Jahresbericht der Gleich­stellungs­beauf­tragten: Von Retradi­tio­nali­sie­rung und neuen Strukturen

18. Juli 2022

Die Gleichstellungsbeauftragte der Universität Stuttgart, Dr. Grazia Lamanna, die seit Oktober 2021 im Amt ist, präsentierte im Rahmen der öffentlichen Senatssitzung Anfang Juli 2022 ihren ersten Jahresbericht.

Es ist nicht nur der erste Jahres­bericht von Dr. Grazia Lamanna als Gleich­stellungs­beauftragte, „dies ist auch mein erster offizieller Vor­trag auf Deutsch“, erklärt die Wissen­schaftlerin, die am Institut für Thermo­dynamik der Luft- und Raum­fahrt forscht.

Die Gleichstellungsbeauftragte spricht in ihrem Jahresbericht von einer Retraditionalisierung als Auswirkung der Pandemie. Eine Studie belege, dass der Anteil von Vätern junger Kinder mit egalitären Einstellungen zur Erwerbsarbeit von Müttern durch coronabedingte Kita- und Schulschließungen gesunken ist. Gleichzeitig sei eine weiter steigende Nachfrage nach Betreuungsangeboten und ein erhöhtes Aufkommen von Anfragen zu Dienstreisen mit Kind beim Service Uni & Familie bemerkbar. „Einem überdurchschnittlichen Schwund – insbesondere von Müttern – aus der Wissenschaft muss entgegengewirkt werden. Wir können es uns nicht leisten, auf dieses Potential zu verzichten“, betont Lamanna und fordert, dass Nachwuchswissenschaftler*innen mit Care-Aufgaben angemessen unterstützt werden müssen.

Enge Verzahnung von Diversity und Gleichstellung

Eine wesentliche Aufgabe sei zurzeit die stärkere Verzahnung der Aufgaben der Gleichstellung und des Prorektorats Diversity und Internationales. Dies spiegele sich auch in der Schaffung der Stelle einer Diversity-Referentin, die im Gleichstellungsreferat angesiedelt ist und eng mit dem Prorektorat zusammenarbeite. Ziel sei die Entwicklung des Gleichstellungsreferats zu einer Stabsstelle, die Gleichstellung und Diversity repräsentiert. „Diese neuen Strukturen wollen wir gemeinsam mit dem Dezernat 7 als Unterstützung beim Change Management erreichen“, erklärt Dr. Grazia Lammana. Schon jetzt arbeiten die Gleichstellungsbeauftrage und die Prorektorin Prof. Silke Wieprecht gemeinsam am Runden Tisch Diversity. Wichtig sei die Weiterentwicklung des Diversity-Konzepts hin zu einer Strategie zur Realisierung von diversity, equity and inclusion, abgestimmt auf die spezifischen Rahmenbedingungen und strategischen Ziele der Universität Stuttgart.

Frauen- und Männeranteil in den unterschiedlichen Qualifizierungsstufen an der Universität Stuttgart

Die Frauen- und Männeranteil in den unterschiedlichen Qualifizierungsstufen an der Universität Stuttgart sind immer noch sehr unterschiedlich. Einzig bei der Leitung von Arbeitsgruppen steigt der Anteil der Frauen immerhin wenig, kommentiert die Gleichstellungsbeauftragte die aktuellen Zahlen.

Aktuelle und zukünftige Anforderungen der EU

Voraussetzung für Fördergelder der EU sind bestimmte Inhalte und Regularien im Zusammenhang mit dem Gender Equality Plan (GEP), erklärt Dr. Grazia Lamanna. Die Universität sei hier auf gutem Wege, Handlungsbedarf gebe es noch bei dem Thema Sensibilisierungs- und Schulungsmaßnahmen zur Gleichstellung der Geschlechter für die gesamte Hochschule sowie Schulungen zu unbewussten geschlechtsspezifischen Vorurteilen („unconscious bias“) für Mitarbeiter*innen und Entscheidungsträger*innen.

„Nächstes Jahr ändern sich die Förderbedingungen stark“, betont Lamanna. Als Zuschlag- und Ranking-Kriterium reiche es nicht mehr aus, einen GEP zu haben. Ihr Fazit: „Neben dem GEP werden konkrete und strukturierte Maßnahmen indirekt unsere Chancen, EU-Fördermittel zu erhalten, erhöhen. Dazu zählen z.B. die aktive Rekrutierung von Frauen auf allen Ebenen, die Sensibilisierung für die Geschlechterdimension in Forschung und Lehre sowie Sensibilisierungsmaßnahmen gegen unbewusste Vorurteile.“

Neben den Anforderungen der EU gilt es auch die Förderrichtlinien der DFG und des Landes zu beachten. Die DFG ist nach der EU der größte Geldgeber von Fördermitteln. Besonders die Anforderungen des Landes an die Gleichstellungspläne sind anders ausgerichtet und deshalb mit einem zusätzlichen Arbeitsaufwand verbunden, so Lamanna.

Erfolgreiche Projekte

Die Gleichstellungsbeauftragte gab einen Überblick auf viele laufende, erfolgreiche Projekte. So ist die Universität Stuttgart beim Girls´ Day die größte Anbieterin der Region. Gefreut hat sich Grazia Lamanna über einen Bericht dazu in der Tagesschau und beim SWR. Stolz ist sie über den erfolgreichen Abschluss des Dialogverfahrens im „audit familiengerechte hochschule“. Seit 2022 darf die Universität Stuttgart das europaweite Zertifikatslogo „familiengerechte hochschule“ auf unbegrenzte Zeit führen.

Chancengleichheit bedeutet nicht Gleichbehandlung, sondern die Einführung von Maßnahmen zum Nachteilsausgleich.

Dr. Grazia Lamanna, Gleichstellungsbeauftragte der Universität Stuttgart

Als Bilanz ihres ersten Amtsjahres berichtet Dr. Grazia Lamanna von der Erkenntnis, dass klassische Frauenfördermaßnahmen ins Leere laufen. Gender Mainstreaming sei ein besserer Ansatz. Dies bedeute nicht nur, die Entstehung oder Verstärkung von Ungleichheiten zu vermeiden, die sowohl für Frauen als auch für Männer Nachteile haben können. Es bedeute auch, die bestehende Situation zu analysieren, um Ungleichheiten festzustellen. Anschließend bedarf es entsprechende Maßnahmen, die Ungerechtigkeiten beseitigen und die Mechanismen, die sie verursacht haben, rückgängig machen. Gender Mainstreaming verlange eine Änderung des Schwerpunkts der Gleichstellungsstrategie insgesamt: Ein stärkerer Fokus auf die Initiierung und Mitwirkung an strukturellen Maßnahmen (z.B. Karriereförderprogramme für weibliche Postdocs, Handlungsprogramm des Dialogverfahrens – audit familiengerechte hochschule u.a.). „Chancengleichheit bedeutet nicht Gleichbehandlung, sondern die Einführung von Maßnahmen zum Nachteilsausgleich“, so die Gleichstellungsbeauftragte abschließend.

Dieses Bild zeigt Grazia Lamanna

Grazia Lamanna

Dr.

Gleichstellungsbeauftragte

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