„Die Energiewende als System gestalten“

8. September 2015, Nr. 70

Neuer Forschungsverbund „Stuttgart Research Initiative on Integrated Systems Analysis for Energy” (STRISE) gegründet

Damit die Energiewende gelingen kann, reicht es nicht aus, effizient und nachhaltig Energie bereitzustellen. Es geht vielmehr um die Gestaltung eines langfristigen und komplexen Transformationsprozesses, bei der die technische, ökonomische, ökologische und soziale Dimension integriert betrachtet wird. Dies kann die Systemanalyse leisten. Am Standort Stuttgart sind mehrere international renommierte Forschungseinrichtungen auf diesem Gebiet tätig. Sie werden künftig ihre Kompetenzen bündeln, um das für unsere Gesellschaft und Volkswirtschaft so bedeutende Projekt „ Energiewende“ wissenschaftlich fundiert und umfassender als bislang zu begleiten. Hierzu wurde am 1. September 2015 die „Stuttgart Research Initiative on Integrated Systems Analysis for Energy” (STRise)“ gegründet. Partner sind die Institute für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) und für Energiespeicherung (IES) sowie das Zentrum für interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung (ZIRIUS) der Universität Stuttgart, das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) und das Institut für Technische Thermodynamik (ITT) des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR).

Wissenschaftsministerin Theresia Bauer begrüßte die Initiative von Universität Stuttgart, DLR und ZSW und betonte, dass die Energiewende nur gelingen kann, wenn sie ganzheitlich und systemisch angegangen wird. „Der neue Forschungsverbund setzt mit der Betrachtung des Gesamtsystems genau an der richtigen Stelle an und verbindet in vorbildlicher Weise grundlagen- und anwendungsorientierte Forschungskompetenzen über institutionelle und disziplinäre Grenzen hinweg.“

„Durch die Bündelung der Kräfte der beteiligten Institutionen schaffen wir mit dem neuen Verbund STRise die Möglichkeit, in der Systemforschung Fragestellungen der Energiewende umfassender zu betrachten, als das bislang wissenschaftlich fundiert möglich war. Ziel ist es, neben ökologischen und ökonomischen Aspekten auch gesellschaftliche Faktoren integral in die Analysen mit einzubeziehen“, so der Leiter des IER und Sprecher des Verbunds seitens der Universität Stuttgart, Prof. Dr. Kai Hufendiek. Beispiele sind die Akzeptanz neuer Technologien oder Präferenzen in der Bevölkerung beziehungsweise die Rolle verschiedener gesellschaftlicher Gruppierungen in Veränderungsprozessen. „Damit leisten die Partner einen wichtigen Beitrag zur erfolgreichen Ausgestaltung des Energiesystems der Zukunft mit dem Ziel, die Zugkraft des Landes Baden-Württembergs als Leitregion für die Energiewende weiter zu stärken und die internationale Sichtbarkeit zu erhöhen“, so Hufendiek weiter.

Grundlage der Arbeit von STRise ist ein weiter gefasstes systemisches Verständnis, das die zunehmende Komplexität des Energiesystems und dessen Wechselwirkungen besser erfasst. Dabei stützt es sich nicht nur auf technische Bausteine, sondern betrachtet integrativ auch das Verhalten und Zusammenwirken der verschiedenen Akteure. Einbezogen werden auch jene Wirkungsketten, die durch exogene Veränderungen wie die internationale Entwicklung der Energiemärkte oder des technischen Fortschritts getrieben werden, oder durch endogene Veränderungen, zum Beispiel in Folge politischer Maßnahmen.

Konkret fokussiert der Verbund vier eng miteinander verwobene Themencluster:

Der Cluster „ Akteure der Energiewende“ stellt sozio-techno-ökonomische Fragestellungen in den Mittelpunkt. Er fragt zum einen, wie die bisher hohe, aber abstrakte Akzeptanz der Energiewende in der Bevölkerung erhalten werden kann, wenn ökologische oder ästhetische „Nebenwirkungen“ von Windparks oder Speicheranlagen die Lebensqualität vor der eigenen Haustüre tangieren. Zum zweiten soll untersucht werden, wie die aktive Kooperation der Bürgerinnen und Bürger an der Energiewende verbessert werden kann, beispielsweise im Bereich der Gebäudesanierung, durch den Verzicht auf Energiefresser im Haushalt oder durch ein geändertes Mobilitätsverhalten. Auch die Rolle von Organisationen (Unternehmen, Energiegenossenschaften, Verbände, NGOs) und der politischen Akteure wird in diesem Cluster analysiert.

Im Zentrum des Clusters „Weiterentwicklung der Energiesysteme“ stehen die technisch-strukturellen Anforderungen an die weitere Ausgestaltung des Energiesystems. Wesentliche Pfeiler einer solchen künftigen Architektur sind der Ausbau der Versorgungsnetze, einzelner Techniken der Energiebereitstellung oder intelligent vernetzter dezentralisierter beziehungsweise regionalisierter Strukturen. Berücksichtigt werden auch Interdependenzen mit den Nachbarländern und der globale energiewirtschaftliche Kontext. Für ausgewählte Länder und Regionen soll ein internationales Energiewende-Monitoring durchgeführt werden mit dem Ziel, frühzeitig relevante Zukunftsmärkte und Benchmarks für die heimische Wirtschaft zu identifizieren.

Moderne Informations- und Kommunikationstechnologie ermöglicht völlig neue Steuerungs- und Integrationskonzepte im Rahmen intelligenter dezentraler Energiesysteme. Solche unter dem Schlagwort ‚Smart Grids‘ und ‚Smart Energy‘ entwickelten Systeme zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass die Erzeugungs- und Bereitstellungsseite eng mit der Nachfrageseite integriert wird und entsprechend interagiert. Der Cluster Operatives Systemmanagement entwickelt neue, intelligente Konzepte und Algorithmen, um solche Systeme unter Berücksichtigung des Verbraucherverhaltens effizient zu steuern und zu nutzen. Neben der Integration der Gebäudeenergieversorgung in Industrie, Gewerbe und im Wohnbereich spielt hier auch die Integration intelligenter Fertigungssteuerungen unter dem Stichwort „Industrie 4.0“ eine wesentliche Rolle.

Die Energiewende verändert nicht nur das Energiesystem selbst, sondern das ganze Wirtschafts- und Gesellschaftssystem. Es kann es zu erheblichen Umverteilungseffekten kommen, beispielsweise zwischen verschiedenen Branchen oder Regionen. Bei privaten Haushalten können Preiseffekte zu einem veränderten Nachfrageverhalten oder gar in eine drohende Energiearmut führen. Andererseits ist die Energiewende ein Innovationstreiber par excellence, der die heimische Wirtschaft stärkt und sogar auf die Weltwirtschaft ausstrahlt. Mit diesen weitreichenden Effekten beschäftigt sich der Cluster Wirkungen und Chancen. Hier gilt es, die vielfältigen Effekte und Interdependenzen innerhalb des Gesamtsystems zu erfassen und zu bewerten, um die Steuerung des Energiewende-Prozesses mittels politischer Maßnahmen zu ermöglichen, die Innovationskraft zu stärken und Fehlentwicklungen vorzubeugen.

Weitere Informationen:

Universität Stuttgart:

Prof. Dr. Kai Hufendiek, Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) , Tel. 0711/685 87801, E-Mail: kai.hufendiek@ier.uni-stuttgart.de

Prof. Dr. Ortwin Renn, Zentrum für interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung der Universität Stuttgart (ZIRIUS), Tel.: 0711/685-83971, E-Mail: sekretariat.renn@sowi.uni-stuttgart.de

Prof. Dr. André Thess, Institut für Energiespeicherung (IES)

Zentrum für Sonnenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW)

Prof. Dr. Frithjof Staiß – Forschungsbereich Energiepolitik und Energieträger, Tel. 0711/7870-0, E-Mail: frithjof.staiss@zsw-bw.de

DLR – Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V.

Prof. Dr. André Thess - Institut für Technische Thermodynamik (ITT), Tel. 0711/6862-358 E-Mail: Andre.Thess@dlr.de

 
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