Campusführer Stuttgart-Mitte

 

Objekt P:

Seidenstraße 36 (Bosch-Areal)
Philosophie u. a. Fächer

 

 

Der Eisenbetonbau Seidenstraße 36 steht am Rande des Boschareals Ecke Rosenbergstraße und Hoppenlaufriedhof (→ Station O) und ist durch eine Toreinfahrt auf der Seidenstraße betretbar. Die Treppenhäuser und Aufzüge befinden sich jeweils an den beiden Enden des L-förmigen Baus, der unregelmäßig hoch gebaut ist. Das unterkellerte, sechsgeschossige Haus mit eingerücktem oberem Stockwerk ist an beiden Treppenhäusern jeweils noch um ein weiters Obergeschoss erhöht. Im Innenhof befindet sich neben wenigen Parkplätzen des Weiteren eine 535 m² große Werkhalle mit Untergeschoss entlang der Friedhofsmauer. Durch das Sheddach erhält die Halle auch Tageslicht.

 

Der Bau und die Bauzeit

Geplant und in Auftrag gegeben wurde das Gebäude von der Firma Bosch AG. Nachdem die ersten Planungen bereits 1929 begannen, wurde am 18.4.1931 der Bauplan für das "Verkaufsbüro Stuttgart" mit Büros, Verkaufsraum, Lager und Werkstätten mit Untergeschoss und drei Obergeschossen bewilligt. Schon zu diesem Zeitpunkt waren ein Paternoster und Lastenaufzug sowie eine Teilüberdachung des Hofes von der Werkhalle zum Gebäude in Höhe des ersten Stocks geplant. Bis zum 7.6.1935 wurden die Planungen fortgeführt. Im Untergeschoss entstanden eine Umspannstation, ein Kompressorraum, ein Heizungsraum und ein Luftschutzraum. Die Einrichtung eines einsturz- und splittersicheren, gasdichten Schutzraumes wurde auch im November 1933 in einem "Merkblatt über baulichen Luftschutz" durch das städtische Baupolizeiamt Stuttgart angeregt. Die Front zur Seidenstraße wurde zum ursprünglichen Plan um 15 m auf 52,61 m verlängert, die Werkhalle im Innenhof verkleinert und das ganze Gebäude auf fünf bzw. sechs Geschosse aufgestockt. Die abgerundete, überdachte Ecke war verglast und diente als Kundenempfang und Eingang. Die Werkstätten wurden zur Reparatur defekter Geräte genutzt, das Gebäude diente nicht als Produktionsstätte, obwohl es auch unter dem Namen "Kondensatorenbau" geführt wurde. In der Betriebszeitung "Der Bosch-Zünder" von 1935 wird besonders auf die Stein-Waschfontänen in den Umkleideräumen und die Lüftungsanlage hingewiesen, die auf Dachhöhe Frischluft ansaugt und filtert und im Sommer die Luft zusätzlich kühlt oder befeuchtet, im Winter erwärmt. Die verbrauchte Luft "wird am Fußboden abgesaugt und über [das] Dach ausgeblasen" (Dipl. Ing. Staiger, S.79). Auch die Maßnahmen durch viele Fenster viel Tageslicht in den Räumen zu haben und Sonnenschutzvorhänge anzubringen, sollen den Aufenthalt in den Räumen möglichst angenehm gestalten.

 

Einzug der Universität

Auf der Suche nach neuen Räumlichkeiten stieß die Universität 1966 auf das Bosch-Areal und die Seidenstraße 36. Im Krieg wurde der Bau nur mäßig beschädigt, die jahrelange Nutzung auch der Werkstätten setzten dem Bau zu, sodass die in zwei Geschossen öldurchtränkten Wände und Decken ausgebessert werden mussten. Berücksichtigt man, dass der Einzug der Institute für 1970, der Umzug der chemischen und physikalischen Institute nach Stuttgart-Vaihingen für 1974, der Elektrotechnik zwischen 1975/76 bereits vor dem Einzug geplant war und der für 1978 geplante Abriss des Gebäudes zur Erweiterung der Seidenstraße im Raum stand, lässt dies auf eine Übergangslösung schließen.
Im Jahr 1968 kaufte das Land Baden-Württemberg für 16,45 Mio. DM Gebäude der Firma Bosch, 1970 zogen das Physikalische Grundpraktikum, das Anorganisches Praktikum, das Institut für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen, das Institut für Umformtechnik und eine Abteilung der Architektur in die Seidenstraße ein. Kurz zuvor wurde im Untergeschoss ein 15 m² großes Betonfundament zur Aufstellung einer Fräsmaschine für die Steuerungstechnik eingebaut. Unter dem Namen "Umbau eines Fabrikgebäudes in ein Institutsgebäude" wurden ebenso Räume in Büros eingeteilt, im fünften Stock wurden ein Fotolabor und ein Zeichensaal eingerichtet. Im vierten Stock wurde ein chemisches Labor, im ersten Stock ein Physiklabor und im Erdgeschoss eine Versuchshalle und ein Maschinenraum eingebaut, wo sich früher der gläserne Haupteingang befunden hatte. Im dritten und fünften Stock gab es zudem Rechengeräte, ferner wurden Bibliotheken eingerichtet. 1977 wurde ein Säulenschwenkkran (380 V, 50 Hz, 5 MN Tragkraft) für die Umformtechnik eingebaut. Dazu musste ein Betonfundament gegossen werden. Im ehemaligen Eingangsbereich wurde teilweise das Erdgeschoss entfernt. Dafür ragen nun Maschinen aus dem Untergeschoss hoch bis ins Erdgeschoss.

 

Die Seidenstraße 36 heute

In den 80er Jahren wurden weitere Büroräume geschaffen und Sanitäranlagen in jedem Stock eingebaut. Aufgrund seiner Entstehung im Übergang von der Weimarer Republik zum Dritten Reich, welche beiden Epochen auf die Gestaltung des Baus eingewirkt haben, und dank des Paternosters von 1934 steht das Gebäude heute unter Denkmalschutz. Die Verbreiterung der Seidenstraße und somit der Abriss des Hauses ist nicht erfolgt. Heute befinden sich mit dem Institut für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen (ISW) vier Institute in der Seidenstraße 36. Die ersten Abteilungen des heutigen Instituts für Sozialwissenschaften (SOWI) zogen 1998 ein und arbeiten unter anderem zu den Themen Risiko- und Nachhaltigkeitsforschung sowie an Studien zur Wahl- und Einstellungsforschung. Bereits im April 1997 wurde das Philosophieinstitut (PHILO) eingerichtet. Die Schwerpunkte der Forschung liegen beispielsweise in der Metaethik und Handlungstheorie sowie zum Themenbereich Wissenschaftstheorie, Technikphilosophie und Kulturphilosophie. Schon 1986, nach Renovierungsarbeiten am Gebäude in der Mitte der 80er Jahre, zog das Institut für Biomedizinische Technik (BMT) in die Seidenstraße 36. Zu den Instituten gibt es dort neben den Arbeitsräumen und Werkhallen Institutsbibliotheken und einen Computerpool.

Seit Beginn des Sommersemesters 2010 läuft der Paternoster zum Leidwesen der Studenten nicht mehr. Eine kleine Kuriosität ist ein schmaler Kellergang entlang der Seidenstraße, der nicht auf den Bauplänen verzeichnet ist.






 

Quellen:

Archive des Universitätsbauamtes und des Baurechtsamts Stuttgart: besonders Baupläne 1931-35 sowie 1969-70
Baugesuch 5.3.1992
Merkblatt über baulichen Luftschutz 1933
Briefe zw. der Oberfinanzdirektion Stuttgart und der Firma Bosch AG 18.10.1966, 19.6.1969
Aktenvermerk des Universitätsbauamtes Stuttgart 30.7.1969
Protokoll einer Besprechung des Finanzministeriums Baden-Württemberg 31.7.1969

Landesdenkmalamt Baden-Württemberg:

Denkmalbegründung Seidenstr. 36

Zeitschriften:

Dipl. Ing. Staiger: Das neue Boschhaus in Stuttgart, Der Bosch-Zünder, 17. Jahrgang, Stuttgart/Feuerbach, 1935, S.76-79

Internet:

Institut für Sozialwissenschaften: http://www.uni-stuttgart.de/soz/institut/
Institut für Biomedizinische Technik: http://www.bmt.uni-stuttgart.de/
Institut für Philosophie: http://www.uni-stuttgart.de/philo/
Institut für Steuerungswesen für Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen: http://www.isw.uni-stuttgart.de/

Bilder:

7: Der Bosch-Zünder, 1935, S.78