In stark polarisierten Situationen ist offene Kommunikation der einzige Weg, um Menschen überhaupt noch kommunikativ zu erreichen. Dies gilt selbst für Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben. Das zeigt eine neue Studie der Universität Stuttgart, veröffentlicht im British Journal of Political Science.
Kommunikationsformen wirken unterschiedlich (de-)polarisierend
Simon Stocker und seine Co-Autoren fanden heraus, dass ein offener Kommunikationsmodus depolarisierend wirken kann. Ein offener Diskussionsmodus hat weder den Charakter einer Debatte, noch ist er darauf ausgerichtet, eine gemeinsame Basis zu finden. „Es geht darum, sich zu einem Thema zu äußern, ohne direkt mit Gegenargumenten konfrontiert zu werden oder zur Suche nach einem Kompromiss aufgefordert zu werden“, erklärt Simon Stocker, ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Stuttgart, der nun zur Stadt Stuttgart ins Sachgebiet Personal- und Sozialstatistik wechselt.
Konfrontative aber auch kollaborative Modi dagegen sind weniger gut geeignet, Depolarisierung und Meinungsänderungen zu bewirken, insbesondere wenn Positionen stark verhärtet sind.
Gegenpositionen stoßen auf Granit
Diese Erkenntnisse zog das Forscherteam aus zwei Bevölkerungsumfragen zur COVID-19-Pandemie mit rund 4.000 Teilnehmenden. Die Teilnehmenden einer ersten Teilstudie in Deutschland wurden gebeten, zwischen individueller Freiheit und dem Schutz der Gesundheit abzuwägen. In einer zweiten Stichprobe in Österreich wurde nach der Position zur Einführung einer Impfpflicht gefragt. Je nach Kommunikationsmodus, ob konfrontativ, offen oder kollaborativ, fiel die Bereitschaft zu vertieftem Nachdenken, konstruktiven Vorschlägen oder zur Meinungsänderung unterschiedlich aus.
Die Teilnehmenden im österreichischen Teil der Studie waren in ihren Meinungen stärker polarisiert: 69,5 Prozent der Befragten hatten eine feste Überzeugung, im Gegensatz zu nur rund 37 Prozent der deutschen Stichprobe. „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass es im Kontext einer starken Polarisierung kontraproduktiv ist, die Teilnehmenden mit Gegenpositionen zu konfrontieren und sie aufzufordern, nach Gemeinsamkeiten mit der anderen Seite zu suchen“, sagt Stocker. „Dies wird anscheinend als Herausforderung der eigenen Position wahrgenommen.“ Nur ein offener Kommunikationsmodus, geprägt von offenen Fragestellungen und frei von Forderungen, könne unter solch polarisierten Bedingungen zu produktiven Gesprächen beitragen – dies sei selbst bei Beteiligten der Fall, die Verschwörungstheorien nachhängen.
Politische Kommunikation überlegt gestalten
Das eine ideale Rezept für Depolarisierung gibt es nicht. „Produktive Kommunikation, die vertieftes Nachdenken, konstruktive Vorschläge und Depolarisierung bewirkt, ist in der Regel ein Mosaik aus unterschiedlichen Kommunikationsmodi“, sagt Professor André Bächtiger, Leiter des Instituts für Sozialwissenschaften und Co-Autor der Studie.
Zur Studie
Simon Stocker, André Bächtiger, Bernhard Kittel und Marco Steenbergen, 2025. Deepening, Bridging and Moving Minds in Stressful Times (Vertiefung, Überwindung und Änderung der Gedanken in stressigen Zeiten). British Journal of Political Science, DOI:10.1017/S0007123425100562.
Fachlicher Kontakt:
Simon Stocker, Universität Stuttgart, Institut für Sozialwissenschaften, E-Mail
Professor André Bächtiger, Universität Stuttgart, Institut für Sozialwissenschaften, Tel.: +49 711 685 81450, E-Mail
Jacqueline Gehrke
Onlineredakteurin