Es ist lange her, seit die Kirche
Wissenschaftlern wie Galilei wegen ihrer Erkenntnisse mit
dem Scheiterhaufen drohte. Im Laufe der Zeit hat sich, wie
Prof. Mieth darlegte, das Verhältnis grundsätzlich
umgekehrt. War die Machtbalance Kirche - Wissenschaft bis
zum 15. Jahrhundert von der Vorherrschaft der Religion
geprägt, dominiert heute die Wissenschaft. Laut Prof. Mieth
kann das dazu führen, dass die Wissenschaft die Gesellschaft
in autoritativ, "quasi-religiöser Form" bevormundet. So hat
die Wissenschaft die Macht der Sprache und Definition. Die
abstrakte Wissenschaftssprache aber verwehrt vielen Menschen
zu erkennen, "was für wen ein Risiko ist." Da sich die
Wissenschaft nicht mehr in einem Elfenbeinturm bewegt,
sondern im Zentrum der Gesellschaft, muss sie sich dieser
Verantwortung stellen. Außerdem dürfe die Wissenschaft
nichts versprechen, was sie nicht halten kann. So antwortete
der Forscher French Anderson auf die Frage, ob er denn
garantieren könne, dass seine Tierversuche zu Therapien
gegen Krebs und Aids führen werden: "Kann ich nicht, aber
ich glaube daran." Prof. Mieth ist überzeugt, dass auch
Glaube in der Wissenschaft notwendig ist. Allerdings muss er
so dimensioniert sein, dass aus bloßen Hoffnungen keine neue
Wirklichkeit konstruiert wird. Nach Prof. Mieth erklärt die
Wissenschaft die Welt. Um ihren Sinn zu verstehen, brauchen
wir aber die Religion. Er schlägt Kant folgend vor, von
transzendentalen Voraussetzungen auszugehen, die man nicht
beweisen kann, aber zum Überleben braucht.
Roland Muigg
|