„Wenn einer eine Reise tut, dann kann er viel erleben“ -
Wohnungs-aufbau inklusive. Egal wie lange die Anfahrt war, ob
Frankfurt, Bremen, Wien oder Berneck, bei der Ankunft auf
dem Brachgelände hinter dem Stuttgarter Hauptbahnhof hieß es
nicht Zimmerbezug, sondern Container aufstellen. Zunächst
virtuell im Computer, dann real unter fachkundiger Anleitung
eines Kranführers.
Versorgungs- und Sanitärcontainer stehen schon bereit
und verbreiten mit den davor über Wasserpfützen verlaufenden
Holzdielen venezian-isches Flair. Für die sechs Wohncontainer
haben sich die sechzehn Jugendlichen im Alter zwischen 16
und 18 Jahren schnell auf einen Halbkreis geeinigt. Freie
Wege, keine Containertür, die zur Gefahren-quelle werden kann:
Balthasar Novák ist zufrieden. „Rechtwinklig angelegte Wege
sind eine Todsünde“ hatte der Professor vom Institut für
Leichtbau, Entwerfen und Konstruieren zuvor erklärt, wählen
die Menschen doch immer den kürzesten Weg, wie Trampelpfade
aller Orten zeigen. Auch die Ausrichtung der Container mit
den Fenstern nach Osten hin hat geklappt. „Die Vorstellung,
von der Sonne geweckt zu werden, hat nicht allen gefallen“,
merkt Professorin Silke Wieprecht vom Institut für Wasserbau
an, aber die Aussicht auf einen von der Sonne backofengleich
aufgeheizten Container hat dann doch überzeugt.
Während sich die Jugendlichen noch über die Wasser-
und Stromversorgung des Camps und dessen Abwasser Gedanken
machen, rückt die Begrüßung an: Oberbürgermeister Dr.
Wolfgang Schuster und Uni Rektor Professor Dieter Fritsch.
Wolfgang Schuster lädt die Jugendlichen ein, „Stuttgart zu
genießen“. Viele Experimente verspricht Dieter Fritsch für
die kommenden Tage und er hofft darauf, den einen oder
anderen nanoCAMPer nach dem Abitur als Studentin oder
Student an der Uni begrüßen zu dürfen. „Dank Professor Novák
haben sie kein Hotelzimmer, sondern wohnen auf der Baustelle!“,
erklärt Helmut Riedl, Planungskoordinator der Sendung nano,
noch, dann ist vor dem Bettenbezug Sand schaufeln angesagt -
nicht nur für die Fotografen, auch aus Eigeninteresse,
immerhin sollen die 25 Kubikmeter zum Beachvolleyballfeld
werden.
Vom Virtuellen zum Realen
Im Höchstleistungsrechenzentrum der Uni Stuttgart
fängt der Tag virtuell an. Die 3-D-Brillen verdecken so
manchen Augenring und versetzen die Jugendlichen im Cave
mitten hinein in virtuelle Bauwerke, in denen sie planend
aktiv werden können. Kurz war die Nacht, die Begeisterung
beim Einrichten der Wohncontainer am PC aber trotzdem groß.
Wie wäre es beispielsweise mit einem Whirlpool? Der
Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.
Windumtost und etwas regnerisch präsentiert sich
später die Realität: der Killesbergturm - 40,4 Meter hoch,
die Aussichtsplattform auf 31 Metern. Rundum 48 Spiralseile
mit nur 18 Millimetern Durchmesser geben ihm halt. Doch wenn
sechzehn Jugendliche heftig auf der obersten Plattform
rütteln, dann kommt er in Schwung ... und mit ihm sein
Erbauer, Professor Jörg Schlaich, der viele Jahre am
früheren Institut für Massivbau der Universität Stuttgart
lehrte und forschte. Für die IGA 1993 als leichter Turm mit
großzügiger Plattform geplant, wurde der Bau erst 2001
realisiert, erzählt der Bauingenieur. Dank der Vorspannung
der Seile, die Zug in Druck umwandeln können, steht der
Killesberg-turm auch schwankend fest - eine transparente,
tragende Röhre sozusagen. Die separaten Auf- und Abgänge
gehen auf eine Kindheitserinnerung Schlaichs zurück, der mit
seinen Eltern oft einen Turm bestieg, in dessen Innerem man
auf engen Treppen mit Gegenverkehr konfrontiert war.
„Konstruierender Ingenieurbau, das ist ein kreativer Beruf“,
legt Jörg Schlaich den nanoCAMPern ans Herz. „Hier kann man
noch
als Einzelner etwas bewirken und arbeitet nicht die längste
Zeit seines Arbeitslebens zum Beispiel nur an der Tragfläche
eines Flugzeuges.“ Und er führt die Jugendlichen auch in die
Geheimnisse des von ihm entwickelten Aufwindkraftwerks ein -
errichtet in den „sonnigen“ Wüsten der Welt, so zum Beispiel
in der Sahara, könnten die Entwicklungsländer mit dessen
Hilfe sogar Energie exportieren.
23.00 Uhr, Großbaustelle B10
am Pragsattel - der Tag war lang. „Wenn die weiter so
mitmachen, dann sind sie am Donnerstag alle platt“, hatte
Balthasar Novák vor vier Stunden noch angesichts der aktiven
jungen „Brückenbauer“ gesagt. Vier Gruppen, jeweils
ausgestattet mit Holzlatten, Nägeln, Seilen und Draht, waren
in der Tiefe der Tunnelbau-stelle gegeneinander angetreten.
Es galt, eine stabile vier Meter lange Brücke zu
konstruieren. Sägen, Bohren, Überlegen, Nägel einschlagen
... während sich eine reine Herrengruppe für eine
Fachwerkkonstruktion Marke Jägerzaun entschied, favorisierte
die Damengruppe eine Seilkonstruktion. Bei der
abschließenden Belastungsprobe mit einem
1000-Liter-Wassertank trägt diese tatsächlich 185 Kilogramm
und kommt damit auf Platz drei, Vanessa kann es kaum fassen.
Mit 400 Kilogramm belegen die Herren Platz zwei und erst bei
rund 700 Kilogramm bricht die Nummer eins, ein etwas
eigenwilliges Bauwerk. Hier hat sich der harte Sägeeinsatz
von Karoline gelohnt und Maxim sieht seine Devise bestätigt:
„Auch ein gewisser Schuss Kreativität darf sein.“
Wasser marsch
Ob sie wohl etwas weiß um die Nase sind? Vor knapp 15
Minuten sind sie in den Tiefen der Stuttgarter Kanalisation
verschwunden. Gut gerüstet mit weißem Vollkörperanzug,
Handschuhen, Gummistiefeln, einem gelben Helm mit Lampe auf
dem Kopf und um die Brust einen Trapezgurt - der Sicherheit
wegen. Die andere Gruppe hat sich derweil am Morgen des
dritten Tages zuerst einen Film im Infozentrum der
Stadtentwässerung Stuttgart am Neckartor angesehen, sich
über die Arbeit der Wasserwerker im und am 1.735 Kilometer
langen Kanalnetz informiert und erfahren - hier sind sogar
Goldgräber am Werk, finden sich doch Geld und Eheringe in
der Kanalisation.
„Hat nicht mal so schlimm
gerochen wie befürchtet“, stellt Christina erleichtert fest.
Dinka wundert sich: „Hier oben riecht es ja fast schlimmer
als unten!“, und dann erzählt sie von der Ratte, die ihnen
über den Weg gelaufen ist. Der nächsten Gruppe reicht es
gerade noch zur Entnahme einer Luftprobe, denn die Warnung
„Regen“ heißt, den Kanal schnellstens zu verlassen. Nächste
Station ist Büsnau. Dr. Martin Reiser vom Institut für
Siedlungswasserbau, Wassergüte- und Abfallwirtschaft zeigt
den nanoCAMPern dort das Forschungsklärwerk einschließlich
der wichtig-sten Techniken der Abwasserbehandlung und weist
sie in die Bedienung eines Olfaktometers ein. Nun sind die
„feinen Näschen“ der Jugendlichen gefragt. Wer den
Geruchsstoffen nicht mit der eigenen Nase auf die Spur
kommen möchte, für den gibt es jedoch auch die technische
Version. 250 Substanzen macht das Massenspektrometer in der
Kanalluftprobe aus, einschließlich der stinkenden Amine- und
Schwefelverbindungen.
Deutschland, Institut für Wasserbau, Multilab,
15.50 Uhr: Léon schläft. Ob er wohl im Unterbewusstsein den
Worten von Bernd Zweschper vom Institut für Geotechnik
folgt? Der erklärt nämlich gerade, wie man Dämme baut und
was denen alles passieren kann: Überströmt können sie
werden, das Wasser kann sie verschieben, ihre Böschung
brechen und Material ausschwemmen. In der Versuchsanlage
sollen die nanoCAMPer später nämlich einen wasserdichten und
standsicheren Hochwasserschutz erstellen.
Sämtliche Dammbaumaterialien
stehen bereit, Ton, Schluff, Sand, Kies, Spaten und
- „Ein Bagger?“, nein, den benötigt man für die Dämme
en miniature nicht, da ist Léons Traum wohl etwas zu groß
geraten. „Zusehen wie der Damm bricht, das macht am meisten
Spaß“, findet Thorsten. Im Moment teilt diese Meinung nur
noch Silke Wieprecht. Sie wirbt für´s instabile Bauen,
sollen die Jugendlichen doch einmal sehen, wie sich eine
Sickerlinie durch den Damm zieht. Vanessa und Karoline bauen
unbeirrt für die Ewigkeit, Léon liefert dazu eine spezielle
„ägyptische Mischung“. Ein Bauingenieur würde doch auch
nicht absichtlich einen Einsturzkandidaten bauen, ist ihr
unschlagbares Argument. Dann doch lieber später den Supergau
provozieren und den Damm überschwemmen ...
Vermessen und sich wohl fühlen
Das Container-Camp vermessen - wer hätte gedacht, dass
diese Aktion so in die Muskeln gehen kann. Tobias und Léon
kämpfen mit dem propellerbetriebenen Heliumballon.
Ausgerüstet mit Präzisionskameras soll er Bilder vom Camp
liefern, doch dazu muss er über den richtigen Stellen
schweben, und das ist an diesem windigen Vormittag alles
andere als einfach. Zusammen mit den Vermessungsdaten und
Bildern des „Bodentrupps“ sollen die Luftbilder später in
den Computer eingegeben werden, und wenn die GPS-Daten
richtig erfasst wurden, müsste sich das nanoCAMP in den
vorliegenden virtuellen Stadtplan von Stuttgart richtig
einpassen lassen. Doch nicht nur an Stadtplänen arbeiten die
Wissenschaftler des Instituts für Photogrammetrie, erfahren
die jungen Vermesser, auch zum Beispiel für die
Echtzeitnavigation von Fahrzeugen ist deren Arbeit gefragt.
Bei blauem Himmel und
strahlender Sonne denken die nanoCAMPer nicht an den Winter.
Professor Fritz Brenner vom Institut für Baubetriebslehre
dagegen schon. „Im Winter, da wäre das Camp schwieriger zu
bauen gewesen“, erzählt er, denn Wasser- und
Abwasserleitungen müssen vor Kälte geschützt werden - und
das kostet Zeit. Zeit, die gerade bei Großbauten sehr genau
kalkuliert werden muss. Wie sorgt man für den richtigen
Wärmehaushalt in Gebäuden und wie wird eine gute
Schalldämmung erreicht? Für diese Fragen stand Professor
Klaus Sedlbauer vom Uni-Lehrstuhl und dem
Fraunhofer-Institut für Bauphysik den nanoCAMPern zur
Verfügung und für die Erfassung der optimalen
Wohlfühl-temperatur und -feuchtigkeit ein Dummy. Allerdings:
Einen Raum für gleich gekleidete Menschen angenehm machen,
das geht fast nicht, denn jeder empfindet die Temperatur
anders, erklärte der Professor.
Nur Fliegen ist schöner ...
Der letzte Tag des nanoCAMPs beginnt früh. Schon um
sieben Uhr zählen die Jugendlichen an der Heilbronner
Straße /Türlenstraße die Autos. Später werden sie die Daten
in den Computer eingeben und nachsehen, ob und wie man den
Verkehrsfluss optimieren kann. Das Unglaubliche dabei: 400
Autos sind von einem Knotenpunkt zum anderen verschwunden,
ohne dass es dazwischen einen Abzweig gab. War wohl doch
etwas früh?
Als es später im
Ausbildungszentrum der SSB in Stuttgart Möhringen darum
geht, selbst eine U-Bahn zu lenken, sind fast alle wieder
hellwach. Zunächst im Simulator geübt, geht es im
Hauruckverfahren auf die Schienen - Heumaden hin und zurück.
Der Fahrschulbahn folgt an den Haltestellen so mancher
verwunderte Blick. „Die Fahrer werden auch immer jünger“,
scheint der eine oder andere wartende Fahrgast zu denken.
Brrrrrrr.... Tobias klingelt, was das Zeug hält - Sicherheit
geht vor - und dann darf er mit der U-Bahn eine Vollbremsung
machen. Lange dauert es, bis die 56 Tonnen zum Stehen
kommen. „Einen dreimal so langen Halteweg wie ein Auto haben
wir“, hat Fahrlehrer Willi zuvor erklärt, und er hat die
nanoCAMPer in die Bedienung des Gashebels eingeweiht und in
die Funktion des Totmannschalters, eines Pedals für den
linken Fuß. Wird es zu stark oder schwach gedrückt, bringt
eine Automatik den vermeintlich führerlos gewordenen Zug zum
Stehen.
Zum Abschluss des Tages und
des nanoCAMPs heißt es: Nur Fliegen ist schöner ... Mit
einer Cessna über Stuttgart und das Camp, Schwerelosigkeit
inklusive - die Begeisterung ist grenzenlos.
Das von Professor Jörg Brüdern, Prorektor für Forschung der
Uni Stuttgart, überreichte Diplom in der Tasche, die
Wohncontainer wieder abgebaut, heißt es Abschied nehmen.
Julia Alber