Heidegger und die Postmoderne: Geschichte einer Irreführung?

26. August 2015, Nr. 67

Philosophin Dr. Sidonie Kellerer kommt an Universität Stuttgart

Die Philosophin Dr. Sidonie Kellerer von der Universität Siegen erhält für ihre Forschung über Heideggers Verhältnis zum Nationalsozialismus von der VolkswagenStiftung ein sogenanntes „ Freigeist-Fellowship“ mit einem Fördervolumen von 681.900 Euro. Für ihr auf fünf Jahre angelegtes Forschungsvorhaben mit dem Titel „ Heidegger and Postmodernity: The Story of a Delusion?” wird die Wissenschaftlerin im Jahr 2016 an das Stuttgart Research Centre for Text Studies der Universität Stuttgart wechseln und dort eine Nachwuchsgruppe zusammenstellen.

Die Beziehung des Philosophen Martin Heidegger zum Nationalsozialismus wirft auch über 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs viele Fragen auf: Verherrlichte er dessen Ideologie? Oder stand er ihm gar kritisch gegenüber? Obwohl Heidegger bis 1945 Mitglied der NSDAP war, versuchte er die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass er die nationalsozialistische Weltanschauung bereits 1934 kritisch sah. Besonders in den letzten Jahren traten an dieser Darstellung jedoch begründete Zweifel auf: So konnte die Wissenschaftlerin Dr. Sidonie Kellerer anhand des Vortrages "Die Zeit des Weltbildes", erstmals 1950 veröffentlicht, dass zahlreiche Passagen nachträglich so modifiziert wurden, dass die ursprüngliche Apologie des Nationalsozialismus nunmehr als Kritik am Regime gedeutet werden konnte. Die 2014 erschienenen ‚Schwarzen Hefte’ mit persönlichen Aufzeichnungen Heideggers bestätigen zudem, wie tief verankert in seiner Philosophie Rassismus und Nationalsozialismus waren und blieben.

In ihrem Freigeist-Projekt "Heidegger und die Postmoderne: Geschichte einer Irreführung?" möchte Kellerer nun erstmalig durch einen systematischen Vergleich der Manuskripte aus der Zeit des Dritten Reiches mit den später veröffentlichten Texten untersuchen, in welchem Umfang diese nachträglich verändert wurden. Ebenso erforscht sie am Beispiel der Philosophie Jacques Derridas den erstaunlichen Erfolg, den Heideggers vermeintliche Kritik am Totalitarismus in Frankreich nach 1945 erfuhr. Die Kombination dieser philologischen Analyse mit philosophischer Interpretation und historischer Kontextualisierung wird die anhaltende Kontroverse um Heidegger auf dokumentierte Fakten stützen und so die doppelte Frage klären, worin Heideggers Denken in den Jahren des Nationalsozialismus bestand und worauf das Denken der Derrida-Schule bewusst oder unbewusst aufbaut.

Die Freigeist-Fellowships der VolkswagenStiftung richten sich an exzellente und zugleich außergewöhnliche Forscherpersönlichkeiten, die sich zwischen etablierten Forschungsfeldern bewegen und unkonventionelle, risikoreiche Wissenschaft betreiben möchten. Mit einem modulartig aufgebauten flexiblen Förderangebot erhalten Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler mit bis zu fünfjähriger Forschungserfahrung nach der Promotion die Möglichkeit, ihre wissenschaftliche Tätigkeit mit großem Freiraum und klarer zeitlicher Perspektive zu gestalten und eigene, originelle Ideen umzusetzen. In der aktuellen zweiten Ausschreibungsrunde konnten acht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das internationale Gutachtergremium überzeugen, davon vier aus den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften. Das Gesamtfördervolumen beträgt 5,3 Millionen Euro.

Weitere Informationen:

Dr. Sidonie Kellerer, Universität Stuttgart, Stuttgart Research Centre for Text Studies E-Mail: sidonie.kellerer (at) uni-siegen.de

Prof. Dr. Claus Zittel, Universität Stuttgart, Stuttgart Research Centre for Text Studies Tel. 0711/685-84391, E-Mail: claus.zittel (at) ilw.uni-stuttgart.de

Andrea Mayer-Grenu, Universität Stuttgart, Abt. Hochschulkommunikation, Tel. 0711/685-82176, E-Mail: andrea.mayer-grenu (at) hkom.uni-stuttgart.de

 
Dr. Sidonie Kellerer (Privatfoto)
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