Campusführer Stuttgart - Mitte

 

Objekt J:

Hörsaalprovisorium

 

 

Einst als Notplan erdacht, um den steigenden Studentenzahlen gerecht werden, bietet auch heute das sogenannte Hörsaalprovisorium in der Breitscheidstraße Raum für große Vorlesungen.

1961 stand die Universität vor dem Problem, keinen geeigneten Raum für Vorlesungen bieten zu können. Nachdem alle Versuche gescheitert waren, in der näheren Umgebung sowie in ganz Stuttgart Großräume anmieten zu können, entschied man sich für einen Neubau.

Zwar zu diesem Zeitpunkt schon das Kollegiengebäude I gebaut worden und das Kollegiengebäude II bereits im Aufbau, dennoch war ersichtlich, dass dies erstens zu lange dauern würde und zweitens auch die so neu entstehenden Räume immer noch zu wenig Kapazität haben würden.

Man brauchte einen Neubau, der – da es ja als Interimslösung gedacht war – weder zu kostenintensiv noch zu zeitintensiv sein sollte. So fiel Ende 1961 die Entscheidung für den freien Standort gegenüber der Universitätsbibliothek als Bauplatz und  das Universitätsbauamt erteilte den Bauauftrag. Leitender Architekt war Friedrich Wagner.

Friedrich Wagner * 1931

„Hausarchitekt der MPA“

Hörsaalprovisorium= Erstling

1958-1960: bei Rohe in Chicago

1961-1971: Leiter des Hochschulbauamts

1971: Selbstständiger

1974: Lehre an der Uni Stuttgart

1980: Honorarprofessor

1990: Mies van der Rohe- Preis

Grundlegend für den Neubau sollte seine Wiederverwertbarkeit werden. Die einzelnen Teile, sollte nach der Nutzungszeit abgebaut werden und in derselben Form oder auch anders an anderer Stelle wieder aufgebaut werden können.. Daher kamen auch Fertigbauteile zum Einsatz, die die Bauzeit so auf 9 Monate reduzierten. Am 1. November 1962 konnten die Räume in Betrieb genommen werden. Die Baukosten lagen mit knapp 1 Millionen DM innerhalb des verfügbaren Budgets.

 

 

 

 

 

 

Angedacht war eine Nutzungsdauer von sieben Jahren. Die Bauvorschriften waren aber dieselben wie bei einem normalen Bau, weshalb der Bau auch heute noch problemlos genutzt werden kann. 

Aber nicht die Wiederverwertbarkeit der vorgefertigten Fertigteile bildet das zentrale Charakteristikum des Baus, sondern vor allem seine ausgefallene Dachkonstruktion.

Das Raumfachwerk – ein dreidimensionales Fachwerk, das die Knotenlasten nur durch die Stabslängenkräfte abtragen kann[1]- bildet den architektonischen Mittelpunkt.

Diese Rohrkonstruktion oder auch Gerippestruktur – leicht montierbar und abbaubar- ist relativ steif, aber gerade für größere Spannweiten geeignet. Sie besteht aus  Stahlstützen ( IP 20) sogenannten Pendelstützen, die in einem Abstand von 1,5 m angebracht sind. IP steht für die internationale Schutzart für elektrische Anlagen, 20 für den Schutz vor Fremdkörpern bis 12mm Größe, kein Schutz vor Wasser und Feuchtigkeit.[2]

Die einzelnen Stahlstützen sind durch kugelförmige Verbindungselemente verbunden.

Sie dienen der Windaussteifung. Diese Stützen sind ohne biegefeste Verbindungen untereinander stabil und bilden Tetraeder und halbe Oktaeder, die in einem quadratischen Raster von 2,5m angeordnet sind. Insgesamt umfasst das Dach eine Fläche von ungefähr 2100m2.

Die Konstruktion ist freitragend und überragend. Es ist belüftet und kalt. Auf der Unterseite des Daches befindet sich eine feuerhemmende, schallisolierende und wärmedämmende Verkleidung aus Silane-Platten. Silane ist eine reaktive Verbindung des Siliziums, die eine wasserabweisende Oberflächenbehandlung ermöglicht.[3] Die Oberseite ist mit Holzbauteilen, in Form von Kassetten, verschalt. Abgeschlossen wird das Dach durch eine doppelte Bitumenlage.

 

Das Dach ist eine Mero-Konstruktion, der gleichnamigen Firma aus Würzburg und erst 1942 von Max Mengeringhausen entwickelt.

Das Hörsaalprovisorium ist ein rechteckiger Bau von 22,5 x 60 m und hat eine bebaute Grundfläche von 1500m2.

Die Fundamente und Betonplatte sowie der massive Kern sind aus Ortbeton. Der massive Kern soll der kostengünstigen  Dämpfung der Maschinengeräusche dienlich sein.

 

Ansicht "durch das Dach" von der Einladungskarte

von Mero zur Einweihung 1.11.1962

 

Die Schmalseiten mit den Eingängen sind komplett verglast mit Doppelglasscheiben ( Thermopen) an den Stahlgerippen.

Die Längsseiten bestehen aus hochkantgestellten Gasbetonplatten, die zwischen dem Fundament und dem Dach eingespannt sind.

Das Gebäude umfasste zum Beginn der Inbetriebnahme zwei Hörsäle. Einen großen Saal mit 700 Plätzen und einen kleinen Saal mit 350 Plätzen. Getrennt werden diese beiden Räume durch einen Kern, der Dozentenräume, Toiletten und die Klimaanlage beherbergt. Die Klimaanlage ist ebenfalls nach dem Konzept der Wiederverwertbarkeit anderen Orts konzipiert.

1990 trug man, den sich verändernden Platzbedürfnissen der Universität Rechung und baute das Hörsaalprovisorium um. Aus den zwei Hörsälen entstanden nun drei. Der kleinere mit 350 Plätzen blieb bestehen und der größere mit vormals 700 Plätzen wurde nun geteilt und es entstanden zwei kleinere mit 226 und 454 Plätzen. 1994 wurde das Dach einschließlich des Blitzschutzes saniert und 1997 gab es einen Austausch der Klimaanlage.

Der Architekt Friedrich Wagner folgt mit dem Konzept der klaren Linien und Strukturen der Tradition von Mies van der Rohe, der als einer bedeutesten Architekten der Moderne, das Prinzip der Stahlkonstruktionen und der Verglasung einführte.

 

Literatur:

- Norbert Becker; Franz Quarthal(Hrsg.): Die Universität Stuttgart nach 1945. Stuttgart 2004.

- Stefan Behling: Friedrich Wagner. Bauten für die Universität. Baunach 2007.

- Klaus Schmiedek: Universitätsbauten- Hörsaalprovisorium. In: Stuttgarter Unikurier.

  Nr.80/1998.



[1]www.bauwerk-verlag.de/baulexikon/index.shtml?RAUMFACHWERK.HTM ( Zugriff  14.7.08)

[2] www.das-baulexikon.de/abklexikon/abklex.php?suchbuchstabe=i  ( Zugriff  14.7.08)

[3] www.das-baulexikon.de/lexikon/Silane.htm (Zugriff  14.7.08)