Den Anspruch der „Deutsch-Französischen
Wechselwirkungen“, so der Titel der Veranstaltungsreihe,
erfüllt Brenda Laca fast schon exemplarisch. Geboren in
Montevideo (Uruguay), promovierte sie nach dem Studium in
Montevideo und Cambridge in Tübingen und habilitierte sich
1993 in München in romanischer Philologie. Ein Jahr später
wurde sie an die Universität Straßburg und 1998 an die
Universität Paris VIII berufen, wo sie als Professorin
Sprachwissen-schaften lehrt. „Zeit und Sprache“ ist eines
ihrer Kernthemen. Am Beispiel grammatikalischer Zeitformen
geht es dabei um die Frage, ob es zwischen Sprachen
universelle Gesetzesmäßigkeiten gibt oder ob Sprache
individuell angewendet wird.
„Welche Probleme dahinter stecken, weiß jeder, der
eine Fremdsprache erlernt“, verdeutlichte Prof. Achim Stein,
Leiter des Instituts für Linguistik/Romanistik der Uni
humorvoll: „Einer Phase neugierigen Entdeckens und
euphorischer Anwendung folgt die ernüchternde Erkenntnis,
dass man die Zeitsysteme der anderen Sprache nie kapieren
wird oder zum Sprachwissenschaftler werden muss.“
Landestypische Besonderheiten
Tatsächlich scheint die Sache mit den Zeiten auf den
ersten Blick ganz einfach, bestätigte Brenda Laca. Was dem
Franzosen sein passé simple, ist dem Deutschen das
Präteritum, und dem französischen passé composé entspricht
in Deutschland das zusammengesetzte Perfekt. Die Übersetzung
dieser Formen sollte also keine Probleme bereiten. Die
Realität jedoch sieht anders aus. „Bei genauerem Hinsehen
verbergen sich in Anwendung und Bedeutung der Zeiten so
viele landestypische Besonderheiten, dass man mit Wilhelm
von Humboldt sagen könnte, jeder Mensch hat seine eigene
Sprache.“
Das fängt schon damit an, dass vor allem in
Süddeutschland das Präteritum so gut wie ausgestorben ist.
Scheinbare Entsprechungen in der Anwendung des Perfekts im
Französischen und Englischen lassen Linguisten sofort den
Rotstift zücken. Und endgültig zum Alptraum wird die
Übersetzung von Zeitformen ins Englische oder Spanische.
Dort weichen Satzstellung und Sprachstrukturen sogar je nach
Landesteil voneinander ab.
Suche nach dem Universellen
„Wo also bleibt das Universelle?“ beschrieb Brenda Laca
die „Not der Linguisten, in diesem Durcheinander doch
Gesetzesmäßigkeiten herauszufinden“. Ein Schlüssel dazu sei
der Blick in historische Texte. Sie weisen darauf hin, dass
die Anwendung von Zeitformen ihrer sprachgeschichtlichen
Abfolge entspricht. So geht das Französische des 17.
Jahrhunderts mit dem Perfekt ähnlich um wie das Spanische
heute. Dabei werde das Präteritum sukzessive von dem
„moderneren“ zusammengesetzten Perfekt verdrängt.
Ähnliche Parallelitäten lassen sich in der
indogermanischen Sprachfamilie und sogar im weltweiten
Vergleich ausmachen. So untersuchten amerikanische Forscher
über 80 Sprachen rund um den Globus, darunter Polynesisch,
Semitisch und afrikanische Idiome. Mit überraschendem
Befund: „Die Grammatikalisierungswege sind so
übereinstimmend, dass ein Zufall kaum plausibel erscheint.“
Allerdings seien solche Sprachvergleiche methodisch
schwierig: Schließlich beschreibt ein afrikanischer
Missionar, der ein Schulbuch verfasst, grammatikalische
Formen völlig anders als ein europäischer
Sprachwissenschaftler.
Andrea Mayer-Grenu
*) Siehe auch unikurier Nr.
Nr. 93,
1/2004, S. 4