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Stuttgarter unikurier Nr. 94 Dezember 2004
Sonntagsmatinee im Jubiläumsjahr:
Blick in die Unigeschichte
 

175 Jahre Universität Stuttgart - auch die Vorträge der Sonntagsmatinee standen im Sommersemester im Zeichen des Jubiläums. An drei Sonntagen boten Stuttgarter Wissenschaftler den stets zahlreich anwesenden Gästen Einblicke in die Geschichte der Universität Stuttgart: 1929 als „Vereinigte Real- und Gewerbeschule“ gegründet, von 1890 bis 1967 Technische Hochschule, wurde sie im Jahr 1967 zur Universität.

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„Feder am Hut?“

Unter dem Titel „Feder am Hut? Kunstgeschichte in Stuttgart“ widmete sich am 2. Mai Prof. Herwarth Röttgen, der von 1977 bis 1997 den Lehrstuhl für Kunstgeschichte innehatte, den Anfängen dieses Faches in Stuttgart. 1865 wurde der Kunsthistoriker und Stilgeschichtler Wilhelm Lübke als Professor an das Stuttgarter Polytechnikum berufen - das älteste Kunsthistorische Institut an einer deutschen Technischen Hochschule war gegründet. Auf Lübke folgte 1885 Carl Lemcke, ein Verfechter des Realismus, der als zeitweiliger Direktor des Museums der schönen Künste (heute die Staatsgalerie) einer der Ersten war, der zeitgenössische Kunst wie etwa Thoma und Landenberger kaufte. 1904 wurde Heinrich Weizsäcker nach Stuttgart berufen, 1935 Otto Schmitt, der das Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte gründete, an dem noch heute in München gearbeitet wird, und 1953 kam Hans Wenzel.

 Herwarth Röttgen, mit den Lehrschwerpunkten deutsche spätgotische und Renaissancekunst und italienische Kunst vom 16. bis 19. Jahrhundert, „boxte“ 1977 gegen den „Willen der Uni“ für die Kunstgeschichte den Abschluss Magister Artium und die Bestätigung des Promotionsrechts durch. „Der Kampf um Gelder und Mittel war mühevoll, aber immer erfolgreich“, erinnerte sich Röttgen. Im Hinblick auf die aktuelle Lage, in der unter dem Druck der Finanzen Lehrstühle gestrichen werden, so unter anderen auch der Lehrstuhl für Historische Hilfswissenschaften, ohne den die Studierenden das richtige Lesen von Quellen jedoch nicht erlernen könnten, fragte Röttgen, ob man eigentlich davor warnen müsste, „an einer solch verkümmerten Uni“ zu studieren? Ein Blick in die Geschichte zeigte jedoch: Schon 1976 klagte Lübke öffentlich über fehlende Mittel.

 

Wichtiges Bindeglied

Die Kunstgeschichte in Stuttgart qualifiziere mit ihrer universellen Ausbildungskapazität für eine spätere Tätigkeit in Museen, Verlagen und Universitäten bis hin zum Kunsthandel, Kulturjournalismus oder Tourismus, betonte Herwarth Röttgen. Mit jedem weiteren „ausgebrochenen Zahn“ gehe diese universelle Ausbildung jedoch verloren, mahnte er, da gerade in der Querverzweigung der Fächer die Qualität liege. Nach wie vor sei die Kunstgeschichte an der Universität Stuttgart aber nicht nur eine Feder am Hut, sondern ein wichtiges Bindeglied, dessen Erhalt auf höchstem Niveau für Forschung und Lehre erstrebenswert sei: „Die Kunstwerke warten darauf, dass man sie entdeckt.“

 

Als die Technische Hochschule ihren Namen verlor

Wer bislang glaubte, Namen seien Schall und Rauch, wurde bei der zweiten Sonntagsmatinee am 6. Juni eines Besseren belehrt. Der Historiker Prof. August Nitschke, der von 1960 bis zu seiner Emeritierung 1994 an der Uni Stuttgart lehrte, berichtete als Zeitzeuge von dem Nachmittag, an dem die „Technische Hochschule“ Stuttgart ihren Namen verlor. 77 Jahre lang hatte sich die einstige Vereinigte Real- und Gewerbeschule so genannt, nun sollte sie zur Universität werden. Am 30. Juni 1965 hatte der große Senat der TH Stuttgart beschlossen, die Namens-änderung beim Ministerium zu beantragen - zwei Jahre später wurde es in die Tat umgesetzt.

 Mit der Namensänderung war die Hoffnung verbunden, die alte TH zu erhalten, erzählte August Nitschke. Es waren keine neue Fakultäten gewollt und schon gar keine Philosophen oder gar Lehrer. Der Schwerpunkt, so die Vorstellung des damaligen Rektors Wolfgang Meckelein, sollte bei der Technik bleiben und alle anderen Fakultäten hätten sich daran zu orientieren. Von den Geisteswissenschaftlern kamen keine Einwände - weshalb? Nun, der Historiker Golo Mann beispielsweise hatte damals andere Interessen, erinnerte sich August Nitschke, der Philosoph Max Bense fühlte sich den Ingenieurwissenschaften näher als den Geisteswissenschaften. Zudem: Schon 1963 hatten die Geisteswissenschaften Ausbaupläne eingebracht, die vom Großen Senat gebilligt worden waren. Es war geplant, die Sprachen außereuropäischer Kulturen sowie unter anderem Psychologie, Völkerkunde und Geographie als Aufbaustudiengänge für die Ingenieurwissenschaften anzubieten. Besonders der Bauingenieur Fritz Leonhardt war davon angetan, arbeitete er doch auf seinen Baustellen in Afrika und Asien immer wieder mit Menschen anderer Kulturen zusammen.

 Diese Form der Bildung, die Studierenden mit der Kultur anderer Länder, deren Geographie, Volkswirtschaft und Sprache bekannt zu machen, entsprach nicht dem Bildungsideal von Wilhelm von Humboldt aus dem Jahr 1809, an dem sich die „alten“ Universitäten orientierten. Demnach, so Nitschke, gehörte zu einem Studium, in dem der Studierende durch sein Forschen auch seinen Charakter bilde, die Philosophie und die Geschichte der alten Griechen, denn Humboldt sei der Überzeugung gewesen, „im griechischen Charakter meistenteils den ursprünglichen Charakter der Menschheit überhaupt zu finden“. In Stuttgart wurde dieser Humboldtsche Ansatz - nicht nur von Bense - für unwissenschaftlich gehalten.

 Die Ausbaupläne von 1963, die „vergessen wurden“ und auch - was August Nitschke nicht verstehen kann - von der Industrie nicht mehr nachgefragt werden, hätten zu einer „wirklichen Universität“ geführt, so der Historiker, die dazu beitragen hätte, außereuropäische Kulturen zu erschließen. Die neuen Universitäten werden Humboldts Universität vielleicht einmal ersetzen, gab Nitschke seiner Hoffnung Ausdruck und merkte zum Schluss versöhnend an: „Die Universität Stuttgart hatte wenigstens den Mut, es zu versuchen, sich mit den Kulturen der anderen Länder auseinander zu setzen.“

 

Hier fing alles an: der Offizierpavillon 1829.
Auf Umwegen in den Pfaffenwald

Weshalb die Universität in den Pfaffenwald zog? Klaus Schmiedek, Leiter des Universitätsbauamts Stuttgart und Hohenheim, bot seinen Zuhörern am 4. Juli einen Rückblick in die Baugeschichte der Universität. In der Königstraße 12, dem Offizierspavillon, fing 1829 alles an. Die Vereinigte Real- und Gewerbeschule zog ein und litt bald unter Platzmangel. Da vor Ort eine Ausdehnung unmöglich war, folgte 1864 der Umzug in einen imposanten Neubau, den Josef von Egle im heutigen Stadtgartengelände im Stil der italienischen Renaissance entworfen hatte.

 Es kam, wie es kommen musste, die Räumlichkeiten wurden zu klein für die zunehmenden Studentenzahlen und bei jeder Erweiterung war der städtische Bau als Konkurrent allgegenwärtig. So fand die Physik in der Azenbergstraße Unterkunft, die Ingenieurlaboratorien zusammen mit der Materialprüfanstalt im Stadtteil Berg und schließlich die Luftfahrt und Flugtechnik in Untertürkheim. Nach 100 Jahren hatte die Technische Hochschule auf diese Weise nun viele Gebäude, verteilt über den ganzen Stadtkreis, aber keinen zusammenhängenden Hochschulkomplex.

 Die Studentenzahlen stiegen, die Verlagerung der ganzen Hochschule wurde zum Thema und drei Varianten standen zur Diskussion: Rosensteinpark, Weißenhof und in Ludwigsburg der Favoritepark - Nummer drei ein kleines Druckmittel gegenüber der Stadt Stuttgart, die nur wenig Interesse an den Platzproblemen der Hochschule zeigte. „Würde man nur die Begabten studieren lassen, hätte man keinen Platzmangel“, habe man damals verlauten lassen, erzählte Klaus Schmiedek. Der Wasen in Untertürkheim kam noch ins Gespräch, bald aufgrund der Ausweitungswünsche von Daimler wieder verworfen, und ab 1931 wurde dann der Degerlocher Wald favorisiert. Für die ersten Umzüge wurde dort 1938 eine Holzbaracke für die Technische Physik erstellt.

Die Universität Stuttgart heute.

 Nach dem Krieg hatte die Technische Hochschule 70 Prozent ihrer Gebäude verloren. Rund um den Stadtgarten sollte nun der Wiederaufbau erfolgen, der Platz würde reichen, nahm man an, und war wieder einmal zu voreilig. Der seit 1951 unter Naturschutz gestellte Degerlocher Wald war nun jedoch kein Baugrund mehr, und nach einigen Volten kamen Fasanenhof und Pfaffenwald in die engere Wahl. Trotz vieler Proteste, besonders von Seiten des Naturschutzes, fiel 1955 die Entscheidung für den Pfaffenwald - 2005 steht somit wieder ein Jubiläum an - und 1958 konnte dort das erste Richtfest gefeiert werden.

 Damit Bauvorhaben gelingen, muss man zunächst einmal wissen, was man will, dann müssen die notwendigen Mittel wie Gelder und Baugrund vorhanden sein, die Partner müssen mitspielen und zu alledem bedarf es noch Glück, fasste Klaus Schmiedek die Erfahrungen aus der Baugeschichte der Universität zusammen. Nicht trotz, sondern vielleicht gerade wegen der unsäglichen Dinge sei die Uni nun an der richtigen Stelle angekommen, an der sie auch weiter wachsen kann. Und: „Die Lage drückt auch aus, welche abseitige Lage diese Hochschule für die Stadt Stuttgart hatte“, so das Resümee des Referenten.

Julia Alber
 

 

 


last change: 22.12.04 / yj
Pressestelle der Universität Stuttgart

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