweistöckige Terrassenlandschaft die streng orthogonal aufgebaut war und im bewussten Gegensatz zu der freien äußeren Form stand, um einen mittigen Teich gruppiert.

Das Gebäude erhielt nach der Expo als eines der schönsten und wirtschaftlichsten Bauwerke den internationalen Architekturpreis „Prix Perret“ und wurde der Stadt Montreal durch die Bundesregierung überlassen.

  Abb. 2 Postkarte des deutschen Pavillons

                                                Einige Jahre später ist der deutsche Pavillon allerdings wieder abgebaut worden.   

 

                                          

 

-       1910 in Stuttgart geboren

-       1929-35 Architekturstudium an den Universitäten Berlin und Stuttgart.

-       1935 Mitarbeit im Büro von Günter Wilhelm in Stuttgart.

-       1936 freier Architekt in Stuttgart.

-       1937-45 diverse Ingenieurstätigkeiten im Baubereich während des zweiten Weltkriegs.

-       1946 erneute Gründung eines Architekturbüros in Stuttgart.

-       1954 Ernennung zum Professor für Innenraumgestaltung an der TH Stuttgart

-       1968 Hauptwohnsitz und Büro wieder in Berlin.

-       1978 übergabe der Architekturbüros in Berlin und Stuttgart an seine Mitarbeiter.

-       1999 in Dornach (Schweiz) gestorben.

 

                                      

 

-       1925 in Siegmar(Sachsen) geboren

-       1948-52 Architekturstudium an der TU Berlin

-       1952 freier Architekt, Gründung eines eigenen Büros in Berlin.

-       1954 Dissertation „Das hängende Dach“ an der TU Berlin

-       1964 Gründung des „Instituts für leichte Flächentragwerke“ an der TH Stuttgart.

-       1965 Ernennung zum Honorarprofessor an der TH Stuttgart.

-       1969 Gründung des Ateliers Warmbronn.

-       1984 Gründungsmitglied des Sonderforschungsbereichs 230        „natürliche Konstruktionen, Leichtbau in Architektur und Natur“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

-       1991 Emeritierung.

 
Frei Otto                                                               Rolf Gutbrod

                                                                                               

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

3. Architektur und Konstruktion

 

Das Zeltdach des Institutsgebäudes wurde nach der Umsetzung an den heutigen Standort vom Rohbau des Versuchszustandes in ein gebrauchsfähiges Gebäude umgewandelt, dass allen Anforderungen eines konventionell hergestellten Baus entsprechen musste. Dazu zählten die bauphysikalischen Ansprüche sowie die natürlichen Belichtungsverhältnisse und nicht zuletzt die Folgekosten durch den Betrieb aus Heizung und Klimatisierung.

Das Grundprinzip des Bauwerks basiert auf einer vorgespannten Stahlseil Netzkonstruktion mit einer Maschenweite von 50cm. Die Seilkonstruktion folgt dem natürlichen Kräfteverlauf und ist aufgrund ihrer Vorspannung in der Lage auftretende Druckkräfte in weniger Zugkraft umzuwandeln. Das Netz wird über einen mittigen Stahlpylon als Hochpunkt gespannt und über mehrere kleinere Randstützen in Zugfundamenten im Boden zurückverankert.

Die eingeschossig raumhohen Randflächen wurden mit einer Isolierverglasung versehen. Das antiklastisch gekrümmte Seilnetz des Daches erhielt einen erstmalig ausgeführten Aufbau aus einer Holzunterkonstruktion mit darüber liegender Wärmedämmung und einer abschließenden Eindeckung aus industriell hergestellten Asbestzementschindeln. Die Schindeln mussten von ihren Abmessungen in der Lage sein der Dachgeometrie zu folgen um die Wasserableitung sicherzustellen.

In dem Bereich an welchem das Dach zum Hochpunkt zusammengeführt wurde kam anstelle des vorbeschriebenen Dachaufbaus eine transparente Plexiglaseindeckung die auch das „Auge“ genannt wird zur Ausführung. Hiermit wird der Raumeindruck im Inneren, welcher durch die frei bewegte Dachlandschaft mit ihren dynamischen Kurven geprägt ist, unterstützt und für eine ausreichende natürliche Belichtung gesorgt.

Der Innenausbau erfolgte ähnlich wie beim Pavillon in Montreal in geradliniger, zum Zeltdach kontrastierender Geometrie mit einer Galerieebene und einigen Niveausprüngen im Erdgeschoss. Dadurch konnte eine Zonierung in dem ansonsten komplett offenen Grundriss erreicht werden um die einzelnen Arbeitsbereiche von einander abzugrenzen.

Die feststehenden Einbauten wurden aus verzinkten Stahlbauteilen hergestellt und mit Holzwerkstoffplatten als Bodenbelag versehen.

Während auf den erdgeschossigen Ebenen einzelne Arbeitsplätze und Versuchsbereiche eingerichtet wurden, fand auf der mittig angeordneten Galerieebene die Institutsbibliothek mit Literatur Arbeitsplätzen und eine kleine Teeküche mit der zugehörigen Sitzecke ihren Platz.

 

                    

 

 

 

 

 

 

Abb. 3  Gesamtansicht zum Ende der Bauphase 1968                Abb. 4 Detailansicht Eingangsbereich

 

Im Rahmen der Umplanungsarbeiten, die durch den neuen Standort notwendig wurden ist die zukünftige Arbeitsweise im Institut nochmals genau überdacht worden. Deshalb wurde zusätzlich eine ausgelagerte, eigenständige Werkstatt mit quadratischem Grundriss erstellt. Der Zusammenschluss wurde mit einem ebenfalls neu hinzugekommenen überdachten Verbindungsbau bewerkstelligt, der zugleich auch noch Lagerräume, Nass – und Installationsbereiche aufnahm. Auf diese Weise konnte eine wesentlich günstigere Raumnutzung im eigentlichen Zeltbereich realisiert werden, da die vorgegebenen Raumhöhen durch Randseil und Fußboden für diese Funktionen eher begrenzt erschienen.

Mit diesem revolutionären Institutsgebäude hat Frei Otto bereits 1968 ein Bauwerk geschaffen, dem viele weitere auf diesem Konzept basierende Konstruktionen nachfolgten. Hier ist vor allem das weltberühmt gewordene Münchner Olympiastadion von 1972 zu nennen.

 

4. Entwicklung des Institutsgebäudes

 

Die Forschungen im Institut für leichte Flächentragwerke standen von Beginn an unter dem Zeichen der übersetzung und dem Lernen aus den von der Natur vorgegebenen Konstruktionsgrundlagen. So wurden unter anderem die Haut der Seifenblase oder Spinnennetze untersucht.

Die Arbeit des Instituts hat schnell weltweite Anerkennung gefunden und in der Washington University in St. Louis wurde mit dem Light – weight – construction – Center schon bald ein Tochterinstitut gegründet.

Eine Wanderausstellung mit den Arbeiten Frei Ottos und seines Instituts wurde 1971 um die Welt geschickt und gastierte zum Beispiel in New York und Moskau.

Gleichermaßen festigten zahlreiche Fachpublikationen im Laufe der Zeit den architekturgeschichtlichen Stellenwert des Instituts sowie den exemplarischen Wert seines Gebäudes.

Nach der Emeritierung Frei Ottos 1991 wurde das Institut von Werner Sobek übernommen und wird seit 2001 durch Verschmelzung mit dem zuvor von Jörg Schlaich geleiteten Institut für Massivbau unter der Bezeichnung Institut für Leichtbau, Entwerfen und Konstruieren weitergeführt.

Nach wie vor wird versucht die Brücke zwischen Leichtbau und Massivbau zu schließen. Diese Bemühungen belegen zum Beispiel die großen Textildächer am Flughafen von Bangkok oder die adaptive Hülle eines Monospace für ein Designzentrum in St. Etienne.

Die Forschungsarbeiten beschäftigten sich schon immer mehr mit dem übermorgen wie dem Morgen und so wird in den letzten Jahren in Kooperation mit dem Luft – und Raumfahrt-Institut über das Bauen im All nachgedacht.   

 

 

Quellenverzeichnis:

 

Stuttgarter Nachrichten, Nr. 106, Zeitungsartikel, vom 04.05 1968, Universititätsbauamt Vaihingen

Akte Bestand 137 Nr. 70, Universitätsarchiv Stuttgart Stadtmitte

Diverse Planunterlagen, sowie Schriftverkehr Frei Ottos und des Universitätsbauamtes, Archiv des Universtätsbauamtes in Vaihingen

Internet: http://www.exposeeum.de (Zugriff 04.08.2008)

Internet: http://www.expo2000.de/geschichte (Zugriff 04.08.2008)

Internet: http://www.alamedainfo.com (Zugriff 25.10.08)

Internet: http://www.dach.de (Zugriff 25.10.08)

Internet: http://www.archinform.net (Zugriff 12.10.08)

Internet: http://www.lt.arch.tu-muenchen.de (12.10.08)

Internet: http://www.uni-stuttgart.de/ilek/ (Zugriff 12.10.08)