Stuttgarter unikurier Nr. 94 Dezember 2004 |
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Anthropologische Prinzipien der Stadtentwicklung
Der emeritierte Architektur Professor
Klaus Humpert hat in den achtziger und neunziger Jahren im
berühmt gewordenen Sonderforschungsbereich 230 der
Universität Stuttgart „Natürliche Konstruktionen“ das
Projekt zur Stadtentwicklung geleitet. Dieses Thema hat den
Doyen der Stadtplanung nicht mehr losgelassen. Vor zwei
Jahren erschien im Wuppertaler Busmann Verlag unter dem
Titel „Fundamental Principles of Urban Growth“ eine Art
Summary der Forschungen zur Stadtentwicklung. So sicher wie
das immer noch ungebremste Wachstum der Weltbevölkerung auch
die Städte auf dem Globus weiter wachsen lassen wird, so
sicher werden diese Städte dabei einem fundamentalen
Bauprinzip folgen.
Anders als die mittelalterliche
Behälterstadt mit ihrer scharfen Begrenzung nach außen,
folgt die fraktale Stadtentwicklung moderner Metropolen
einem anthropologischen Verhältnis von Nähe und Distanz. 57
große Städte weltweit haben die Wissenschaftler
digitalisiert und mit einem vergleichenden analytischen
Verfahren untersucht und kommen zu dem Ergebnis, das die
grundlegenden Makrostrukturen sich im globalen Maßstab
wiederfinden lassen. Wie unregelmäßige Tintenkleckse mit
verlaufenen Rändern erscheinen die Stadtgrenzen von Athen,
Bangkok, Boston, Kalkutta, Chicago, Havanna, Hongkong,
Kinshasa-Brazzaville, Lima, London, Manila, Mexiko City,
Moskau, Rhein-Ruhr, Wien oder Washington. Doch rechnerisch
lässt sich beweisen, dass, wie die mandelbrotschen Fraktale,
der Umfang immer proportional zur Fläche wächst.
Die Stadtränder wachsen schneller
als es eigentlich sein müsste. Möglichst nahe zur Stadt und
seiner urbanen Infrastruktur wie Schule, Arzt und Einkaufen
und möglichst nahe zur freien Natur, soviel Nähe wie nötig
und soviel Distanz wie möglich, heißen die anthropologische
Konstanten der Stadtentwicklung. Die größere oder geringere
Kompaktheit der städtischen Agglomerationen wird wesentlich
von der zur Verfügung stehenden Mobilität beeinflusst.
eng
Fundamental Principles of Human Growth,
Herausgegeben von Humpert, Klaus / Brenner,
Klaus / Becker, Sibylle; Verlag Müller + Busmann KG,
Wuppertal, 2002
ISBN : 3-928766-51-1,
192 Seiten, 25,00 Euro
Nachhaltige Abfallwirtschaft
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(Fotos: B. Wittschok/A. Sihler) |
Integrative Strategien für eine
nachhaltige Abfallwirtschaft und die Auswirkungen der
EU-Politik auf Baden-Württemberg standen auf dem Programm
der diesjährigen Abfalltage Baden-Württemberg an der
Universität Stuttgart. Wer an der vom Landesministerium für
Umwelt und Verkehr unterstützten Tagung im September nicht
teilnehmen konnte, kann die informativen Beiträge nun in
einem im Oldenbourg Industrieverlag erschienenen Sammelband
nachlesen. Ein Schwerpunkt liegt auf dem produkt- und
produktionsintegrierten Umweltschutz, der besonders die
Problemstellungen der Industrie in den Blick nimmt.
Ökoeffizienz, Stoffstrommanagement im Automobilbau,
Ressourcenschonung durch die Verwendung von nachwachsenden
Rohstoffen, die EU-Richtlinie über Elektroaltgeräte sowie
die stoffliche Verwertung von Altautos und Elektronikschrott
spielen in der Industrie derzeit bei der Umsetzung der
gesetzlichen europäischen und nationalen Vorgaben eine große
Rolle.
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Die Abfallwirtschaft in Deutschland wird
zunehmend durch die Politik, Gesetzgebung und
Rechtspre-chung der Europäischen Union geprägt. Dies führt
zwar zu einer Angleichung der gesetzlichen Grundlagen und
zur Definition von technischen und ökologischen
Mindeststandards. Gleichzeitig bewirkt aber die
Intensivierung des Wettbewerbs eine Verlagerung der
abfallrelevanten Stoffströme an die Verwertungsstellen mit
den geringsten Kosten.
Der Umweltschutz als Leitbild für
die Abfallwirtschaft wird dabei zunehmend durch monetäre
Aspekte überlagert. Die Abfallwirtschaft steht heute auch
vor neuen Heraus-forderungen durch immer neue Produkte, bei
deren Entwicklung die Fragen der Entsorgung zu wenig
beachtet wurden. Was geschieht beispielsweise mit den
Produkten der Nanotechnologie, die als eine der
Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts betrachtet wird,
oder mit neuartigen „intelligenten“ Einsatzstoffen, die hohe
Anteile organischer Substanz besitzen, wenn diese zu Abfall
werden? Wie sind Langlebigkeit und Innovationspotential bei
Investitionsgütern zu vereinbaren?
Hier sind neue integrative Ansätze
gefragt. Aber auch die Probleme der klassischen
Abfallwirtschaft werden behandelt. Bleibt diese weiterhin
ein Element der öffentlichen Daseinsvorsorge oder soll sie
teilweise oder ganz dem freien Wettbewerb unterliegen?
eng
Integrative Strategien für eine nachhaltige
Abfallwirtschaft -
Auswirkungen der EU-Politik, Hg. v. Martin Kranert,
Andreas Sihler, Stuttgarter Berichte zur Abfallwirtschaft,
Band 83,
Oldenbourg Industrieverlag,
Essen 2004, ISBN 3-486-63063-6,
171 Seiten, 47,50 EUR
Forschungsstelle Ludwigsburg zur
Genesis des Genozids
Auf einen bei der Auseinandersetzung mit
dem deutschen Vernichtungskrieg im Osten in der
Öffentlichkeit und der Geschichtswissenschaft bislang kaum
beachteten Bereich lenkt der gerade erschienene dritte Band
der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart
die Aufmerksamkeit.
Bisher hatte sich das Interesse vor allem
auf die Schauplätze Sowjetunion und Teile Südosteuropas
konzentriert. „Genesis des Genozids - Polen 1939 - 1941“ ist
das Buch überschrieben, in dem sich nun deutsche und
polnische Autoren mit dem Initialfeldzug gegen Polen und der
anschließ-enden Besatzungsherrschaft auseinandersetzen.
Nach der Lektüre wird deutlich, dass
der Vernichtungskrieg, den man bisher allgemein mit dem
Überfall auf die Sowjetunion beginnen ließ, bereits ab 1939
in Polen stattfand. Bereits dort kam es zu einer Einübung in
die Erbarmungslosigkeit, zur Entgrenzung und Entregelung der
Gewalt, zum Mord an polnischen und jüdischen Zivilisten. Bis
Ende 1939 wurden rund 60.000 Polen und 7.000 Juden jenseits
von Kampfhandlungen getötet.
Der bei der Wissenschaftlichen
Buchgesellschaft Darmstadt erschienene Band versammelt die
überarbeiteten und um Diskussionsbeiträge erweiterten
Vorträge einer Tagung des Deutschen Historischen Instituts
Warschau und der Forschungsstelle Ludwigsburg unter dem
Titel „Die Inkubationsphase des Vernichtungskrieges: Polen
1939 - 1941“ im September 2003 in Ludwigsburg. Herausgeber
sind Dr. Klaus-Michael Mallmann, wissenschaftlicher Leiter
der Forschungsstelle Ludwigsburg und Privatdozent für Neuere
Geschichte an der Universität Stuttgart, und Dr. Bogdan
Musial, Leiter eines internationalen Forschungsprojektes zur
Geschichte der sowjetischen Partisanenbewegung in
Weißrussland und Lehrbeauftragter an der Universität
Hannover. zi
Klaus-Michael Mallmann / Bogdan Musial
(Hrsg.):
Genesis des Genozids - Polen 1939 - 1941,
Darmstadt 2004, 240 S., 42,- Euro, ISBN 3-534-18096-8
(Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg
der Universität Stuttgart, Band 3)
Funktionseliten und die Funktion der
Elite
Von Eliten und von Elitebildung wird
wieder geredet und auch geschrieben. Einen veritablen
Sammelband zum Thema Elite hat der Stuttgarter
Politikwissenschaftler Oscar W. Gabriel zusammen mit seiner
Chemnitzer Kollegin Beate Neuss und Günther Rüther von der
Konrad-Adenauer-Stiftung Mitte diesen Jahres im Düsseldorfer
Droste Verlag herausgegeben.
„Eliten in der modernen
Wissensgesellschaft“ lautet der Untertitel und umreißt schon
recht genau die Problemstellung. Die Herausgeber machen in
ihrer Einführung deutlich, dass für sie Eliten in einer
modernen, durch Professionalisierung und Spezialisierung
immer kleinteiligeren Gesellschaft unverzichtbar sind -
jeder Teilbereich bringt eine Funktions-elite hervor, die
sich durch Fachwissen und Kompetenz abhebt.
Aber die Herausgeber werfen bereits
im zweiten Absatz die Frage nach der Funktion der Elite im
und für das Gemeinwesen eines demokratischen Staates auf.
Verantwortung wird eingefordert und die Orientierung des
Handelns der Eliten am Prinzip der Verantwortungsethik, die
immer eine Berücksichtigung der gesellschaftlichen
Konsequenzen des Handelns voraussetzt.
Aus dem normativen Anspruch, „der
Zusammenhalt der Gesellschaft (darf) keinen Schaden nehmen“
und der zunehmenden Spezialisierung der Akteure erwächst
„die besondere soziale Verantwortung der Eliten in der
modernen Wissensgesellschaft“. Damit moderne Eliten diesem
Anspruch gerecht werden können, müssen sich auch die
Universitäten neben dem Fachwissen wieder stärker der
Vermittlung von „Persönlichkeitsbildung“ annehmen.
Das klare Programm der Einleitung
wird anschließend in 28 Beiträgen von über 30 Autoren in
einer Vielzahl von Teilaspekten vorgeführt, die von den
Oberthemen „Eliten in der Demokratie“, „Funktionseliten in
der modernen Wissensgesellschaft“ und „Bildungs- und
Forschungsstandort Deutschland“ zusammengehalten werden. So
entsteht ein differenziertes Nachschlagewerk zu zahlreichen
Themen, die heute auf der Tagesordnung von Politik und
Medien stehen.
Es ist ungerecht und subjektiv, hier
einen Beitrag herauszuheben, aber - seien wir einmal
ungerecht. Der Beitrag von Elmar Wiesenthal mit dem
Untertitel „Wer sind die Besten und setzen sie sich in den
Parteien durch?“ bietet erhellende und erfrischende
Einsichten in die Anforderungen im „ungelernten“ Beruf des
„Politikers“ und die wenig attraktiven Bedingungen auf dem
Arbeitsmarkt für Politiker.
eng
Oscar W. Gabriel, Beate Neuss,
Günther Rüther (Hrsg.), Konjunktur der Köpfe?
Eliten in der modernen Wissensgesellschaft,
Droste Verlag, Düsseldorf 2004,
ISBN-3-7700-1189-9, 384 S., 22,95 Euro
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