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Stuttgarter unikurier Nr. 94 Dezember 2004
Werner Sewing als Alcatel SEL Fellow:
SRaum Stadt Kommunikation
 

Seit dem Sommersemester 2003 unterstützt die Alcatel SEL Stiftung für Kommunikationsforschung das Fellowship-Programm am Internationalen Zentrum für Kultur- und Technikforschung (IZKT). Dank ihres Engagements konnte im vergangenen Semester der Berliner Architektursoziologe Werner Sewing an der Universität Stuttgart eine von den zahlreichen Zuhörern begeistert aufgenommene Vorlesungsreihe zum Thema „Raum Stadt Kommunikation“ halten. Sewing lehrte Stadt- und Regionalsoziologie an der FU Berlin sowie Architektursoziologie an der TU Berlin und an der Bauhaus-Universität Weimar. Die Stuttgarter Vortragsreihe unterstrich eindrucksvoll seine interdisziplinären Interessen im Spannungsfeld von Kommunikationsforschung, Technik- und Medientheorie, Stadtökonomie und Architektursoziologie.

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Als Ausgangspunkt wählte Sewing, dessen Monographien „Bildregie. Architektur zwischen Retrodesign und Eventkultur“ (2003) und „Architecture: Sculpture“ (2004) große Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben, den gegenwärtig viel diskutierten topographical turn in den Kulturwissenschaften. Die modernen Kommunikations- und Informationstechniken überbrücken nicht nur räumliche Distanzen in immer schnellerer Zeit, sie konstituieren auch in anderen Modi als bisher soziale, imaginäre und intellektuelle Räume - und sie bewirken, dass über den Raum neu nachgedacht werden muss. Aber gerade die raumkonstituierenden Wirkungen der neuen Technologien sind im Hinblick auf Architektur und Städtebau, die mit der räumlichen Gestaltung unserer Lebenswelt vor allem betraut sind, immer noch zu wenig erforscht. Als Diskurstheoretiker schärfte Sewing den Blick für konzeptionelle Stolpersteine. Je nach dem, ob die Stadt als gebaute Architektur aufgefasst wird, in der Menschen gewissermaßen nur als passagene Fi-guren agieren, oder ob die Stadt als sozialer Zusammenhang ihrer Bewohner begriffen wird, dessen bauliche „Hülle“ sekundär ist, stellen sich die Fragen nach dem Verhältnis von Raum, Stadt und Kommunikation. Solche Fragen sind von eminent praktischer Bedeutung. Soll sich das Bauen an typologischen Regeln unabhängig von konkreten Orten und deren atmosphärischer Qualität orientieren? Oder führt eben dies zu einem Brutalismus der Architektur, dem es durch Besinnung auf das „Örtliche“, auf regionale Traditionen und Besonderheiten oder aber auf das Transitorische, die Grenzen der Architektur Überschreitende zu widerstehen gilt? Welche Rolle spielen hier die modernen Kommunikationstechnologien und Massenmedien? Führt deren globale Verbreitung zur Auflösung der Orte, zur beliebigen Verfügbarkeit von Gütern, Ideen, Räumen? Egalisieren sie die räumlichen Verhältnisse oder bewirken sie gegenteilige Effekte, eine Heterogenisierung des Raums? Vergewissern sich Menschen im digitalen Zeitalter ihres Ortes durch Bebauung oder Bespielung?

Werner Sewing.                (Foto: Institut)

 Im spannenden Wechselspiel von detailgenauen Beobachtungen aus der Architekturgeschichte seit Ende des 19. Jahrhunderts, philosophischer Reflexion und soziologischer Analyse, die kühn den Bogen von Habermas zu Rem Koolhaas, von Hannah Arendt zu Walt Disney schlugen, rekonstruierte Werner Sewing den Architektur-diskurs der Moderne. Dies gilt ihm als Voraussetzung, die aktuellen Fragen nach den Folgen und Ambivalenzen der modernen Technologien in Architektur und Städtebau überhaupt sinnvoll stellen zu können. Dabei wiesen ihn seine Darlegungen nicht nur als scharfsinnigen Beobachter in Zeiten aus, wo im Kampf um die Deutungsmacht des gebauten Raums die Übersicht oftmals verloren geht. Seine Analysen hoben etwas hervor, das der gegenwärtigen Architektur zwischen Kommerzialisierung und pseudokünstlerischer Attitüde zu entgehen scheint: die trotz aller Kritik und Ablehnung unabgegoltene Qualität der architektonischen Moderne. Sewing sieht sie im experimentellen Charakter, der technologische, ästhetische, soziale Aspekte und eine Art Selbstreflexion gleichermaßen umfasst. Mit solch einem experimentellen Programm wirbt er, gerade in Zeiten wiederkehrender Konventionen, für eine gesellschaftlich verpflichtete Architektur.

 Seine Idee verdeutlichte Sewing in einer Diskussionsrunde im Literaturhaus mit der Architekturtheoretikerin und -journalistin Amber Sayah über „Metropole zwischen Mythos und Management“. Zwar sei die Stadt keineswegs im Netz verschwunden, wie noch vor einiger Zeit behauptet. Aber ihre Bedeutung speise sich zunehmend aus Stadttourismus und Eventkultur, aus einer technisch gestützten Bewirtschaftung des Imaginären. Diese Simulation der Stadt lebt von ihren Mythen; Weimar immer noch von Goethe, die Daimlerstadt in Berlin von der Legende Potsdamer Platz. Die Vermutung, die Mythenvermarktung werde sozial und ökonomisch bodenlos, wenn nicht nach neuen Formen städtischer Kultur und gelebter Demokratie gesucht wird, wies auch hier der Architektur die Aufgabe einer Verschränkung von sozialer Bindung und ästhetischer Innovation zu.

E. Uhl

 

KONTAKT

Internationales Zentrum für Kultur- und Technikforschung
Keplerstr. 11
Tel. 0711/121-2589
Fax 0711/121-2813
e-mail: info@izkt.uni-stuttgart.de

 

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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