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Stuttgarter unikurier Nr. 94 Dezember 2004
Materialprüfungsanstalt feierte 120-jähriges Bestehen:
Rissen und Schäden auf der Spur
 

Ob in afrikanischen Sportstadien oder heimischen Kernkraftwerken: Wenn irgendwo auf der Welt Materialschäden aufzuspüren sind, hat häufig die Materialprüfungsanstalt Universität Stuttgart (MPA) ihre Hände im Spiel. Im Oktober feierte die größte universitäre Prüfanstalt dieser Art in Deutschland ihr 120-jähriges Bestehen.

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Beim Festakt waren auch zwei MPA-Mitarbeiter unter den Musikern eines Blechbläserquartetts. „Weil wir mit Materialien auch kunstvoll umgehen können“, bemerkte der geschäftsführende Direktor Prof. Eberhard Roos. Im Alltag dagegen rücken die rund 400 MPA-Mitarbeiter der Materie unter Extrembedingungen zuleibe. Um Verhalten und Lebensdauer von Werkstoffen oder Bauteilen zu testen, werden Ziegel unter Druck gesetzt und Glasplatten gerammt, Rohre zum Bersten gebracht und Schweißverbindungen gesprengt.

 „Es gibt keinen Widerspruch zwischen Theorie und Praxis“, lautete das Motto Carl von Bachs, der die MPA 1884 gründete. Damals war dies eine Weichenstellung, wie die Direktoren Prof. Roos und Prof. Hans-Wolf Reinhardt in einem Rückblick verdeutlichten. Schätzten Ingenieure die Praxistauglichkeit von Bauteilen bis dato nach Erfahrung ab, so begründete Bach die wissenschaftliche Erforschung von Belastungsfällen. Im Mittelpunkt standen Dampfmaschinen und -lokomotiven, später Stahl-Betonelemente für den Brückenbau und die Beläge der ersten Autobahnen.

 

Schweißsimulation am Beispiel einer mehrlagigen Orbitalschweißnaht.                                  (Fotos: MPA)

Schwierige Integration

1927 teilte sich das Institut: Während der Maschinenbau an der Staatlichen MPA verblieb, wurde das Bauwesen auf die „Forschungs- und Materialprüfanstalt für das Bauwesen“ (FMPA), das spätere Otto-Graf-Institut, übertragen. Erst seit 2003 arbeiten MPA und FMPA wieder unter einem Dach. Die Reintegration ist kein leichtes Unterfangen. „Es gilt, die unterschiedlichen Strukturen der ehemaligen Einzelinstitute zu harmonisieren und an die Gepflogenheiten der künftigen Forschungsförderung anzupassen“, skizzierte Roos das Problem, „aber wir sind auf einem guten Weg.“

 Untersucht wird an der MPA, wie sich ein Material im späteren Bauteil verhält. „Dank der Verknüpfung von akademischem Wissen und praktischen Problemlösungen, aber auch von Forschung und Lehre blickt die MPA auf eine 120-jährige Erfolgsgeschichte zurück“, unterstrich Rektor Prof. Dieter Fritsch. „Das Vermächtnis Carl von Bachs ist aktueller denn je.“

 

  Hochleistungsbeton in moderner Architektur.

Veränderte Rahmenbedingungen

Allerdings: Die MPA muss sich anpassen. „Die Materialprüfung hat sich dramatisch verändert“, betonte Prof. Roos, „während früher Werkstoffe und einfache Bauteile unter realen Bedingungen im Großversuch getestet wurden, erfordert die komplexe Technik moderner Materialien genaue Kenntnis der Werkstoffgesetze und den Einsatz leistungsfähiger Rechner. Ohne Simulationen ist die heutige Materialprüfung nicht möglich.“

Ebenso dramatische Veränderungen brachte der Ausstieg aus der Kernenergie: Kamen im Bereich Maschinenbau vor einem Jahrzehnt noch 80 Prozent der Forschungsaufträge aus dem Bereich Kerntechnik, so sind es heute keine 20 Prozent mehr. Die Entwicklung erfordert Flexibilität: „Wenn wir unsere Kompetenz erhalten wollen, brauchen wir ein Budget für die Kernenergie“, forderte Roos.

Glaubt man Stefan Mappus, stehen die Chancen dafür nicht gut. Zwar plädierte der Umwelt- und Verkehrsminister für die Kernenergie. Bei der Anlagenkontrolle jedoch setzt das Land auf den TÜV als Generalgutachter. Für Detailfragen sei die MPA dennoch ein wichtiger Partner: „Mit ihren Forschungsergebnissen trägt sie entscheidend zur sicheren Nutzung der Kernenergie in Deutschland bei.“

 

Applikation von Dehnungsmessstreifen für Dehnungsmessungan an einer Rohrrundnaht.

Erweitertes Portfolio

Die MPA selbst setzt derweil auf Diversifizierung. Ein Schwerpunkt ist die fossile Energietechnik. „Wir erforschen das Verhalten neuer Materialien, mit denen sich höhere Drucke und Temperaturen realisieren lassen. Dies ermöglicht eine Effizienzsteigerung in konventionellen Kraftwerken“, sagte Roos. Auch der Baubereich, der in den vergangenen Jahren konjunkturell bedingt Federn lassen musste, schaut nach vorne: Jüngst wurden 700.000 Euro in eine Prüfanlage für den Brandschutz investiert, die den Feuerwiderstand ganzer Bauteile ermitteln kann.

 Die Fachbeiträge beim Festakt spiegelten das Portfolio wider. Dr. Werner Zaiss, EnBW Kernkraft, würdigte die Arbeit der MPA als „Beitrag zur Sicherheit kerntechnischer Anlagen“. Claude Pugh, ehemaliger Direktor am Oak Ridge National Laboratory, lenkte den Blick auf die nukleare Sicherheit in den USA. Prof. Teruo Kishi, Präsident des japanischen National Institute of Material Science (NIMS), sprach zur Politik der Nanotechnologie und Materialforschung in Japan und Prof. Horst Bossenmeyer, ehemaliger Präsident des Deutschen Instituts für Bautechnik, über die Rolle der MPA als Partner der Bauaufsicht. Zum Abschluss referierte der Präsident der Volkswagen AutoUni, Prof. Walter Zimmerli, über die Wissenswirtschaft in einer Technologiegesellschaft.

Andrea Mayer-Grenu


 

 

KONTAKT

Materialprüfungsanstalt Universität Stuttgart
Pfaffenwaldring 32, 70569 Stuttgart
Tel. 0711/685-2604, -3059
Fax 0711/685-2535,
e-mail: constance.crane@mpa.uni-stuttgart.de, simone.stumpp @mpa.uni-stuttgart.de
sowie unter www.mpa.uni-stuttgart.de


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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