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Konkretismus in Kunst und Gestaltung

Um „Die Materialität der Zeichen: Konkretismus in Stuttgart & global“ ging es im Rahmen eines Kolloquiums des Internationalen Zentrums für Kultur- und Technikforschung der Uni Stuttgart im November 2006 in den Räumen der BW-Bank und im Literaturhaus Stuttgart.

Stuttgart und seine Universität, repräsentiert durch die Lehrstühle von Max Bense und Reinhard Döhl, war von den 1950-er bis zu den 1970-er Jahren eines der weltweit wirkenden und vernetzenden Epizentren der Debatten, die sich vor allem zwischen den Vertretern der konkreten Poesie, Gestaltung und Bildkonzepte entwickelt hatten. Unter dem Namen „Stuttgarter Schule“ ist diese in die Literaturgeschichte eingegangen. Prinzipien der konkreten Gestaltung sind längst Elemente unserer alltäglichen Kommunikation. Piktogramme, so wie wir sie heute von Flughäfen oder bei der Bahn kennen, Übersichtspläne von Verkehrsnetzen und Embleme von Einrichtungen wie der Deutschen Bank oder der Universität Stuttgart sind alle nach den konkretistischen Prinzipien der Gestaltung geschaffen worden. Der Konkretismus ist zum Gegenstand historischer Sichtung und Bewertung geworden. Konkrete Gestaltung bedeutet, dass die Zeichen nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten und Bedingungen Verwendung finden. Dabei - so die bisherige Auffassung - ist die konkrete auf engste Weise mit der konstruktiven Gestaltung verbunden.

 

 

Links eine geometrische Komposition des Grafikers, Fotografen und Malers Anton Stankowski (1906 - 1998), daneben ist seine Komposition „Metallbuchstaben“ aus dem Jahr 1930 zu sehen. Das Quadrat in John Cage Maínier des uruguayanischen konkreten Dichters Clemente Padín stammt aus dem Buch „Homenaje al cuadrado“ aus dem Jahr 1999 (© Clemente Padín). Das Plakat rechts hat Karl Duschek vom Grafischen Atelier Stankowski + Duschek (Stuttgart) für das Konkretismus-Kolloquium entworfen (© stankowski + duschek)

 
Prof. Wolfram Ressel (rechts) gratuliert dem neuen Ehrendoktor Reint de Boer

Links eine geometrische Komposition des Grafikers, Fotografen und Malers Anton Stankowski (1906 - 1998), daneben ist seine Komposition „Metallbuchstaben“ aus dem Jahr 1930 zu sehen. Das Quadrat in John Cage Maínier des uruguayanischen konkreten Dichters Clemente Padín stammt aus dem Buch „Homenaje al cuadrado“ aus dem Jahr 1999 (© Clemente Padín). Das Plakat rechts hat Karl Duschek vom Grafischen Atelier Stankowski + Duschek (Stuttgart) für das Konkretismus-Kolloquium entworfen (© stankowski + duschek).

Prof. Wolfram Ressel (rechts) gratuliert dem neuen Ehrendoktor Reint de Boer

Kein einheitlicher Begriff

Doch ist es möglich, das Konkrete in den gestalterischen Praktiken des Menschen auch unabhängig vom Gesichtspunkt des Konstruktiven zu denken? Ausgehend von dieser neuen Fragestellung gelang es, für das dreitägige Kolloquium in Stuttgart insgesamt 18 Kollegen der unterschiedlichsten Disziplinen zu versammeln. Architektur, Bildtheorie, Designtheorie, Germanistik, Linguistik, Musikwissenschaft und Romanistik trafen sich zu einer offen geführten Diskussion. Mit Eugen Gomringer war schließlich sogar der „Vater der konkreten Poesie“ vertreten.

  Die Idee, dass es möglich sei, das Phänomen des „Konkretismus“ auch unter Absehung vom Aspekt des Konstruktiven in der Gestaltung zu erforschen, hat man als längerfristige Leitlinie für die Forschung anerkannt; dies war das Ergebnis des dreitätigen Polylogs. Einig war man sich darin, dass es keinen für alle Disziplinen und alle Gestaltungspraktiken einheitlichen Begriff des Konkretismus geben kann. In den einzelnen Wissenschaftskulturen existieren ganz verschiedene Nuancierungen dieses Begriffs. Als Referenzpunkt in der ästhetischen Debatte gilt das Manifest für eine konkrete Malerei Theo van Doesburgs aus dem Jahr 1930. Jedoch war das Phänomen einer konkretistischen Handhabung des Zeichenmaterials in den verschiedenen Praxisfeldern von Kunst, Poesie und Gestaltung schon lange vor diesem Manifest zu beobachten.

Das Konkrete und die Kunst

Für die weitere Forschung muss entschieden werden, ob das Attribut „konkret“ erst für gestalterische Prozesse nach 1930 verwendet werden darf: Für eine Zeit, in der das Konkrete zum systematisch erkundeten Programmpunkt der Gestaltung geworden ist, oder ob das Konkrete als eine Möglichkeit künstlerisch-gestalterischen Handelns schon immer gegeben war, in früheren Zeiten jedoch nur gelegentlich zur Anwendung kam. Diese Frage wurde bei dem Kolloquium kontrovers diskutiert. Ebenso zeigten sich deutliche Unterschiede in der Frage, ob die konkrete Handhabung des Zeichenmaterials als ein Stil künstlerischen Handelns verstanden werden kann. Vor allem aus dem Bereich der Architekturtheorie und -geschichte kam der Einwand, dass der Stilbegriff bei der Erfassung konkretistischer Phänomene in der Architektur nicht angewendet werden sollte.

   Der Begriff des Konkretismus ist äußerst produktiv, wenn es darum geht, ein bestimmtes Phänomen in der Entwicklung modernen Gestaltens zu erfassen. Er versammelt jedoch ganz unterschiedliche Konzepte, die so einfach nicht miteinander vereinbar sind.

Neue Schriftenreihe

Die Diskussion zeigte, dass ein neues Verständnis von wissenschaftlichem und hier auch kunst- und kulturhistorischem Diskurs angestrebt sollte: Es kann nicht mehr darum gehen, schulmäßige Definitionen und Lehrmeinungen zu konstruieren, die dann in Konkurrenz mit anderen durchgefochten werden müssen. Vielmehr sollte die Verschiedenheit der Positionen gemäß der prinzipiellen Uneindeutigkeit von Begriffen als Bedingung des Begriffs Konkretismus akzeptiert werden.

  Ein erster Schritt zur weiteren Entwicklung einer wissenschaftlichen Dialogkultur zu diesem Thema ist gelungen: Eine Schriftenreihe („K wie konkret“, Herausgeber: Reinhard Krüger) wurde aus der Taufe gehoben. Im ersten Band, an dem neben den Kolloquiumsteilnehmern auch Fachleute aus den Fächern Industriedesign, Fotographie, Medientheorie und Typographie mitwirken, werden die Kolloquiumsbeträge publiziert.

  Der für den 9. bis 12. Oktober 2008 geplante, internationale Kongress der Deutschen Gesellschaft für Semiotik zum Thema „Das Konkrete als Zeichen“ an der Universität Stuttgart wird Gelegenheit zur Fortsetzung des Dialogs bieten.

Reinhard Krüger/zi

 

 

 

KONTAKT

 
                                                                      
Prof. Reinhard Krüger
Institut für Literaturwissenschaft
Romanische Literaturen I
Tel. 0711/685-83109
Fax 0711/685-82765
reinhard.krueger@ilw.uni-stuttgart.de
> > > www.konkretismus.de
> > > www.uni-stuttgart.de/lettres/

 

 

 

 
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Pressestelle der Universität Stuttgart