Herkömmlich werden bei Hüft- und Knieoperationen routinemäßig Implantate aus
Spezialstahl und einem Kunststoffgegenkörper aus Niederdruck-Polyethylen (NDPE) eingesetzt. Diese
sind zwar vergleichsweise kostengünstig, ihre Gebrauchsdauer ist jedoch je nach Belastung auf zehn
bis 15 Jahre begrenzt. Deutlich langlebiger sind keramische Implantate, deren überlegene
Werkstoffeigenschaften eine Reduktion des Verschleißes und eine bessere Biokompatibilität
(Verträglichkeit) gewährleisten, wodurch Entzündungen im Gewebe vermindert und die
Implantatlockerung verlangsamt werden. Zudem wachsen sie schneller ein und die Patienten kommen
nach einer Operation rasch wieder auf die Beine. Ihr Nachteil: Die Herstellung und Endbearbeitung
der spiegelglatt geschliffenen, harten und zähen Keramik erfordert eine Vielzahl an
Arbeitsschritten und ist dementsprechend teuer.
Dieser Problematik hat sich Mohammed Abou El-Ezz am Institut für
Fertigungstechnologie keramischer Bauteile (IFKB) im Rahmen seiner Doktorarbeit in der Graduate
School of Excellence for advanced Manufacturing Engineering Stuttgart (GSaME) angenommen. Der
26-jährige Absolvent der German University of Cairo (GUC) versucht, durch einen deutlich
preiswerteren Fertigungsweg Keramikimplantate einem größeren und weniger vermögenden Patientenkreis
zugänglich zu machen. Die Arbeit wird durch die Hans-Böckler-Stiftung finanziert und durch
Institutsleiter Prof. Rainer Gadow sowie den Leiter der Abteilung Hochleistungskeramiken, Dr. Frank
Kern, betreut.
Grundlegend neuer Ansatz
Um die erforderlichen hohen Qualitäten implantatkeramischer Produkte mit den
Kostenzielen für einen breiteren Markt in Einklang zu bringen, wählen die Wissenschaftler einen
grundlegend neuen Ansatz entlang der gesamten Prozesskette von der Rohstoffkonditionierung über das
Formgebungsverfahren bis zur Endbearbeitung. Ihr Ziel ist es, durch die Anwendung des keramischen
Spritzgießens (CIM) Implantate in einer Geometrie herzustellen, die der Endkontur schon sehr nahe
kommt. Dieses in der Fachsprache als „Net-shape-Formgebung“ bezeichnete Konzept in Verbindung mit
dem CIM-Verfahren macht es möglich, die Taktzeit sowie die kostspielige Nacharbeit erheblich zu
reduzieren. Allerdings erfordert das Verfahren einen höheren Anteil an Bindemittel und
Hilfsstoffen, wodurch sich die Wärmebehandlung und die chemische Technik komplizierter
gestalten.
Im Rahmen des Projektes wurden zunächst hochfeste und zähe Mischoxidkeramiken
entwickelt, die für die Spritzgießtechnik geeignet sind: Aluminiumoxid-Zirkonoxid-Nanokomposite
(ZTA: zirconia toughened alumina). Hinter der Abkürzung verbergen sich keramische
Hochleistungswerkstoffe für biomedizinische Anwendungen, die eine hohe Festigkeit,
Biokompatibilität und Härte besitzen. Dadurch sind sie metallischen Werkstoffen in orthopädischen
Anwendungen überlegen. Die üblichen Nachteile der Keramiken, insbesondere die
Sprödbruchanfälligkeit, können durch Verstärkungsmechanismen auf der mikroskopischen Ebene des
Werkstoffgefüges vermieden werden, welche zu einer Steigerung der Bruchzähigkeit, Härte und
Dauerfestigkeit führen. Auf der Basis detaillierter Analysen der Bauteilgefüge und der
Versagenskriterien sollen die Prozesse und Materialien schließlich so optimiert werden, dass man
preiswerte Implantate von hoher Zuverlässigkeit in großen Stückzahlen herstellen kann.
Erste Versuche sind vielversprechend
Bereits im Frühjahr wurden am IFKB erste spritzgegossene Hüftgelenksimplantate
aus ZTA-Verbundkeramik hergestellt, wobei eine Spritzgußform zum Einsatz kam, die das
deutsch-ägyptische Unternehmen HBW Gubesch Egypt in Kairo im Rahmen eines
Technologietransferprojektes konstruiert und gefertigt hat. „Die Ergebnisse sind vielversprechend
und lassen hoffen, dass diese neue Prozessroute für keramische Implantate dazu beitragen kann, die
unmittelbaren Herstellkosten dieser Produkte um bis zu 30 Prozent zu senken“, freuen sich Mohammed
Abou El-Ezz und sein Doktorvater Prof. Gadow. „Wir gehen davon aus, dass sich dadurch der Kreis der
Patientengruppen, die von dieser modernen Werkstofftechnologie in der Medizintechnik profitieren,
in der Zukunft erheblich erweitert.“ Durch die Erhöhung der Lebensdauer der Prothesen steigt nicht
nur die Lebensqualität der einzelnen Betroffenen. Auch die Gesundheitskosten werden real gesenkt,
da weniger Ersatzoperationen und Nachsorgemaßnahmen notwendig werden. Bei einer demografischen
Entwicklung mit einer steigenden Anzahl alter Menschen ist dies von erheblichem gesellschaftlichem
Interesse, was die Bedeutung von Forschung und Entwicklung vom Werkstoff bis zur industriellen
Fertigungstechnik nicht nur für den Standort Baden-Württemberg unterstreicht.
Weitere Informationen bei Prof. Rainer Gadow, Institut für Fertigungstechnologie
keramischer Bauteile (IFKB), Tel. 0711/685-68301, E-Mail: rainer.gadow (at) ifkb.uni-stuttgart.de,
www.ifkb.uni-stuttgart.de