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Stuttgarter unikurier Nr. 94 Dezember 2004
Vier Professoren debattieren über Dante:
Hommage auf dem Schleichweg
 

Seit ihrer Entstehung vor knapp 700 Jahren zog Dantes Göttliche Komödie die Gelehrten in Bann. Dass die Dichtung von Hölle, Fegefeuer und Erlösung auch heute noch für völlig überfüllte Säle sorgt, hat die Veranstalter im Stuttgarter Literaturhaus dann aber doch überrascht. Gleich vier Professoren der Uni waren dort im Juli zum lustvollen Streitgespräch über Dante zusammengekommen. Anlass war die Emeritierung von Prof. Heinz Schlaffer.

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  Die Hommage auf dem Schleichweg war gelungen. Das zahlreich erschienene Publikumgenoss die Professorendebatte mit Peter Czerwinski, Heinz Schlagger, Georg Maag und Reinhard Steiner
(von links).                                                (Foto: Eppler)

„Was man nicht lesen mag, lässt man lesen“, lautete das Motto der Veranstaltung, und dazu waren die Rollen klar verteilt. Die Partie des „Primus inter pares“ besetzte Prof. Heinz Schlaffer, Inhaber des Lehrstuhls neue deutsche Literatur I am Institut für Literaturwissenschaft der Uni. Der Germanist mit Sinn für die elegante Darstellung übernahm auch die Einführung in das Werk, das selbst vom Nimbus umgeben ist: „Es ist italienisch, in Versen geschrieben und spielt im Jenseits“, scherzte Schlaffer, „das schreckt den Leser ab und zieht den Philologen an.“

 So gehörte zu der Gelehrtenrunde auch Institutskollege Prof. Georg Maag, ein Italianist. Prof. Peter Czerwinski, Inhaber des Lehrstuhls Germanistische Mediävistik, beleuchtete das Werk aus dem Blickwinkel der Kulturgeschichte des Mittelalters. Und der Kunsthistoriker Prof. Reinhard Steiner, sich selbst die Rolle des „ewigen Widersprechers“ zuweisend, rückte die zahlreichen Bildbegriffe des Werkes in den Mittelpunkt.

 Das breite Wissenschaftsspektrum ließ reichlich Spielraum zur Ausdeutung, wie schon bei den ersten Verszeilen deutlich wurde: „Grad in der Mitte unsrer Lebensreise befand ich mich in einem dunklen Walde, weil ich den rechten Weg verloren hatte.“ Spricht hier ein Mensch - der 35-jährige Dante? -, der in einer Art Midlife-Crisis in die Sackgasse geraten ist und sich daraus per Schreibtherapie zu befreien sucht? (Schlaffer). Oder ist es vielmehr (Einspruch Czerwinski) „typisch Literaturwissenschaft“, ein Einzelproblem durch Poesie zu generalisieren? Was, wenn es diesen Dante am Ende gar nicht gab und der Wald keine Metapher war?

 Und schließlich (Maag): Was hat diesen Menschen in eine solche Krise getrieben, die ihn den Verstand zu kosten droht und den Hunger nach der göttlicher Ordnung nährt? War es Hochmut, war es Ausschweifung? Oder doch die Liebe zu Beatrice? Oder ist das Werk in Wirklichkeit eine Art Reisebeschreibung (Steiner), die zumindest im ersten Gesang „topisch“ geprägt ist und erst im zweiten Gesang den Dichter sprechen lässt?

 

Rund 1.000 Teilnehmer waren zur Jahresversammlung der Max-Planck-Gesellschaft nach Stuttgart gekommen, die vom 23. bis zum 25. Juni 2004 im Kultur- und Kongresszentrum Liederhalle stattfand. Die Universität Stuttgart war Gastgeberin eines öffentlichen Vortrags aus diesem Anlass am 24. Juni: Prof. Ulrich M. Gösele vom Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik in Halle/Saale faszinierte das Publikum mit seinem Vortrag unter dem Titel „Schöne neue Nanowelt: Chance oder Bedrohung?“. Mit der Nanotechnologie, erläuterte Gösele im bis auf den letzten Platz gefüllten Hörsaal 17.01, können winzigste nur wenige Millionstel Millimeter kleine Strukturen hergestellt werden, die mit ihren neuartigen Eigenschaften in nahezu allen Bereichen von Wissenschaft und Technik außer-gewöhnliche Anwendungsmöglichkeiten erschließen sollen.                                                          (Foto: Murat)

Spritziger Disput

Unversöhnlich schienen die Positionen, setzte es Rede und Gegenrede, hagelten die Einsprüche über die Köpfe der Zuhörer hinweg. Sie rundeten sich zu einem spritzigen Disput, der viel Information enthielt über die „Divina Commedia“ und Lust machte, das Werk dann doch einmal aus dem Bücherschrank zu holen. Bleibt die Frage, warum Dante seine literarische Großtat ausgerechnet Göttliche Komödie genannt hat.

 Hier immerhin herrschte Einigkeit: Es handele sich um ein „Poema sacro“, ein heiliges Gedicht, getragen von Allegorien und Scholastik und doch „für den Stammtisch“ deftig ausgestaltet. Die Kirche hat diese Mischung aus Religion und Poesie übrigens nie goutiert: Sie verbot das Werk um 1330, nur wenige Jahre nach seinem Erscheinen. Was nichts daran änderte, dass schon ab 1370 regelmäßige Dante-Lesungen stattfanden.

 Die Idee, diese Tradition fortzuführen und eine öffentliche Kostprobe im Literaturhaus zu offerieren, entstand im Rahmen eines Kolloquiums im Sommersemester. Urheber war Prof. Czerwinski: Da Prof. Schlaffer öffentliche Ehrungen anlässlich seiner Emeritierung strikt ablehnte, sollte ihm auf diesem „Schleichweg“ eine Hommage der etwas anderen Art zuteil werden.

 Der so Geehrte, der 1975 auf den Lehrstuhl für Neuere deutsche Lite-ratur in Stuttgart berufen und durch seine „Kurze Geschichte der deutschen Literatur“ populär wurde, zeigte einmal mehr, dass er in den europäischen Literaturen zuhause ist. „Ich versuche, in der Stuttgarter Kultur als gealterter Provinzdandy, in der württembergischen Landschaft als rüstiger Wanderer aufzutreten“, sagt Schlaffer ironisch über sich selbst. Das Publikum honorierte es mit kräftigem Applaus.

Andrea Mayer-Grenu

 

 

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Pressestelle der Universität Stuttgart

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