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Stuttgarter unikurier Nr. 94 Dezember 2004
Linguistik-Vortrag mit DVA-Gastprofessorin Brenda Laca:
Warum Zeiten so schwer zu übersetzen sind

„Zeit und Grammatik“ - der Titel des Festvortrags von Brenda Laca anlässlich ihrer Gastprofessur der DVA-Stiftung ließ eher Sprödes erwarten. Doch die temperamentvolle Sprachwissenschaftlerin sorgte am 7. Juni im voll besetzten Max-Bense-Saal der Stadtbücherei dafür, dass auch Nicht-Linguisten einen spannenden Abend erlebten. „Im 15. Jahr der Gastprofessuren*) kann die DVA-Stiftung mit einer doppelten Premiere aufwarten“, betonte der Geschäftsführer der DVA-Stiftung Horst Frank. Hat die Stiftung mit Brenda Laca doch erstmals eine Frau und erstmals eine Linguistin für ein Semester an die Uni Stuttgart berufen.
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Zeit und Sprache ist ein Kernthema von Brenda Laca.                        (Foto: Eppler)

 

Den Anspruch der „Deutsch-Französischen Wechselwirkungen“, so der Titel der Veranstaltungsreihe, erfüllt Brenda Laca fast schon exemplarisch. Geboren in Montevideo (Uruguay), promovierte sie nach dem Studium in Montevideo und Cambridge in Tübingen und habilitierte sich 1993 in München in romanischer Philologie. Ein Jahr später wurde sie an die Universität Straßburg und 1998 an die Universität Paris VIII berufen, wo sie als Professorin Sprachwissen-schaften lehrt. „Zeit und Sprache“ ist eines ihrer Kernthemen. Am Beispiel grammatikalischer Zeitformen geht es dabei um die Frage, ob es zwischen Sprachen universelle Gesetzesmäßigkeiten gibt oder ob Sprache individuell angewendet wird. 

 „Welche Probleme dahinter stecken, weiß jeder, der eine Fremdsprache erlernt“, verdeutlichte Prof. Achim Stein, Leiter des Instituts für Linguistik/Romanistik der Uni humorvoll: „Einer Phase neugierigen Entdeckens und euphorischer Anwendung folgt die ernüchternde Erkenntnis, dass man die Zeitsysteme der anderen Sprache nie kapieren wird oder zum Sprachwissenschaftler werden muss.“

 

Landestypische Besonderheiten

Tatsächlich scheint die Sache mit den Zeiten auf den ersten Blick ganz einfach, bestätigte Brenda Laca. Was dem Franzosen sein passé simple, ist dem Deutschen das Präteritum, und dem französischen passé composé entspricht in Deutschland das zusammengesetzte Perfekt. Die Übersetzung dieser Formen sollte also keine Probleme bereiten. Die Realität jedoch sieht anders aus. „Bei genauerem Hinsehen verbergen sich in Anwendung und Bedeutung der Zeiten so viele landestypische Besonderheiten, dass man mit Wilhelm von Humboldt sagen könnte, jeder Mensch hat seine eigene Sprache.“

 Das fängt schon damit an, dass vor allem in Süddeutschland das Präteritum so gut wie ausgestorben ist. Scheinbare Entsprechungen in der Anwendung des Perfekts im Französischen und Englischen lassen Linguisten sofort den Rotstift zücken. Und endgültig zum Alptraum wird die Übersetzung von Zeitformen ins Englische oder Spanische. Dort weichen Satzstellung und Sprachstrukturen sogar je nach Landesteil voneinander ab.

 

Suche nach dem Universellen

„Wo also bleibt das Universelle?“ beschrieb Brenda Laca die „Not der Linguisten, in diesem Durcheinander doch Gesetzesmäßigkeiten herauszufinden“. Ein Schlüssel dazu sei der Blick in historische Texte. Sie weisen darauf hin, dass die Anwendung von Zeitformen ihrer sprachgeschichtlichen Abfolge entspricht. So geht das Französische des 17. Jahrhunderts mit dem Perfekt ähnlich um wie das Spanische heute. Dabei werde das Präteritum sukzessive von dem „moderneren“ zusammengesetzten Perfekt verdrängt.

Ähnliche Parallelitäten lassen sich in der indogermanischen Sprachfamilie und sogar im weltweiten Vergleich ausmachen. So untersuchten amerikanische Forscher über 80 Sprachen rund um den Globus, darunter Polynesisch, Semitisch und afrikanische Idiome. Mit überraschendem Befund: „Die Grammatikalisierungswege sind so übereinstimmend, dass ein Zufall kaum plausibel erscheint.“ Allerdings seien solche Sprachvergleiche methodisch schwierig: Schließlich beschreibt ein afrikanischer Missionar, der ein Schulbuch verfasst, grammatikalische Formen völlig anders als ein europäischer Sprachwissenschaftler.
 

Andrea Mayer-Grenu

 

*) Siehe auch unikurier Nr. Nr. 93, 1/2004, S. 4


 


last change: 15.12.04 / yj
Pressestelle der Universität Stuttgart

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