„Feder am Hut?“
Unter dem Titel „Feder am Hut? Kunstgeschichte in
Stuttgart“ widmete sich am 2. Mai Prof. Herwarth Röttgen,
der von 1977 bis 1997 den Lehrstuhl für Kunstgeschichte
innehatte, den Anfängen dieses Faches in Stuttgart. 1865
wurde der Kunsthistoriker und Stilgeschichtler Wilhelm Lübke
als Professor an das Stuttgarter Polytechnikum berufen - das
älteste Kunsthistorische Institut an einer deutschen
Technischen Hochschule war gegründet. Auf Lübke folgte 1885
Carl Lemcke, ein Verfechter des Realismus, der als
zeitweiliger Direktor des Museums der schönen Künste (heute
die Staatsgalerie) einer der Ersten war, der zeitgenössische
Kunst wie etwa Thoma und Landenberger kaufte. 1904 wurde
Heinrich Weizsäcker nach Stuttgart berufen, 1935 Otto
Schmitt, der das Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte
gründete, an dem noch heute in München gearbeitet wird, und
1953 kam Hans Wenzel.
Herwarth Röttgen, mit den Lehrschwerpunkten
deutsche spätgotische und Renaissancekunst und italienische
Kunst vom 16. bis 19. Jahrhundert, „boxte“ 1977 gegen den „Willen
der Uni“ für die Kunstgeschichte den Abschluss Magister
Artium und die Bestätigung des Promotionsrechts durch. „Der
Kampf um Gelder und Mittel war mühevoll, aber immer
erfolgreich“, erinnerte sich Röttgen. Im Hinblick auf die
aktuelle Lage, in der unter dem Druck der Finanzen
Lehrstühle gestrichen werden, so unter anderen auch der
Lehrstuhl für Historische Hilfswissenschaften, ohne den die
Studierenden das richtige Lesen von Quellen jedoch nicht
erlernen könnten, fragte Röttgen, ob man eigentlich davor
warnen müsste, „an einer solch verkümmerten Uni“ zu
studieren? Ein Blick in die Geschichte zeigte jedoch: Schon
1976 klagte Lübke öffentlich über fehlende Mittel.
Wichtiges Bindeglied
Die Kunstgeschichte in Stuttgart qualifiziere mit ihrer
universellen Ausbildungskapazität für eine spätere Tätigkeit
in Museen, Verlagen und Universitäten bis hin zum
Kunsthandel, Kulturjournalismus oder Tourismus, betonte
Herwarth Röttgen. Mit jedem weiteren „ausgebrochenen Zahn“
gehe diese universelle Ausbildung jedoch verloren, mahnte er,
da gerade in der Querverzweigung der Fächer die Qualität
liege. Nach wie vor sei die Kunstgeschichte an der
Universität Stuttgart aber nicht nur eine Feder am Hut,
sondern ein wichtiges Bindeglied, dessen Erhalt auf höchstem
Niveau für Forschung und Lehre erstrebenswert sei: „Die
Kunstwerke warten darauf, dass man sie entdeckt.“
Als die Technische Hochschule ihren Namen verlor
Wer bislang glaubte, Namen seien Schall und Rauch, wurde
bei der zweiten Sonntagsmatinee am 6. Juni eines Besseren
belehrt. Der Historiker Prof. August Nitschke, der von 1960
bis zu seiner Emeritierung 1994 an der Uni Stuttgart lehrte,
berichtete als Zeitzeuge von dem Nachmittag, an dem die „Technische
Hochschule“ Stuttgart ihren Namen verlor. 77 Jahre lang
hatte sich die einstige Vereinigte Real- und Gewerbeschule
so genannt, nun sollte sie zur Universität werden. Am 30.
Juni 1965 hatte der große Senat der TH Stuttgart beschlossen,
die Namens-änderung beim Ministerium zu beantragen - zwei
Jahre später wurde es in die Tat umgesetzt.
Mit der Namensänderung war die Hoffnung verbunden,
die alte TH zu erhalten, erzählte August Nitschke. Es waren
keine neue Fakultäten gewollt und schon gar keine
Philosophen oder gar Lehrer. Der Schwerpunkt, so die
Vorstellung des damaligen Rektors Wolfgang Meckelein, sollte
bei der Technik bleiben und alle anderen Fakultäten hätten
sich daran zu orientieren. Von den Geisteswissenschaftlern
kamen keine Einwände - weshalb? Nun, der Historiker Golo
Mann beispielsweise hatte damals andere Interessen,
erinnerte sich August Nitschke, der Philosoph Max Bense
fühlte sich den Ingenieurwissenschaften näher als den
Geisteswissenschaften. Zudem: Schon 1963 hatten die
Geisteswissenschaften Ausbaupläne eingebracht, die vom
Großen Senat gebilligt worden waren. Es war geplant, die
Sprachen außereuropäischer Kulturen sowie unter anderem
Psychologie, Völkerkunde und Geographie als
Aufbaustudiengänge für die Ingenieurwissenschaften
anzubieten. Besonders der Bauingenieur Fritz Leonhardt war
davon angetan, arbeitete er doch auf seinen Baustellen in
Afrika und Asien immer wieder mit Menschen anderer Kulturen
zusammen.
Diese Form der Bildung, die Studierenden mit der
Kultur anderer Länder, deren Geographie, Volkswirtschaft und
Sprache bekannt zu machen, entsprach nicht dem Bildungsideal
von Wilhelm von Humboldt aus dem Jahr 1809, an dem sich die
„alten“ Universitäten orientierten. Demnach, so Nitschke,
gehörte zu einem Studium, in dem der Studierende durch sein
Forschen auch seinen Charakter bilde, die Philosophie und
die Geschichte der alten Griechen, denn Humboldt sei der
Überzeugung gewesen, „im griechischen Charakter meistenteils
den ursprünglichen Charakter der Menschheit überhaupt zu
finden“. In Stuttgart wurde dieser Humboldtsche Ansatz -
nicht nur von Bense - für unwissenschaftlich gehalten.
Die Ausbaupläne von 1963, die „vergessen wurden“
und auch - was August Nitschke nicht verstehen kann - von
der Industrie nicht mehr nachgefragt werden, hätten zu einer
„wirklichen Universität“ geführt, so der Historiker, die
dazu beitragen hätte, außereuropäische Kulturen zu
erschließen. Die neuen Universitäten werden Humboldts
Universität vielleicht einmal ersetzen, gab Nitschke seiner
Hoffnung Ausdruck und merkte zum Schluss versöhnend an: „Die
Universität Stuttgart hatte wenigstens den Mut, es zu
versuchen, sich mit den Kulturen der anderen Länder
auseinander zu setzen.“
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Hier fing alles an: der Offizierpavillon 1829. |
Auf Umwegen in den Pfaffenwald
Weshalb die Universität in den Pfaffenwald zog? Klaus
Schmiedek, Leiter des Universitätsbauamts Stuttgart und
Hohenheim, bot seinen Zuhörern am 4. Juli einen Rückblick in
die Baugeschichte der Universität. In der Königstraße 12,
dem Offizierspavillon, fing 1829 alles an. Die Vereinigte
Real- und Gewerbeschule zog ein und litt bald unter
Platzmangel. Da vor Ort eine Ausdehnung unmöglich war,
folgte 1864 der Umzug in einen imposanten Neubau, den Josef
von Egle im heutigen Stadtgartengelände im Stil der
italienischen Renaissance entworfen hatte.
Es
kam, wie es kommen musste, die Räumlichkeiten wurden zu
klein für die zunehmenden Studentenzahlen und bei jeder
Erweiterung war der städtische Bau als Konkurrent
allgegenwärtig. So fand die Physik in der Azenbergstraße
Unterkunft, die Ingenieurlaboratorien zusammen mit der
Materialprüfanstalt im Stadtteil Berg und schließlich die
Luftfahrt und Flugtechnik in Untertürkheim. Nach 100 Jahren
hatte die Technische Hochschule auf diese Weise nun viele
Gebäude, verteilt über den ganzen Stadtkreis, aber keinen
zusammenhängenden Hochschulkomplex.
Die
Studentenzahlen stiegen, die Verlagerung der ganzen
Hochschule wurde zum Thema und drei Varianten standen zur
Diskussion: Rosensteinpark, Weißenhof und in Ludwigsburg der
Favoritepark - Nummer drei ein kleines Druckmittel gegenüber
der Stadt Stuttgart, die nur wenig Interesse an den
Platzproblemen der Hochschule zeigte. „Würde man nur die
Begabten studieren lassen, hätte man keinen Platzmangel“,
habe man damals verlauten lassen, erzählte Klaus Schmiedek.
Der Wasen in Untertürkheim kam noch ins Gespräch, bald
aufgrund der Ausweitungswünsche von Daimler wieder verworfen,
und ab 1931 wurde dann der Degerlocher Wald favorisiert. Für
die ersten Umzüge wurde dort 1938 eine Holzbaracke für die
Technische Physik erstellt.
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Die Universität Stuttgart
heute. |
Nach dem Krieg hatte die Technische Hochschule 70
Prozent ihrer Gebäude verloren. Rund um den Stadtgarten
sollte nun der Wiederaufbau erfolgen, der Platz würde
reichen, nahm man an, und war wieder einmal zu voreilig. Der
seit 1951 unter Naturschutz gestellte Degerlocher Wald war
nun jedoch kein Baugrund mehr, und nach einigen Volten kamen
Fasanenhof und Pfaffenwald in die engere Wahl. Trotz vieler
Proteste, besonders von Seiten des Naturschutzes, fiel 1955
die Entscheidung für den Pfaffenwald - 2005 steht somit
wieder ein Jubiläum an - und 1958 konnte dort das erste
Richtfest gefeiert werden.
Damit Bauvorhaben gelingen, muss man zunächst einmal
wissen, was man will, dann müssen die notwendigen Mittel wie
Gelder und Baugrund vorhanden sein, die Partner müssen
mitspielen und zu alledem bedarf es noch Glück, fasste Klaus
Schmiedek die Erfahrungen aus der Baugeschichte der
Universität zusammen. Nicht trotz, sondern vielleicht gerade
wegen der unsäglichen Dinge sei die Uni nun an der richtigen
Stelle angekommen, an der sie auch weiter wachsen kann. Und:
„Die Lage drückt auch aus, welche abseitige Lage diese
Hochschule für die Stadt Stuttgart hatte“, so das Resümee
des Referenten.
Julia Alber
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