Neues Fertigungsverfahren für kostengünstigere Endoprothesen

23. Juli 2012, Nr. 52

Keramische Implantate für Jedermann

Wenn Politiker, wie zuletzt Gesundheitsminister Daniel Bahr, laut darüber nachdenken, den Einsatz künstlicher Hüft- oder Kniegelenke aus Kosten-/Nutzenabwägungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen künftig zu begrenzen, folgt das Dementi meist auf dem Fuß. Dennoch ist es von großer gesellschaftlicher Bedeutung, die Kosten für dauerhafte Implantate wie etwa Gelenkprothesen/Endoprothesen zu senken, wenn die Versorgung in Deutschland gesichert und Endoprothesen auch in Entwicklungs- und Schwellenländern erschwinglich werden sollen. Wissenschaftler des Instituts für Fertigungstechnologie keramischer Bauteile (IFKB) der Universität Stuttgart arbeiten an einer neuen Technologie auf Basis des keramischen Spritzgießens, mit der die Herstellkosten solcher Implantate deutlich gesenkt werden können.

Herkömmlich werden bei Hüft- und Knieoperationen routinemäßig Implantate aus Spezialstahl und einem Kunststoffgegenkörper aus Niederdruck-Polyethylen (NDPE) eingesetzt. Diese sind zwar vergleichsweise kostengünstig, ihre Gebrauchsdauer ist jedoch je nach Belastung auf zehn bis 15 Jahre begrenzt. Deutlich langlebiger sind keramische Implantate, deren überlegene Werkstoffeigenschaften eine Reduktion des Verschleißes und eine bessere Biokompatibilität (Verträglichkeit) gewährleisten, wodurch Entzündungen im Gewebe vermindert und die Implantatlockerung verlangsamt werden. Zudem wachsen sie schneller ein und die Patienten kommen nach einer Operation rasch wieder auf die Beine. Ihr Nachteil: Die Herstellung und Endbearbeitung der spiegelglatt geschliffenen, harten und zähen Keramik erfordert eine Vielzahl an Arbeitsschritten und ist dementsprechend teuer.
Dieser Problematik hat sich Mohammed Abou El-Ezz am Institut für Fertigungstechnologie keramischer Bauteile (IFKB) im Rahmen seiner Doktorarbeit in der Graduate School of Excellence for advanced Manufacturing Engineering Stuttgart (GSaME) angenommen. Der 26-jährige Absolvent der German University of Cairo (GUC) versucht, durch einen deutlich preiswerteren Fertigungsweg Keramikimplantate einem größeren und weniger vermögenden Patientenkreis zugänglich zu machen. Die Arbeit wird durch die Hans-Böckler-Stiftung finanziert und durch Institutsleiter Prof. Rainer Gadow sowie den Leiter der Abteilung Hochleistungskeramiken, Dr. Frank Kern, betreut.
 
Grundlegend neuer Ansatz
Um die erforderlichen hohen Qualitäten implantatkeramischer Produkte mit den Kostenzielen für einen breiteren Markt in Einklang zu bringen, wählen die Wissenschaftler einen grundlegend neuen Ansatz entlang der gesamten Prozesskette von der Rohstoffkonditionierung über das Formgebungsverfahren bis zur Endbearbeitung. Ihr Ziel ist es, durch die Anwendung des keramischen Spritzgießens (CIM) Implantate in einer Geometrie herzustellen, die der Endkontur schon sehr nahe kommt. Dieses in der Fachsprache als „Net-shape-Formgebung“ bezeichnete Konzept in Verbindung mit dem CIM-Verfahren macht es möglich, die Taktzeit sowie die kostspielige Nacharbeit erheblich zu reduzieren. Allerdings erfordert das Verfahren einen höheren Anteil an Bindemittel und Hilfsstoffen, wodurch sich die Wärmebehandlung und die chemische Technik komplizierter gestalten.
Im Rahmen des Projektes wurden zunächst hochfeste und zähe Mischoxidkeramiken entwickelt, die für die Spritzgießtechnik geeignet sind: Aluminiumoxid-Zirkonoxid-Nanokomposite (ZTA: zirconia toughened alumina). Hinter der Abkürzung verbergen sich keramische Hochleistungswerkstoffe für biomedizinische Anwendungen, die eine hohe Festigkeit, Biokompatibilität und Härte besitzen. Dadurch sind sie metallischen Werkstoffen in orthopädischen Anwendungen überlegen. Die üblichen Nachteile der Keramiken, insbesondere die Sprödbruchanfälligkeit, können durch Verstärkungsmechanismen auf der mikroskopischen Ebene des Werkstoffgefüges vermieden werden, welche zu einer Steigerung der Bruchzähigkeit, Härte und Dauerfestigkeit führen. Auf der Basis detaillierter Analysen der Bauteilgefüge und der Versagenskriterien sollen die Prozesse und Materialien schließlich so optimiert werden, dass man preiswerte Implantate von hoher Zuverlässigkeit in großen Stückzahlen herstellen kann.
 
Erste Versuche sind vielversprechend
Bereits im Frühjahr wurden am IFKB erste spritzgegossene Hüftgelenksimplantate aus ZTA-Verbundkeramik hergestellt, wobei eine Spritzgußform zum Einsatz kam, die das deutsch-ägyptische Unternehmen HBW Gubesch Egypt in Kairo im Rahmen eines Technologietransferprojektes konstruiert und gefertigt hat. „Die Ergebnisse sind vielversprechend und lassen hoffen, dass diese neue Prozessroute für keramische Implantate dazu beitragen kann, die unmittelbaren Herstellkosten dieser Produkte um bis zu 30 Prozent zu senken“, freuen sich Mohammed Abou El-Ezz und sein Doktorvater Prof. Gadow. „Wir gehen davon aus, dass sich dadurch der Kreis der Patientengruppen, die von dieser modernen Werkstofftechnologie in der Medizintechnik profitieren, in der Zukunft erheblich erweitert.“ Durch die Erhöhung der Lebensdauer der Prothesen steigt nicht nur die Lebensqualität der einzelnen Betroffenen. Auch die Gesundheitskosten werden real gesenkt, da weniger Ersatzoperationen und Nachsorgemaßnahmen notwendig werden. Bei einer demografischen Entwicklung mit einer steigenden Anzahl alter Menschen ist dies von erheblichem gesellschaftlichem Interesse, was die Bedeutung von Forschung und Entwicklung vom Werkstoff bis zur industriellen Fertigungstechnik nicht nur für den Standort Baden-Württemberg unterstreicht.
 
Weitere Informationen bei Prof. Rainer Gadow, Institut für Fertigungstechnologie keramischer Bauteile (IFKB), Tel. 0711/685-68301, E-Mail: rainer.gadow (at) ifkb.uni-stuttgart.de, www.ifkb.uni-stuttgart.de
Im Spritzgußverfahren hergestellte Hüftgelenksköpfe (Foto: Universität Stuttgart/IFKB)
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