Campusführer Stuttgart-Mitte

 

Objekt N:

Mensa I

von Golnaz Tofighi Boroujeni

 

 

Konzept, Planung und Realisierung

In der Nacht vom 25. auf den 26. Juli 1944 zerstörten britische Bomber die bisherige Mensa an der Kreuzung Schelling-/Seestraße.
Der Wiederaufbau 1932/33 nach Plänen der von Prof. Hugo Keuerleber gebauten und nun zerstörten Mensa erfolgte sehr schnell durch Mitarbeiter des Büros Keuerleber. Er orientierte sich am Entwurf von 1932. Die neue Mensa wurde am 27. Oktober 1948 durch die Stuttgarter Studentenhilfe eingeweiht.
Zwei Jahre später wurde wegen nicht ausreichenden Sitzplatzangebots eine Erweiterung auf bestehendem Gelände beschlossen und mit der Umsetzung zunächst das Büro Keuerleber beauftragt, in Jahr später, 1950, übernahm jedoch Prof. Wilhelm Tiedje die Planung. Die Errichtung des mit großem Speise- und Vortragssaal, Wohn- und Verwaltungsräumen fünfgeschossig konzipierten Gebäudes auf dem ursprünglichen Grundstück wurde aus städtebaulichen Gründen durch die Zentrale für den Wiederaufbau der Stadt Stuttgart und durch Prof. Richard Döcker, innerhalb der damaligen Technischen Hochschule zuständig für die Bauten, abgelehnt.
Ein Jahr später wurde das Gelände des früheren Eberhard-Ludwig-Gymnasiums an der Holzgartenstraße für den Bau einer neuen Mensa und eines Studentenwohnheims vorgeschlagen.

Wilhelm Tiedje (1898 - 1987)
Geboren in Hannover. Studium der Architektur an der TH Hannover und Stuttgart
1922 bis 1925 Assistent bei Prof. Schmitthenner
1931 Professor an der Architekturabteilung der TH Stuttgart
1946 Professor an der Bauingenieurabteilung der TH Stuttgart
1951 bis 1952 Gastprofessor an der Universität Istanbul
1965 Emeritierung

Ludwig Hilmar Kresse (1914 - 1985)
Geboren in Herrenalb im Schwarzwald
Studium der Architektur und Bauingenieur an der TH Stuttgart
1963 Leitung der Abteilung für Hochbau an der Staatlichen Ingenieurschule für Bauwesen
1967 bis 1977 Rektor der Fachhochschule für Technik in Stuttgart

Max Kade (1882 - 1967)
Geboren in Steinbach bei Schwäbisch Hall
Absolvierte kaufmännische Lehre in Deutschland
1904 Auswanderung nach Nordamerika ( Montreal)
1907 Umzug nach New York und Gründung des Arzneimittelunternehmens Seeck & Kade Inc.
1908 Heirat mitAnnette Marie Baudais
In den 1920er Jahren begann das Ehepaar Kade, sein Vermögen für Hilfsbedürftige und soziale Einrichtungen einzusetzen
1929 Ehrenbürgerschaft von Steinbach
1935 Ehrenbürgerschaft von Schwäbisch Hall

Mensa I
Finanzielle Unterstützung bekam das Stuttgarter Studentenwerk als Bauherr für sein Bauvorhaben von verschiedenen Stellen. Den größten Teil, nämlich 1 Mio. DM, übernahm die Max-Kade-Foundation. Das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart übernahmen je 0,5 Mio. DM. Die restlichen 0,7 Mio. DM finanzierte das Studentenwerk selbst durch Verkauf eines Grundstücks.

Nach der Genehmigung des Grundstücks und gesicherter Finanzierung von 2,7 Mio. DM begann im Jahr 1951 die Planung trotz unklarer städtebaulicher Vorgaben wie Baulinien, Baugrenzen etc., die den Bauprozess in die Länge zogen.


Abb. 1: Der erste Spatenstich im Dezember 1954

Der Entwurf stammt im Wesentlichen von Prof. Wilhelm Tiedje, unterstützt von seinem Büropartner Ludwig Hilmar Kresse, der früher Assistent bei Tiedje war.
Rolf Schmalor und Rudi Volz, die ebenfalls im Büro Tiedje tätig waren, übernahmen den Innenausbau der Mensa. Die statischen Berechnungen und die Konstruktionsplanung wurden durch Prof. Dr.-Ing. C. Siegel erstellt. Die Prüfstatik übernahm das Prüfamt für Baustatik des Baurechtsamts Stuttgart.

Das Raumprogramm der Mensa umfasste folgende Bereiche:

1. Speiseräume, wie der große und der kleine Saal mit zusammen 550 Plätzen,

2. Erfrischungsräume wie die Milchbar für Stärkungen zwischendurch, die Schwemme für das abendliche Bier oder die Bar für besondere Anlässe,

3. Die Wirtschaftsbetriebe, vor allem die Küche mit Räumen modernster Ausstattung, wie sie der reibungslose Ablauf eines solchen, relativ komplizierten Massenbetriebs erfordert

4. Die Klubräume, geeignet für geselliges Zusammensein,

5. Das Studentenwerk mit allen notwendigen Nebenräumen einschließlich einer ärztlichen Betreuungsstelle für Studenten.

Dieses Raumprogramm sah alle Platzmöglichkeiten zusammengenommen 821 Sitzplätze vor.

Mensa 1-Baukosten
Neubaukosten Einrichtungskosten
2,7 Mio. DM 0,85 Mio. DM


Baubeschreibung

Der Baukörper
Der Baukörper der Mensa ist ein flach liegender Kubus, der leicht verschwenkt entlang der Holzgartenstraße verläuft. Er bildet den Gegensatz zum vertikal betonten Max-Kade-Studentenheim. Der Eingang befindet sich an der Ostseite.


Abb.2: Die Nordseite der Mensa mit Max-Kade Heim

Der ausgedehnte viergeschossige Baukörper der Mensa ist durch einen überdachten Gang mit dem Max-Kade-Heim verbunden.
Dieser relativ undifferenzierte Baukörper funktionierte trotz seines vielfältigen Raumprogramms und verschiedenster Anforderungen problemlos und sehr gut.

Die Räume des Gebäudes wurden auf insgesamt vier Stockwerken so angeordnet, dass sie sowohl miteinander als auch mit der Aussenanlage und den Terrassen gut verbunden sind.
Bei seinem Entwurf konzentrierte sich Prof. Wilhlem Tiedje vor allem darauf, durch die Raumaufteilung eine zügige Essenausgabe zu ermöglichen, ohne für den Besucher das Gefühl der Massenabfertigung aufkommen zu lassen. Er erreichte dies, indem er die Mensabesucher über verschiedene Aufgänge in zwei unterschiedlich große Speisesäle leitete.


Abb.3: Der östliche Treppenaufgang

Wenn man das Gebäude im Erdgeschoss betritt und die Garderobenhalle erreicht hat, kann man von dort aus über zwei große geschwungene Treppen auf der Nordost- und auf der Südwestseite sowohl in den großen als auch in den kleinen Saal gelangen.
Der große Saal mit einer Höhe von 8 Metern ist zweiseitig von einer umlaufenden Galerie begrenzt.

An der Ostseite des Saals befindet sich eine Bühne, die von der Galerie her eingesehen werden kann.

Auch der kleine Speisesaal befindet sich im 1. Obergeschoss. Eine kleine Cafeteria und vier Gemeinschaftsräume stehen im 2. Obergeschoss zur Verfügung.

Die beliebte Gaststube "Schwemme" erreichte man im Untergeschoß.

Die Fassaden
Der einfache Kubus mit dünnem Flachdach zeigt sich nach Süden und Westen transparent durch die geschosshohen Fenster des großen Saales sowie die filigranen Balkonbrüstungen. Die Ostfassade hingegen ist als weitgehend geschlossene Fassade konzipiert.

Die Konstruktion
Das Gebäude besteht aus einem Stahlbetonskelettbau.
Die Geschossdecken sind überwiegend als Stahlbeton-Rippendecken konstruiert. Das Dach ist als betont leichtes Flachdach mit leichtem Gefälle ausgebildet.


Abb.4: Blick von der Galerie in den großen Saal

Die Materialien
Es wurden bei diesem Gebäude relativ wenige unterschiedliche Materialien verwendet.
Der Stahlbetonskelettbau wurde verputzt. Ursprünglich waren viele Wände im Inneren farbig tapeziert.



Literatur

Bildquellen

Abb.1-4: Festschrift zur Einweihung der Mensa des Stuttgarter Studentenwerks am 16. November 1956, S.17, 26, 29