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China entdecken – China verstehen   > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > >
Auf dem Weg zur Werkstätte der Welt

Chinas rasanter ökonomischer Aufstieg weckt seit einigen Jahren das Interesse an diesem fremden und faszinierenden Land – und ruft ambivalente Reaktionen hervor. Während das enorme Wirtschaftswachstum und Marktpotential beeindrucken, bereitet die Radikalität des gesellschaftlichen Umbruchs Unbehagen. Chinas Transformation zur Werkstätte der Welt, deren Dimensionen und Konsequenzen noch gar nicht absehbar sind, wirft viele Fragen und Probleme auf. Das Internationale Zentrum für Kultur- und Technikforschung veranstaltete daher im Rahmen seines China-Schwerpunkts eine zehnteilige Vortragsreihe, in der deutsche wie chinesische Referenten aktuelle Entwicklungen der chinesischen Gesellschaft und Kultur aus unterschiedlichen Perspektiven analysierten.

 

Entwurf

 
Prof. Wolfram Ressel (rechts) gratuliert dem neuen Ehrendoktor Reint de Boer

Das moderne China verdeutlicht die neue Zentrale für den größten Fernsehsender Chinas im neuen Central Business District in Peking. Der Entwurf stammt vom holländischen Star-Architekten Rem Koolhaas. Das Projekt ist im Bau und dürfte zu einem spektakulären „landmark“ für das neue Finanz- und Bürozentrum werden.                                                    (Quelle: IZKT)

Prof. Wolfram Ressel (rechts) gratuliert dem neuen Ehrendoktor Reint de Boer

Dr. Jinghui Liu, Gesandte Botschaftsrätin der Botschaft der VR China in Deutschland, stellte bei der Eröffnung der Vortragsreihe anhand vielfältigen Datenmaterials das chinesische Bildungssystem vor. Dieses ist nicht nur vor die Herausforderung gestellt, auf die enorme wirtschaftliche Dynamik mit veränderten Bildungsinhalten zu reagieren, sondern auch der zunehmenden sozialen Differenzierung adäquat zu begegnen. Während das Publikum in ihrem Vortrag mit den Strategien der aktuellen Wissenschafts- und Bildungspolitik bekannt gemacht wurde, bekam es im Vortrag des Philosophen Wenchao Li Einblicke in die historische Tiefendimension der chinesischen Wissensordnung. Konfrontiert mit europäischem Wissen hat man in China seit dem 17. Jahrhundert versucht, die eigene Tradition durch radikale Uminterpretation, Fragmentierung und Rekanonisierung von Wissensbeständen zu bewahren. Manch chinesisch-europäische Missverständnisse hätten hier, so Li, ihre Wurzel und mögliche Erklärung; Missverständnisse, deren produktive Rolle im interkulturellen Dialog wie in der Kommunikation unter Wissenschaftlern nicht unterschätzt werden sollte.

 

Wird Shanghai westlich?

Dem beeindruckenden wirtschaftlichen Aufstieg Chinas widmeten sich die Beiträge von Margot Schüller und Peter Kreutzberger. Margot Schüller, stellvertretende Direktorin des Hamburger Instituts für Asienkunde, zeichnete Chinas Technologieentwicklung vom Montagestandort mit extrem niedrigen Löhnen zum anvisierten „global player“ im Bereich der High-Tech-Produktion nach. Mittels eines langfristigen Innovationsprogramms will China die Abhängigkeit von ausländischen High-Tech-Unternehmen überwinden und bis 2020 zu den fünf führenden Ländern bei Patenanmeldungen gehören. Ungeschützte Eigentumsrechte, fehlende Unabhängigkeit der Gerichte sowie Defizite im staatlichen Banksektor dürften sich allerdings auf diesem Wege als große Probleme herausstellen. Peter Kreutzberger, stellvertretender Generalkonsul und Leiter des Wirtschaftsdienstes des Deutschen Generalkonsulats in Shanghai, unterstrich das problematische Verhältnis von wirtschaftlichen Spielregeln und politischen Vorstellungen sehr anschaulich am Beispiel Shanghais und seines Verhältnisses zu Peking. Ob Shanghai sich zu einer internationalen Metropole im westlichen Sinne oder zu einer chinesischen Metropole mit internationaler Bedeutung entwickelt, sei derzeit eine offene Frage.

 

Peking

 
Prof. Wolfram Ressel (rechts) gratuliert dem neuen Ehrendoktor Reint de Boer

Die Frontseite und das Haupttor der „Verbotenen Stadt“ in Peking.  (Quelle: IZKT)

  Auf großes Publikumsinteresse stießen auch die Beiträge im Bereich von Kunst und Kultur. In Kooperation mit der Staatsgalerie Stuttgart, die vom 28. Oktober 2006 bis 18. Februar 2007 die Ausstellung „Humanism in China – Ein fotografisches Portrait“ zeigte, präsentierten sich die Vorträge des Sinologen Karlheinz Pohl über traditionelle und zeitgenössische Malerei in China, des Filmwissenschaftlers Stefan Kramer über Chinas Medienkultur sowie des Stuttgarter Architekten Eckhart Ribbeck über Tendenzen des neueren Städte- und Wohnungsbaus in China zugleich als Teil des dortigen Rahmenprogramms. Ausstellung und Vortragsreihe boten so einander ergänzend eine attraktive Möglichkeit, sich dem unbekannten Land in kultureller Hinsicht zu nähern.

Spannungsgeladene Entwicklung

Ob man die plötzliche Attraktivität moderner chinesischer Kunst auf dem internationalen Kunstmarkt oder Ausmaß und Folgen des gigantischen Baubooms in den Blick nimmt, Chinas Entwicklung vollzieht sich in einem spannungsgeladenen Feld von westlich geprägter Moderne und den Konstanten der eigenen Kultur. Was das im Alltagsleben bedeutet, veranschaulichten sehr eindruckvoll der Stuttgarter Städteplaner Michael Trieb und seine chinesische Kollegin Yajin Zhang. In ihrer gemeinsam vorgetragenen Präsentation berichteten sie aus ihrer Erfahrung bei der Planung, Realisierung und Begleitung von Städtebauprojekten, wobei sie bei der Beschreibung und Identifizierung von Problemen jeweils die Perspektive des Anderen einzunehmen versuchten. Ein Beispiel eines gelungenen Dialogs zwischen Ost und West.

 
 

Straßenszene in China

 
Prof. Wolfram Ressel (rechts) gratuliert dem neuen Ehrendoktor Reint de Boer

Straßenszene in China.                               (Quelle: IZKT)


 

Prof. Wolfram Ressel (rechts) gratuliert dem neuen Ehrendoktor Reint de Boer

  Mit Phänomenen des politischen und ethischen Denkens setzten sich die viel beachteten Vorträge der Sinologen Thomas Fröhlich und Heiner Roetz auseinander. Thomas Fröhlich legte dar, wie sich im chinesischen politischen Denken jene bis heute wirkmächtigen Ideen entwickelten, die das politische Ringen um Macht und die politische Pluralität von einander widerstrebenden Willen als Symptome einer schlechten Ordnung menschlichen Zusammenlebens deuteten. Konfuzianische Traditionen, technokratische Vorstellungen und marxistische Strömungen spielten hierbei eine wichtige Rolle. Dass der Konfuzianismus, einst als Inbegriff einer überwundenen Vergangenheit totgesagt, heute in China eine Renaissance erfährt und als Kraft einer spezifisch chinesischen, von der westlichen unterschiedenen Form der Moderne im Gespräch ist, war der Ausgangspunkt von Heiner Roetz, genauer nach seinem ethischen Potential und politischen Implikationen zu fragen. Die Verkettung des Konfuzianismus mit autoritären Strukturen habe seine ethische Substanz keineswegs erschöpft. Diese biete vielmehr Anknüpfungspunkte, auch Menschenrechte und Demokratie zu befördern.

  Die Vortragsreihe „China entdecken – China verstehen“ wurde begleitet durch die von Eckhart Ribbeck besorgte Ausstellung „Entfesselte Moderne. Investoren-Städtebau in Peking“ im Foyer der Universitätsbibliothek.

Elke Uhl

 

 

 

KONTAKT

 
                                                                      
Internationales Zentrum für Kultur- und Technikforschung
Universität Stuttgart
Tel. 0711/685-82379
Fax 0711/685-82813
e-mail: elke.uhl@izkt.uni-stuttgart.de
> > > www.uni-stuttgart.de/izkt

 

 

 

 
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