Universitäts-Schreinerei: Einblicke in einen besonderen Arbeitsalltag

22. November 2022

Justine König, ehemalige Auszubildende und nun Gesellin in der Schreinerei der Universität Stuttgart, erzählt gemeinsam mit ihrer Ausbilderin Alexandra Setzer von ihrer Ausbildung zur Tischlerin.
[Bild: Universität Stuttgart]

Justine König absolvierte ihre Tischler*in-Ausbildung in der Schreinerei der Universität Stuttgart. Ihr Gesell*innenstück, das im Rahmen ihrer Abschlussprüfung entstand, wurde jüngst im führenden Fachmagazin „BM für Schreiner, Tischler und Fensterbauer" veröffentlicht. Bundesweit schafften es in diesem Jahr 13 weitere Gesell*innenstücke in die Magazinrubrik „Inspiration“.  

Frau König, herzlichen Glückwünsch zur ihrer erfolgreich bestandenen Gesell*innenprüfung und der Veröffentlichung ihres Gesell*innenenstücks. Wie ist die Jury des Fachmagazins „BM“ darauf aufmerksam geworden?

Justine König: Vielen Dank. Das eigene Gesell*innenstück in der BM veröffentlicht zu sehen, ist schon etwas Besonderes. Die Tischler*in-Ausbildung schließt mit einer Gesell*innenprüfung ab, die unter anderem darin besteht, ein Möbel selbständig und nach eigenen Ideen und Entwürfen zu bauen. Dieses wird nach bestandener Prüfung in der Berufsschule ausgestellt. Redakteurinnen und Redakteure des BM-Magazins hinterlassen an besonders gelungenen Gesellenstücken ein Briefchen. Als ich das Briefchen in meinem Stück gefunden habe, war ich stolz und habe mich in meiner Arbeit bestätigt gefühlt.

Welches Möbelstück haben Sie für die Gesell*innenprüfung angefertigt?

König: Für mein zukünftiges Tokonoma zu Hause, eine Wandniesche inspiriert von japanischer Innenarchitektur, habe ich mir einen ersten Hingucker gewünscht. So entstand das Möbel aus Kirschbaumholz mit Schubladen an beiden Seiten, einer Klappe an der Frontseite und einem typisch japanischen Torbogen in Zinnoberrot. 

Das Möbel "Feine Anmutung" misst 800 x 758 x 420 Millimeter (B x H x T). Der Torbogen (Torii) erinnert an die japanische Tempelarchitektur. Die Gesell*innenstücke dürfen die frisch gebackenen Tischler*innen nach alter Tradition behalten.

Frau Setzer, was bedeutet für Sie die Veröffentlichung des Gesell*innenstücks Ihrer Auszubildenden?

Alexandra Setzer: Für meine Kollegin Lisa Egler und mich als Ausbilderinnen ist es eine extreme Bestätigung, dass wir mit unserer Ausbildung auf dem richtigen Weg sind. Bereits zum dritten Mal in Folge haben es unsere Auszubildenden geschafft, die Aufmerksamkeit des Magazins auf ihre Gesell*innenstücke zu richten und in die Rubrik aufgenommen zu werden. Justine wurde sogar zusätzlich von der Schreiner*innen-Innung Stuttgart für gute Leistungen bei der Gesell*innenprüfung im Schreiner*innen-Handwerk ausgezeichnet. Das sind die Früchte unserer Arbeit.

Wie läuft die persönliche und fachliche Betreuung während der Ausbildung ab?

König: Ausgezeichnet kann ich dazu sagen. Ich habe während meiner Ausbildung immer mit Fragen und Anliegen auf meine Kolleginnen und Kollegen zugehen können. Auch ausgefallene Gesellen*innenstückideen wurden angenommen und respektiert und dann gemeinsam auf Umsetzbarkeit geprüft. In unserer Schreinerei herrscht ein 1-A-Betriebsklima. Ich komme jeden Tag gerne zur Arbeit.

Setzer: Es ist unser Ziel, top ausgebildete Fachkräfte auf den Arbeitsmarkt zu bringen, die den sich wandelnden Anforderungen, wie zum Beispiel der Digitalisierung, gewachsen sind. Darum widmen wir uns unserem Nachwuchs mit Zeit, enger Betreuung und vor allem individueller Förderung. Um eine einwandfreie Ausbildung zu gewährleisten, haben wir pro Jahrgang nur eine Auszubildende oder einen Auszubildenden in der Schreinerei.

Besondere Talente, wie Justine, bildet unser Teamleiter Frank Müller in einer umfassenden und tiefgehenden Schulung so am CNC-Bearbeitungszentrum aus, dass sie bereits während der Lehre völlig selbständig und eigenverantwortlich mit dieser Maschine Aufträge bearbeiten können. CNC steht für Computerized Numerical Control und, wie der Name bereits verrät, besteht die Herausforderung darin, dass die CNC-Maschine computergestützt betrieben wird. Das bedeutet, hier sind auch Kenntnisse in der Programmierung gefragt. Dies geht über Mindestausbildungsinhalte weit hinaus und ist nur in sehr wenigen Betrieben als Ausbildungsbestandteil üblich. Für die Universität Stuttgart stellt dies praktisch ein Alleinstellungsmerkmal in der Tischler*in-Ausbildung dar.

Wozu braucht eine Universität eine Schreinerei? Worin bestehen ihre täglichen Aufgaben?

König: Wir kümmern uns darum, den Gebäudebetrieb sicherzustellen. Das bedeutet, wir führen Reparaturen am bestehenden Mobiliar durch und konstruieren teils auch Neuanfertigungen. Zum anderen planen und entwerfen wir Sondermobiliar, zum Beispiel für Forschungszwecke. Das finde ich besonders spannend.

Setzer: Eine Schreinerei gibt es nicht an jeder Universität. Der hausinterne Handwerksbetrieb birgt neben langfristiger Kostenersparnis viele weitere Vorteile. In Zeiten von Facharbeiter*innenmangel können externe Schreinereien aufgrund übervoller Auftragsbücher die Bedürfnisse der Universität oft nicht im gleichen Maß bedienen wie wir. Bei Umbauten, Reparaturen und bei Zuarbeiten zu Forschungsprojekten bieten wir zudem eine viel engmaschigere Abstimmung mit den Verantwortlichen im Bereich Gebäudebetrieb und mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, als es ein externer Dienstleister zu leisten im Stande wäre. Die Forschenden schätzen diesen Service, denn Dank unserer Expertise können wir Projekte realisieren, die exakt auf ihre Bedarfe zugeschnitten sind.

Besonders gerne erinnere ich mich an einen Versuchsaufbau im Bereich Informatik, bei dem ein Roboter seine Lernfähigkeit unter Beweis stellen sollte, indem er eine Kette mechanischer Aufgabenstellungen, wie drehen, schieben oder ziehen, lösen und logisch so kombinieren musste, um am Ende an die “Belohnung“, eine Steckdose, zu gelangen. Hierfür hat die Schreinerei den Parcours nach Vorgabe der Forschenden gebaut. 

Ausbildung an der Universität Stuttgart
Die Universität Stuttgart bildet in 16 Ausbildungsberufen im kaufmännischen, technischen und handwerklichen Bereich aus. Auszubildende arbeiten dabei in Werkstätten, Laboren, Bibliotheken, Verwaltung und weiteren Einrichtungen der Universität.

Zum Seitenanfang