Obwohl das grüne Oval des Fußballplatzes die Aussicht am
Allmandring 28 bestimmt: „Sport, das ist weit mehr, als dem
Ball auf dem grünen Rasen hinterherzulaufen“, sagt Wilfried
Alt. Wer Sportwissenschaften auf Lehramt oder Magister
studiert, den Diplomstudiengang Sportwissenschaft mit
Schwerpunkt Sportmanagement wählt oder dessen BA-Variante
bevorzugt - um die Medizin kommt er nicht herum. Die
knöchernen Präparate von Kniegelenk, Sprunggelenk und Fuß
auf des Professors Schreibtisch machen dies eindrücklich
klar - und auch Naturwissenschaften und Technik bleiben
nicht außen vor, wie schon die Kooperationen mit den
Instituten für Mechanik und Informatik belegen, mit deren
Hilfe Messverfahren entwickelt und Simulationen erarbeitet
werden.
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Der Verletzungssimulator oder die „Umknickplattform“
zum funktionellen Test von Stabilisierungshilfen am
Sprunggelenk.
(Foto: Institut) |
Wissen um Bewegungsabläufe
Wie entstehen Verletzungen? Wie kommt es zu
Fehlbelastungs-folgen? Diese Fragen stellen sich nicht nur
hinsichtlich einer Teilnahme bei Olympia. Seine
Sprunggelenke bewegt jeder Mensch, und Bewegung findet nicht
nur beim Sport statt. „Ob ich einen Kaffee hole oder einen
Dauerlauf mache, im Prinzip werden hierfür dieselben Muskeln
eingesetzt“, sagt Wilfried Alt. Mit welcher Kombination aus
Kraft-, Koordination und Gleichgewichtstraining alte
Menschen Stürze verhindern können, wird in der
Wissenschafts-disziplin Sport ebenso erforscht wie Übungen
für ältere Skifahrer zur Verbesserung der Stabilität ihrer
Kniegelenke, um Skiunfällen vorzubeugen. Für Letzteres
interessiert sich neben dem Skiverband und dem
Bundesinstitut für Sportwissenschaften besonders die
ARAG-Sportversicherung - ist ihr doch aus einsichtigen
finanziellen Gründen besonders an der Prophylaxe gelegen.
Wissen für Medizin und Sport
Auch die Frage, wie funktioniert Bewegung, wie werden die
Muskeln koordiniert, muss nicht notwendigerweise an
Sportlern geklärt werden. Diese Fragen werden „besonders
relevant im Zusammenhang mit Krankheiten, bei denen ein Teil
des Gehirns ausfällt“, erklärt Winfried Alt. Mit
Trainingseinheiten sollen immer spezielle Organfunktionen
verbessert werden, bei pathologischen Zuständen wie auch
beim Spitzensportler. So schließt sich der Kreis zwischen
Alltagssituation und Leistungssport. Alt und sein Team haben
beispielsweise bei Parkinson-Patienten untersucht, ob
bewegungstherapeutische Methoden eine Unterstützung zur der
Behandlung mit Medikamenten sein können; eine geplante
Kooperation mit der Geriatrie des Robert-Bosch-Krankenhauses
wird voraussichtlich zu weiteren Forschungsarbeiten führen.
Sport profitiert
Und die „richtigen Sportler“? Die gibt es im
Olympiastützpunkt Stuttgart. Für sie erarbeiten die
Stuttgarter Wissenschaftler leistungsdiagnostische Maßnahmen
hinsichtlich Koordination und Kondition und entwickeln
Messverfahren. Wirklich interessant, nimmt Wilfried Alt an,
wird in Zukunft die Forschung im Bereich der Interaktion
zwischen biologischen Systemen und der Umwelt. Wie zum
Beispiel sehen die optimalen Sportgeräte aus, ob Schuhe,
Bogen oder Laufbahnbelag? Mit welchen Materialien
ausgestattet kann einmal ein Tennis-schläger „mitdenken“? Und
wie könnten „intelligente Materialien“ im richtigen Moment
zum erwünschten Schutz beitragen?
Aktuell begeistert sich Wilfried Alt für eine
Promotionsarbeit, die sich damit beschäftigt, die
interindividuelle Variabilität der Sprunggelenke per Messung
zu erfassen. Anhand der Ergebnisse, so die Hoffnung, könnte
man Risikogruppen definieren und diesen dann die
entsprechenden Präventionsmaßnahmen anbieten - gerade viele
Handballer, Volleyballer oder Basketballer leiden unter Knie-
und Sprunggelenkproblemen, denen auf diese Wei-se vielleicht
vorgebeugt werden könnte.
Im Labor
Nur einen kurzen Spaziergang vom Allmandring 28 entfernt,
laufen im Biomechanik-Labor die letzten Vorbereit-ungen.
Bevor die Messungen am Menschen erfolgen, liefert ein
künstliches Sprunggelenk die Messdaten für den Computer.
Rundum Hightech pur: Den Kameras in jeder Zimmerecke entgeht
nichts, was sich in der Raummitte auf dem leicht erhöhten,
schwarzen Boden abspielt. Wer sich hier bewegt, tut es für
die Wissenschaft - mit 300 Hertz zeichnet das videobasierte
Bewegungsanalysesystem alles auf, ob Sprung, Schritt ... Die
im Boden integrierten Kraftmessplattformen messen die
Reaktionskraft. Allein beim Gehen macht sie das 1,5-fache
des Körpergewichts aus, beim Weitsprung das achtfache, beim
Dreisprung gar das zwölffache, weiß Alt.
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Eine Versuchsperson auf dem Beinkraft-messgerät; synchron werden dabei die Muskelsignale (Elektromyografie)
erfasst.
(Foto: Institut) |
Die Sprunggelenkklappe
Laufband, Kraftgeräte und ein Gleichgewichtskoordinator,
der jeden Wackler unübersehbar auf dem PC-Monitor festhält,
teilen sich die Wandplätze mit der Sprunggelenk-klappe, oder
besser gesagt, der Verletzungssimulator-plattform. Mit ihrer
Hilfe werden - unfallfrei - Sprunggelenk-verletzungen
simuliert, zu denen es beim Umkippen des Fußes kommen kann.
Ein Oberflächenelektromyogramm, das einem Fuß-EKG gleicht,
zeichnet derweil auf, welche Muskeln aktiv sind und wie sie
koordiniert werden. Viele Orthesen wurden schon auf der
Sprunggelenkklappe getestet, denn seit 1994 gehört Wilfried
Alt der „Arbeits-gruppe Orthopädische Biomechanik“ an,
zusammen mit Prof. Albert Gollhofer von der Uni Freiburg und
Dr. med. Heinz Lohrer vom Sportmedizinischen Institut in
Frankfurt am Main. Nach rund 15.000 Tests soll die Klappe
nun überarbeitet werden, sodass die Umkippgrade elektronisch
einstellbar sind und nicht mehr, wie bislang, Handarbeit
erfordern.
Interdisziplinarität
Interdisziplinarität ist Programm bei der Biomechanik,
das steckt schon im Namen. Auch Internationalität ist
wichtig, eine Doktorandin arbeitet zum Beispiel gerade in
Australien. Und wenn einmal ein reicher Scheich mit seinen
Rennkamelen um Hilfe nachfragen sollte? Allzu lange müsste
Wilfried Alt wohl nicht überlegen, denn Bewegung ist
Bewegung, ob alt oder jung, ob Mensch oder Tier ... und dann
könnten damit ja auch vielleicht Mitarbeiterstellen
finanziert werden, denn die öffentliche Forschungsförderung
liegt schon sehr im Argen, muss der Professor leider immer
wieder feststellen.
Julia Alber
KONTAKT
Prof. Dr. Wilfried Alt
Institut für Sportwissenschaft
Tel. 0711/685-3168
e-mail:
wilfried.alt@sport.uni-stuttgart.de
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