Campusführer Stuttgart-Mitte

 

Objekt O:

Hoppenlau - Friedhof

 

 

1622 schenkte der „Burgermaister zue Stuetgardt“, Magister Artium Johann Kercher (†1628), dem „Armenkasten“ (der späteren Kirchen und Schulpflege) ein Grundstück von knapp einem Hektar, das vor dem damaligen Büchsentor der Stadt  lag und zur Anlegung eines Friedhofs dienen sollte. 1626 wurde mit dessen Ummauerung und Nutzung als Gottesacker begonnen. Mit der Schließung der älteren Friedhöfe im Hospital-Kirchhof (1746), im mittleren Spital-Kirchhof (1785) und im Leonardskirchhof (1798) wurde der Hoppenlau-Friedhof zur wichtigsten Grabstätte der rasch expandierenden Stadt Stuttgart, der seinerseits mehrmals erweitert wurde (so erstmals 1750, dann noch mehrmals zwischen 1811 und 1853).[1] 1834 wurde im südwestlichen Teil ein neueröffneter israelitischer Friedhof angegliedert, was im engen Zusammenhang mit der im 19. Jahrhundert einsetzenden allmählichen Emanzipation der Juden von den seit dem Mittealter bestehenden gesetzlichen Einschränkungen steht.[2]

 

Wegen des rapiden Ansteigens der Bevölkerung zeichnete sich Anfang der 1870er Jahre die Notwendigkeit des Baues eines neuen sogenannten Zentralfriedhofs außerhalb der Stadt auf der Prag ab, mit dessen Eröffnung 1873 die Bestattungen im Hoppenlau-Friedhof (mit Ausnahme einiger weniger Urnenbegräbnisse in schon existierenden Familiengräbern) bald ganz eingestellt wurden. Nach seiner Schließung 1880 wurde der Pflanzenbewuchs im Hoppenlau-Friedhof weitgehend sich selbst überlassen, wodurch um die Jahrhundertwende eine vielfach gerühmte, verwunschene Atmosphäre entstand. Denkmalpflegerische ‚Aufräumaktionen’, Kriegszerstörun­gen 1944/45 und die Verwendung des Friedhofs als Zwischenlagerfläche für eine unmittelbar benachbarte Schutt­wieder­aufbereitungsanlage kurz nach Ende des zweiten Weltkriegs fügten dem Terrain in den Folgejahren schwere Schäden zu, aber die mehrfach geplanten stärkeren Eingriffe in das Gelände unterblieben glücklicherweise, so daß sich der Friedhof heute wieder als eine willkommene Insel der Ruhe inmitten des geschäftigen Treibens der Großstadt erweist.

 

Die noch vorhandenen Grabsteine reichen zwar bis 1654 zurück, haben aber ihren zeitlichen Schwerpunkt in der klassizistischen Periode kurz nach 1800, wobei vorwiegend einheimische Werksteine benutzt wurden, was dem Friedhof bei allen Stilunterschieden der Grabsteine doch ein einheitliches Gepräge gibt. In der verdienstvollen Monographie von Karl Klöpping wurden die Berufe der auf den Grabmalen des Hoppenlaufriedhofs genannten Personen in 10 höfische Randordnungsstufen eingeteilt, die vom Oberhofratspräsidenten und Oberhofmaschall in Rang 1 bis zum Postsekretär und königlichen Kammerdiener in Rang 10 reichen.[3] Daneben finden sich auch Gräber von Diplomaten, Stadtbediensteten, Handwerkern und Gewerbetreibenden. Auch die Inschriften wurden bereits von Literaturwissenschaftlern dokumentiert und analysiert.[4] Von herausragendem gestalterischem Interesse sind zum Beispiel die Gräber des Dichters Wilhelm Hauff (1802–1827) [Nr. 508], des Stuttgarter Literaturpapstes Wolfgang Menzel (1798–1873) [Nr. 1402], des Generalfeldzeugmeisters Freiherr Johann Andreas von Hügel (1735–1807) [Nr. 656] oder des Bildhauers Johann Heinrich von Dannecker (1758–1841) [Nr. 831]. Aus wissenschafts- und technikhistorischer Perspektive erwähnenswert sind u.a. die Gräber des herausragenden Naturforschers und Mediziners, Professors der Chemie und Anatomie an der Hohen Carlsschule in Stuttgart (1790–94), danach Professor der Medizin in Tübingen sowie 1817–39 Leiter der wissenschaftlichen Sammlungen und Staatsrat in Stuttgart, Christian Kielmeyer (1794–1876) [Nr. 454],[5] des Botanikers und Naturforschers Johann Simon Kerner (1755–1830) [Nr. 77] und des Obermedizinalrats, Naturforschers und Paläontologen Georg Friedrich Jäger (1785–1866) [Nr. 143],[6]  des Physikers Carl Heinrich von Holtzmann (1811–65) [Nr. 15] sowie des Professors der Physik und Chemie Friedrich August Ernst Degen (1802–50) [Nr. 828], des Professors der Forstwissenschaft Wilhelm Heinrich von Gwinner (1801–66) [Nr. 1253], des Topographen Ferdinand von Dürrich (1801–75) [Nr. 249], des Obergeometers Daniel Christoph Rieth (1795–1864] [Nr. 1153] und der Geometer Johann Gottfried Knorpp (1792–1844) [Nr. 1246], des Historikers und Sprachforschers Eduard Kausler (1801–73) [Nr. 422] sowie des Hofdomänenrats und Altertumsforschers Christoph Friedrich von Gok (1776–1849) [Nr. 1130], des Pfarrers und Historikers Dr. Hermann Reichlin (1810–73) [Nr. 681] sowie des Professors der Philosophie Heinrich Christoph Sigwart (1789–1844) [Nr. 1331], des Direktors der Kunstgeschichte Carl Friedrich von Scheurlen (1798–1850) [Nr. 780] und des Dekans Friedrich Veiel (1761–1842) [Nr. 1166], des Direktors der Gewerbeschule Carl Marcell Heigelin (1798–1833) [Nr. 1113] und diverser Professoren der hohen Carlsschule als einer weiteren Vorläufer-Institution der späteren Technischen Hochschule bzw. Universität Stuttgart. Auch etliche Verwandte des berühmten Konstrukteurs der Luftschiffe, Ferdinand Graf von Zeppelin (1838–1917), wurden im Hoppenlau-Friedhof begraben [Nr. 922ff. in Abt. 5b sowie Nr. 1172f. in Abt. 7b].

 

Literatur:

Bertold Pfeiffer: Der Hoppenlau-Friedhof in Stuttgart. Eine Studie zum Heimatschutz, Stuttgart: Kohlhammer, 1912 (mit 14 photographischen Bildtafeln sowie einem Verzeichnis von 1200 Grabstätten und biographischen Kurzinformationen)

Friedrich Rimmele: Aus dem Hoppenlau Friedhof in Stuttgart, Stuttgart: Strecker & Schröder 1913 (mit 24 hochwertigen Reproduktionen von Photographien einzelner Grabsteine des Friedhofs um die Jahrhundertwende)

Joachim Hahn: Friedhöfe in Stuttgart. 2. Band: Hoppenlau-Friedhof. Israelitischer Teil, Stuttgart: Klett-Cotta, 1988

Udo Dickenberger, Waltraud & Friedrich Pfäfflin (Hrsg.)  Der Stuttgarter Hoppenlau-Friedhof als literarisches Denkmal, Marbacher Magazin, Sonderheft 59 (1991)

Karl Klöpping: Historische Friedhöfe Alt-Stuttgarts, Bd. 1: Sankt Jakobus bis Hoppenlau, Stuttgart: Klett-Cotta, 1991 (mit der detailliertesten Liste der erhaltenen Gräber und Karten)

Kai Torsten Kanz: Carl Friedrich Kielmeyer – Wegbereiter des Entwicklungsgedankens, in: Helmuth Albrecht (Hrsg.) Schwäbische Forscher und Gelehrte. Lebensbilder aus sechs Jahrhunderten, Stuttgart: DRW-Verlag, 1992, S. 72-76.

Elisabeth Szymczyk-Eggert: Stadtgarten und Hoppenlaufriedhof, in: Gärten und Parks in Stuttgart, Stuttgart: Ulmer, 1993, S. 33-41, 173.



[1] Zur genauen Dokumentation dieser Friedhofsgeschichte samt der Erweiterungen siehe Klöpping 1991, S. 121ff.

[2] Einen knappen überblick zur Geschichte der Juden in Württemberg, denen das Herzogtum Württemberg noch im 18. Jahrhundert bis auf wenige sogenannte Hofjuden verschlossen war, während sich die Zahl der Juden zwischen etwa 500 im Jahr 1800 auf ungefähr 15.000 im Jahr 1828 erhöhte, siehe Hahn 1988, S. 9f. Unter den erhaltenen jüdischen Grabsteinen, die von Hahn 1988 alle mit Berufs- und Familienangaben aufgeschlüsselt wurden, sind keine von Dozenten der Vorläuferinstitutionen der Stuttgarter Universität nachweisbar, was deren damalige akademische Diskriminierung widerspiegelt, die z.B. ihre Verbeamtung ohne vorherige Konversion bis ins ausgehende 19. Jahrhundert hinein unmöglich machte.

[3] Siehe Klöpping 1991, S. 379-382; auf Klöppings Monographie beziehen sich auch alle nachfolgend genannten Nummern der Gräber. Es wäre lohnenswert, eine statistische Analyse der jeweiligen auf den Gräbern vermerkten Lebenszeiten in Verbindung mit dem Rang der betreffenden Person zu machen, um zu sehen, ob beides miteinander korreliert (oder antikorreliert) ist.

[4] Siehe dazu Udo Dickenberger: Poesie auf Gräbern, in: Dickenberger et al. 1991.

[5] über Kielmeyer siehe z.B. Dickenberger et al. 1991, S. 237-241, Kanz 1992.

[6] über Jäger, einen Schüler Kielmayers, der seit 1811 das Amt des Inspektors am kgl. Naturalienkabinett innehatte, von 1822 bis 1842 als Professor für Chemie und Naturwissenschaften am oberen Gymnasium in Stuttgart unterrichtete und insb. in der Paläontologie so nachhaltig wirkte, daß zahlreiche Arten von Versteinerungen nach ihm benannt wurden, siehe z.B. Dickenberger 1991, S. 74-76.