Architektur und Städtebau spielten in der Selbstdarstellung des NS-Regimes eine
Schlüsselrolle, und dementsprechend groß war auch ihre macht- und symbolpolitische Bedeutung. Zwei
Wissenschaftler der Uni Stuttgart, Prof. Tilman Harlander (Institut für Wohnen und Entwerfen) und
Prof. Wolfram Pyta (Historisches Institut) haben nun ein Buch herausgebracht, das jene „Führerworte
aus Stein“ in 14 neuen Forschungsbeiträgen und zahlreichen Bildern dokumentiert. Der Band mit dem
Titel „ NS-Architektur: Macht und Symbolpolitik“*) beleuchtet auch die Spuren der NS-Architektur in
Stuttgart sowie die Rolle der eng mit der Fakultät für Bauwesen an der damaligen Technischen
Hochschule Stuttgart verbundenen Architektur-Reformbewegung „Stuttgarter Schule“. Die Beiträge
basieren auf den Ergebnissen eines gleichnamigen, durch das Internationale Zentrum für Kultur- und
Technikforschung geförderten Symposiums an der Universität Stuttgart im Jahr 2009.
Das Baugeschehen der NS-Zeit erschöpfte sich keineswegs in der anfänglich
dominierenden Blut-und-Boden-Architektur und neoklassizistischen Staats- und Repräsentationsbauten
Troostscher oder Speerscher Prägung. Forschungsarbeiten haben bereits seit den 1980er Jahren die
Aufmerksamkeit auf die große Bedeutung funktionalistischer, zum Teil „moderner" Planungskonzepte
und Zweckarchitekturen gelenkt. Auf der Basis zusätzlich erschlossener Archivbestände und Nachlässe
entstand in jüngster Zeit eine Vielzahl, wichtige Forschungslücken schließender Arbeiten zur
Bedeutung von Architektur und Städtebau im nationalsozialistischen Deutschland und im
faschistischen Italien, zu NS-Planungsinstitutionen wie der Deutschen Arbeitsfront (DAF) oder der
Deutschen Wohnungsakademie, zu NS-(Raum-)Planungspolitiken im Osten oder im Elsass, zu Architekten
wie Paul Bonatz, dem Büro Rimpl oder dem Olympischen Dorf von 1936, aber auch zu den Stuttgarter „
Neugestaltungsplänen". Im Fokus der Beiträge steht der schon im Titel angesprochene Zusammenhang
von Architektur, Macht und Symbolpolitik. Ausgangspunkt ist dabei die architektonische
Formensprache, mit der Herrschaft repräsentiert und bestimmte Politikfelder architektonisch und
städtebaulich zum Ausdruck gebracht wurden.
Sehr differenziert setzt sich die Publikation auch mit der Rolle der „Stuttgarter
Architektur-Schule" und ihren Protagonisten – darunter die Stuttgarter Professoren Paul
Schmitthenner (Baukonstruktionslehre und Baukostenberechnung) und Paul Bonatz (Entwerfen und
Städtebau) - auseinander. Die in der „Arts-and-crafts“-Bewegung, der Gartenstadt-Idee und dem
Werkbund begründete Reformschule entfaltete ihre stärkste Wirkung in den Jahren zwischen 1919 und
1945 und damit in zwei politisch höchst unterschiedlichen Etappen: 14 Jahren Republik folgten 12
Jahre Diktatur und damit Einengung und der Zwang zur Unterordnung. Während die Studierenden die
neuen Machthaber überwiegend begrüßten, war die Professorenschaft gespalten: Schmitthenner und
andere traten der NSDAP bei, moderne Architekten wie Prof. Hugo Keuerleber dagegen sahen sich
Repressalien ausgesetzt. Andere wie etwa der Bauhistoriker Prof. Ernst Fiechter kehrten der
Hochschule den Rücken und wurden durch Parteigenossen ersetzt.
Auch künstlerisch setzte die Machtergreifung der Pluralität und damit auch der
Kreativität der frühen Jahre ein jähes Ende. Die einzelnen Vertreter der Stuttgarter Schule gingen
mit diesem Spannungsfeld durchaus unterschiedlich um: Während Bonatz zum Neoklassizismus der späten
Monarchie zurückkehrt und diesen monumental eskalieren lässt, treten an Schmitthenners
Großprojekten der NS-Zeit Gestaltungsmerkmale wie monumentale Arkaden, Eckquaderungen oder barocke
Sprenggiebel auf. Prof. Walter Körte wiederum konnte zwar 1933 noch das modernste Haus der
Kochenhofsiedlung bauen, wurde jedoch als „bolschewistischer Baukünstler“ beschimpft und reichte
nach einem Vorlesungsboykott resigniert die Kündigung ein.
*) Tilman Harlander, Wolfram Pyta (Hrsg.) NS-Architektur: Macht- und Symbolik, Schriftenreihe
des Internationalen Zentrums für Kultur- und Technikforschung der Universität Stuttgart, Band 19,
LIT-Verlag, ISBN 978-3-643-10944-6, 29,90 Euro
Weitere Informationen:
Prof. Tilman Harlander, Institut für Wohnen und Entwerfen, Tel. 0711/685–8
4200,
Prof. Wolfram Pyta, Historisches Institut, Abteilung Neuere Geschichte, Tel. 0711
/ 685-83450,