Führerworte aus Stein

8. Februar 2011, Nr. 12

Neuerscheinung „NS-Architektur: Macht und Symbolpolitik“

Architektur und Städtebau spielten in der Selbstdarstellung des NS-Regimes eine Schlüsselrolle, und dementsprechend groß war auch ihre macht- und symbolpolitische Bedeutung. Zwei Wissenschaftler der Uni Stuttgart, Prof. Tilman Harlander (Institut für Wohnen und Entwerfen) und Prof. Wolfram Pyta (Historisches Institut) haben nun ein Buch herausgebracht, das jene „Führerworte aus Stein“ in 14 neuen Forschungsbeiträgen und zahlreichen Bildern dokumentiert. Der Band mit dem Titel „ NS-Architektur: Macht und Symbolpolitik“*) beleuchtet auch die Spuren der NS-Architektur in Stuttgart sowie die Rolle der eng mit der Fakultät für Bauwesen an der damaligen Technischen Hochschule Stuttgart verbundenen Architektur-Reformbewegung „Stuttgarter Schule“. Die Beiträge basieren auf den Ergebnissen eines gleichnamigen, durch das Internationale Zentrum für Kultur- und Technikforschung geförderten Symposiums an der Universität Stuttgart im Jahr 2009.
Das Baugeschehen der NS-Zeit erschöpfte sich keineswegs in der anfänglich dominierenden Blut-und-Boden-Architektur und neoklassizistischen Staats- und Repräsentationsbauten Troostscher oder Speerscher Prägung. Forschungsarbeiten haben bereits seit den 1980er Jahren die Aufmerksamkeit auf die große Bedeutung funktionalistischer, zum Teil „moderner" Planungskonzepte und Zweckarchitekturen gelenkt. Auf der Basis zusätzlich erschlossener Archivbestände und Nachlässe entstand in jüngster Zeit eine Vielzahl, wichtige Forschungslücken schließender Arbeiten zur Bedeutung von Architektur und Städtebau im nationalsozialistischen Deutschland und im faschistischen Italien, zu NS-Planungsinstitutionen wie der Deutschen Arbeitsfront (DAF) oder der Deutschen Wohnungsakademie, zu NS-(Raum-)Planungspolitiken im Osten oder im Elsass, zu Architekten wie Paul Bonatz, dem Büro Rimpl oder dem Olympischen Dorf von 1936, aber auch zu den Stuttgarter „ Neugestaltungsplänen". Im Fokus der Beiträge steht der schon im Titel angesprochene Zusammenhang von Architektur, Macht und Symbolpolitik. Ausgangspunkt ist dabei die architektonische Formensprache, mit der Herrschaft repräsentiert und bestimmte Politikfelder architektonisch und städtebaulich zum Ausdruck gebracht wurden.
Sehr differenziert setzt sich die Publikation auch mit der Rolle der „Stuttgarter Architektur-Schule" und ihren Protagonisten – darunter die Stuttgarter Professoren Paul Schmitthenner (Baukonstruktionslehre und Baukostenberechnung) und Paul Bonatz (Entwerfen und Städtebau) - auseinander. Die in der „Arts-and-crafts“-Bewegung, der Gartenstadt-Idee und dem Werkbund begründete Reformschule entfaltete ihre stärkste Wirkung in den Jahren zwischen 1919 und 1945 und damit in zwei politisch höchst unterschiedlichen Etappen: 14 Jahren Republik folgten 12 Jahre Diktatur und damit Einengung und der Zwang zur Unterordnung. Während die Studierenden die neuen Machthaber überwiegend begrüßten, war die Professorenschaft gespalten: Schmitthenner und andere traten der NSDAP bei, moderne Architekten wie Prof. Hugo Keuerleber dagegen sahen sich Repressalien ausgesetzt. Andere wie etwa der Bauhistoriker Prof. Ernst Fiechter kehrten der Hochschule den Rücken und wurden durch Parteigenossen ersetzt.
Auch künstlerisch setzte die Machtergreifung der Pluralität und damit auch der Kreativität der frühen Jahre ein jähes Ende. Die einzelnen Vertreter der Stuttgarter Schule gingen mit diesem Spannungsfeld durchaus unterschiedlich um: Während Bonatz zum Neoklassizismus der späten Monarchie zurückkehrt und diesen monumental eskalieren lässt, treten an Schmitthenners Großprojekten der NS-Zeit Gestaltungsmerkmale wie monumentale Arkaden, Eckquaderungen oder barocke Sprenggiebel auf. Prof. Walter Körte wiederum konnte zwar 1933 noch das modernste Haus der Kochenhofsiedlung bauen, wurde jedoch als „bolschewistischer Baukünstler“ beschimpft und reichte nach einem Vorlesungsboykott resigniert die Kündigung ein.
 
*) Tilman Harlander, Wolfram Pyta (Hrsg.) NS-Architektur: Macht- und Symbolik, Schriftenreihe des Internationalen Zentrums für Kultur- und Technikforschung der Universität Stuttgart, Band 19, LIT-Verlag, ISBN 978-3-643-10944-6, 29,90 Euro
 
Weitere Informationen:
Prof. Tilman Harlander, Institut für Wohnen und Entwerfen, Tel. 0711/685–8 4200,
Prof. Wolfram Pyta, Historisches Institut, Abteilung Neuere Geschichte, Tel. 0711 / 685-83450,
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