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Stuttgarter unikurier Nr. 95 Mai 2005
Zellstabilisierung unter Extrembedingungen:
Wenn Bärchen zu Tönnchen werden

Ob im Hochgebirge oder auf dem Meeresboden: Tardigraden, besser bekannt als Bärtierchen, sind wahre Überlebenskünstler. In ihrer Erbsubstanz lassen sich jene Vorgänge entschlüsseln, die eine Stabilisierung von Zellen unter extremen Bedingungen ermöglichen. Dr. Ralph Schill, Wissenschaft-licher Mitarbeiter am Biologischen Institut, Abteilung Zoologie der Uni, erforscht die anpassungsfähigen Winzlinge.
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Überlebenskünstler bei Temperatur- und Klimaschwankungen: Bärtierchen in aktivem und als Tönnchen in dehydriertem Zustand.                                                                                                                           (Quelle: Institut)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Untersuchungsobjekt hat acht kurze Beinchen und ist rund um den Globus verbreitet: Sechshundert Bärtier-chenarten sind bisher bekannt. Die größten darunter bringen es auf einen Millimeter Länge, die meisten jedoch nicht einmal auf die Hälfte. Ganz groß sind die Winzlinge dagegen, wenn es um die Anpassung an extreme Temperatur- und Klimaschwankungen geht. Trocknet ihr Lebensraum aus, schrumpfen viele Bärtierchen-Arten zu kleinen Tönnchen ohne sichtbaren Kopf und Gliedmaßen. Und in diesem Zustand halten sie einiges aus: Während ein frisch geschlüpftes Bärtierchen im aktiven Zustand auf eine Lebenserwartung von eben mal 56 Tagen hoffen darf, können die trockenen Tönnchen bei minus 220 Grad in flüssigem Stickstoff jahrelang überdauern. Kurzfristig ertragen sie sogar Temperaturen von 96 Grad Celsius, und auch hoch dosierte Röntgenstrahlen setzen ihnen so schnell nicht zu. Dieser Zustand eines Organismus, der keine offensichtlichen Lebenszeichen mehr aufweist und in dem keine metabolische Aktivität mehr nachweisbar ist, wird als Kryptobiose bezeichnet. Geduldig überdauern so die Tönnchen, bis sich die Umfeldbedingungen zum Besseren wenden. Dann nehmen sie wieder Gestalt an und werden aktiv .

 

Schutz durch Hitzeproteine

Dass das molekulare Inventar der Körperzellen keinen Schaden nimmt, ist vermutlich unter anderem so genannten Hitzeschock-Proteinen zuzuschreiben, hatte Dr. Ralph Schill bereits im Rahmen seiner früheren Forschungstätigkeit an der Uni Tübingen herausgefunden. Hitzeschock-Proteine, insbesondere die Hsp70 Gruppe, unterstützen eine Faltung neu synthetisierter Proteine, schützen sie gegenüber stressbedingter Denaturierung und Aggregation und sind auch an der Renaturierung und am transmembranösen Transport von Proteinen beteiligt. Drei solcher Hsp70 Gene ließen sich in der Erbsubstanz des Bärtierchens erstmals aufspüren. Je nach Lebenszustand werden die drei Gene unterschiedlich stark abgelesen. Beim Übergang eines aktiven Bärtierchens in den Zustand der Kryptobiose zeigte sich, dass zwei Gene geringer abgelesen werden, das andere hingegen jedoch deutlich stärker. Es scheint, dass das letztere bei der Zell-stabilisierung eine wichtige Rolle spielt.

 Die Mechanismen, die es Zellen ermöglichen, vollständig einzutrocknen oder zu gefrieren und trotzdem ihre Vitalität zu bewahren, sind von großem biotechnologischen Interesse bei der Zell- bzw. Membranstabilisierung. So steigt in der medizinischen Forschung der Bedarf an Biobanken zur langfristigen Speicherung von Zellen und Geweben für die Diagnostik. Speziell im Bereich der „individualisierten Medizin“ sind Studien über Mechanismen der Zellstabilisierung notwendig. Das erst vor kurzem genehmigte DGF-Projekt „Molekularbiologische Mechanismen der Kryptobiose bei Tardigraden“ (Momenta) von Ralph Schill hat eine möglichst umfangreiche Charakterisierung von molekularbiologischen Toleranzmechanismen bei Bärtierchen zum Ziel.

Schill/amg

 

KONTAKT

Dr. Ralph O. Schill
Biologisches Institut, Zoologie
Tel. 0711/ 685-5092
e-mail: ralph.schill@bio.uni-stuttgart.de

 

 

 


last change: 04.06.05 / yj
Pressestelle der Universität Stuttgart

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