Nierensteine treten in Größen von einigen Millimetern bis
Zentimetern auf. Sie besitzen etwa die Festigkeit von Kreide
oder Gips und werden durch die akustische Welle wie unter
leichten Hammerschlägen zerbrochen. Die Zertrümmerung von
Nierensteinen durch Stoß- oder Schallwellen wird seit mehr
als 20 Jahren an Kliniken weltweit erfolgreich eingesetzt.
Doch bislang herrscht nur wenig Einigkeit darüber, wie der
Vorgang der Zertrümmerung erklärt werden kann und wie Druck,
Pulsdauer und Größe des Fokus in Zukunft weiter verbessert
werden können. Bei der bisherigen Vorstellung der
Stein-zertrümmerung wurde davon ausgegangen, dass bei einem
scharfen Fokus ähnlich wie bei der Steinmetzarbeit ein
punkt- oder linienförmiger Krafteinsatz den Stein am besten
spaltet. Einen anderen Weg verfolgt die Stoßwellentherapie
nach dem in Stuttgart entwickelten Prinzip „Großer Fokus -
Niedriger Druck“.
Im Jahre 1998 wurde von Prof. Eisenmenger ein bis
dahin unbekannter, sehr wirksamer
Fragmentations-mechanismus, die binäre Steinfragmentation
durch ringförmige Kompression, das heißt Quetschen oder
„squeezing“, entdeckt. Schon vorher wurden am 1.
Physikalischen Institut in engem Kontakt mit Biologen und
Medizinern große Fortschritte bei der Erzeugung und Messung
von Stoßwellen für die Lithotrypsie erzielt. So wurde in
Stuttgart das inzwischen weltweit anerkannte Messverfahren
für Stoßwellen mit dem Faseroptischen Sondenhydrophon
entwickelt. Auch unter dem jetzigen Institutsleiter, Prof.
Martin Dressel, konnten die Stoßwellenuntersuchungen
fortgeführt werden.
Der „Quetschmechanismus“ kann mit der Zerkleinerung
von Steinen in einem Backenbrecher verglichen werden. Die
Backen entsprechen hierbei dem Teil der Druckwelle, der
seitlich von außen direkt auf den Stein wirkt. Bei diesem
Mechanismus wird der Stein in Ebenen senkrecht und parallel
zur Wellenfront gespalten. Die Druckzone der Welle außerhalb
des Steins bewegt sich mit der Schallgeschwindigkeit der
Flüssigkeit oder des Gewebes. Diese ist kleiner als die
Schallgeschwindigkeit im Stein. So entstehen im Stein
Zugspannungen parallel und senkrecht zur Wellenfront, die
einen Bruch bewirken.
Theoretisch werden die Bedingungen für den
„Quetschmechanismus“ als Ermüdungsbruch formuliert. Mit
dieser Theorie können experimentell nach Kalibrierung gut
bestätigte Voraussagen über die Anzahl der Druckpulse
gemacht werden, die man benötigt, um die für eine natürliche
Ausscheidung erforderliche Fragmentgröße von zwei
Millimetern zu erzielen.
Laborversuche haben gezeigt, dass der
Quetschmechanismus bei großem Fokus bis zu 20 Millimetern
besonders wirksam ist. Im Klinikeinsatz kann damit der
Stoßwellendruck um die Hälfte reduziert werden bei
gleichzeitiger Verdopplung der Zertrümmerungseffizienz und
Herabsetzung der Nebenwirkungen.
Nach der Veröffentlichung der chinesischen
Klinikstudie auf der Basis von 300 Patientendaten in sieben
Kliniken wird das Stuttgarter Prinzip „Großer Fokus -
Niedriger Druck“ derzeit in den USA an der Universität
Indianapolis auf Effizienz und Nebenwirkungen erneut
überprüft. Inzwischen wurden in China bereits rund 50.000
Patienten in 74 Kliniken mit dieser Methode behandelt. Wenn
auch die US-Studie erfolgreich abgeschlossen wird, hoffen
Urologen und Wissenschaftler auf die baldige offizielle
Zulassung des Verfahrens in weiteren Ländern.
eng
KONTAKT
Prof. Dr. Wolfgang Eisenmenger
1. Physikalisches Institut
Tel. 0711/685-6591
Fax 0711/685-4976
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es@pi1.physik.uni-stuttgart.de