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Neuer magnetischer Kühlmechanismus für Gase   > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > >
Kalt bis an den absoluten Nullpunkt

Zur experimentellen Untersuchung von Bose-Einstein-Kondensaten müssen Atomwolken beinahe an den absoluten Nullpunkt gekühlt werden. Auf dem Weg dahin waren Physiker bisher auf die - sehr verlustreiche - Verdampfungskühlung angewiesen. Wie beim erkaltenden Kaffee verlassen dabei die heißesten Atome die Wolke, wodurch der Rest zwar kälter, aber eben auch weniger wird. Am 5. Physikalischen Institut wurde nun ein nicht mehr ganz neues, aber verlustloses Kühlschema erstmals experimentell realisiert.

Bildliche Darstellung des Kühlverfahrens  

Bildliche Darstellung des Kühlver-fahrens: Oben sind alle Dipole aus-gerichtet, die gesamte Energie ist in der Bewegung der Atome gespei-chert, die Temperatur ist hoch. Nimmt das Magnetfeld ab, wird die Energie umverteilt und die Atomwolke wird kälter.                             (Grafik: Institut)

Temperatur ist ein Maß für Bewegungsenergie. Heiß bedeutet eine Zitterbewegung mit großer Amplitude, kalt eine mit kleiner. Hat ein System zwei unabhängige Bewegungsarten, so kann die Temperatur für beide Arten unterschiedlich sein. Ein Beispiel hierfür ist die Bewegung kleiner Magnete in einem Magnetfeld, wie sie beispielsweise von Kompassnadeln bekannt sind. Jeder Magnet kann sich einerseits mit seinem Schwerpunkt im Raum bewegen. Andererseits kann die Orientierung der Magnete relativ zur Richtung des Magnetfelds zittern. Beide Freiheitsgrade können eine unterschiedliche Temperatur haben. So können die Magnete zum Beispiel alle parallel ausgerichtet, also in ihrer Orientierung sehr kalt sein und sich trotzdem sehr schnell bewegen und deshalb in ihrer Schwerpunktbewegung heiß sein. Wenn die Magnete aneinander stoßen, kommen die Temperatur der Bewegung mit der Temperatur der Orientierung ins Gleichgewicht.

  Dabei versuchen die magnetischen Teilchen, ihre potentielle Energie zu minimieren, indem sie sich an den Feldlinien ausrichten. Dies gilt auch für die im Experiment verwendeten Chromatome, da diese ein permanentes magnetisches Dipolmoment besitzen. Wird nun das äußere Magnetfeld reduziert, so beginnen die Atome, sich wieder beliebig zum Feld zu orientieren und leisten dabei magnetische Arbeit. Da sich die untersuchten Atome jedoch in einer optischen Dipolfalle befinden und vollständig von der Außenwelt abgekoppelt sind, gibt es nur eine Möglichkeit, woher die notwendige Energie kommen kann: Aus der Bewegungsenergie der Atomwolke selbst - die Temperatur der Wolke sinkt! Die Gesamtenergie der Atomwolke kann sich also durch das Erniedrigen des Magnetfelds auf einen weiteren Freiheitsgrad, den Spinfreiheitsgrad, verteilen. Das Umverteilen von Bewegungsenergie in magnetische Energie erfolgt, wenn zwei Atome zusammenstoßen und ist bei Chromatomen besonders effektiv.
 

  In der Festkörperphysik wird dieses Kühlschema - das Entmagnetisierungskühlen - bereits seit 1930 erfolgreich angewendet. Für Gase konnte die Technik jedoch nicht angewandt werden, da viele Atome nicht magnetisch genug sind. Jetzt gelang es der Gruppe um Prof. Tilman Pfau am 5. Physikalischen Institut erstmals, das Verfahren auf atomare Gase anzuwenden. Im Experiment konnten eine Million Chromatome auf eine Temperatur von zehn Mikrokelvin (das sind zehn Millionstel Grad über dem absoluten Nullpunkt) abgekühlt werden. Ein Verlust von Atomen wurde dabei nicht beobachtet. Die Idee, dieses Kühlverfahren auf ein atomares Gas anzuwenden, stammt bereits aus dem Jahr 1950 – von dem französischen Nobelpreisträger Alfred Kastler. Mehr als ein halbes Jahrhundert später konnte sie nun verwirklicht werden.

Materie-Zustände im Niemandsland

Die Forschungsarbeiten, über die auch die renommierte Wissenschaftszeitung nature physics*) berichtete, sind Teil des transregionalen Sonderforschungsbereichs CO.CO.MAT (SFB/TR 21), bei dem die Universität Stuttgart Sprecherhochschule ist. In dem 2005 gegründeten Verbund arbeiten Wissenschaftler der Unis Tübingen, Ulm und Stuttgart sowie des Stuttgarter Max-Planck-Instituts für Festkörperforschung zusammen. Sie wollen die Geheimnisse der Quantenmaterie entschlüsseln und neue Zustände der Materie entdecken, die im „Niemandsland“ zwischen mesoskopischen Systemen (dem Arbeitsbereich der Festkörperphysik) und Quantengasen angesiedelt sind. Beteiligt sind Experimentalphysiker und theoretische Physiker, Nano- und Festkörperphysiker, Quantenoptiker und Quanteninformatiker. „Wir nähern uns der gemeinsamen Mitte einer Brücke, die wir Atomphysiker zu den Festkörperphysikern schlagen“, erklärt SFB-Sprecher Prof. Tilman Pfau. Hierzu treffen sich die Wissenschaftler alle zwei Wochen zu gemeinsamen Kolloquien, die reihum in den beteiligten Forschungseinrichtungen stattfinden. Dabei ist allerdings zunächst ein ziemlicher Sprachdschungel zu entwirren. Schon die Begriffe sind unterschiedlich definiert: Was zum Beispiel ein Festkörperphysiker für ultralkalt hält, ist für einen „Atomkühler“ noch ziemlich lauwarm.

Tobias Koch, Tilman Pfau/amg

*) Der Artikel von Marco Fattori, Tobias Koch, Simone Goetz, Axel Griesmaier, Sven Hensler, Jürgen Stuhler und Tilman Pfau ist unter dem Titel „Demagnetization cooling of a gas“ abgedruckt in Nature Physics, 2, 2006, S. 765 ff., http://arxiv.org/PS_cache/cond-mat/pdf/0610/0610498.pdf, sowie www.nature.com/nature physics

 

 

 

KONTAKT

 
                                                                      
Prof. Tilman Pfau
5. Physikalisches Institut
Tel. 0711/685-68025
Fax 0711/685-63810
e-mail: t.pfau@physik.uni-stuttgart.de
 


 

 

 
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