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Stuttgarter unikurier Nr. 93 April 2004
Sammlungs- und Museumsgeschichte:
Zur medialen Vermittlung von Kunst

Das Institut für Kunstgeschichte und der Lehrstuhl I der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste veranstalteten einen Studientag zu einem Thema, das in den letzten Jahren nicht nur viele Museen entdeckt haben, sondern auch in der Kunstgeschichte die Forschung beschäftigt: Sammlungs- und Museumsgeschichte. Der Studientag am 20. Februar 2004 im Senatssaal spitzte diese Fragestellung auf die Rolle verschiedener Bild- und Textmedien zu: Welche Rolle spielen Graphik, Malerei, kunsttheoretische und literarische Texte für die Überlieferung von Sammlungen? In welchen Medien wurden Sammlungen und Museen entworfen und erinnert?
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Porticum prospectus aus: David Teniers d.J., Theatrum Pictorium, Brüssel 1660.
Zum Thema "Die Überlieferung der Sammlung, die Erscheinung der Bilder. Zur medialen Vermittlung und Rezeptionsgeschichte von Kunst im 16. bis 18. Jahrhundert" wurden neun Arbeitsthesen diskutiert. Christian Vöhringer stellte anhand des flämischen Sammlers Antoine Perrenot de Granvelle die Frage danach, ob die Edition humanistischen Gedankenguts in Büchern im 16. Jahrhundert als Kompensation einer verlorenen Sammlung (Gemälde Pieter Bruegels d. Ä.) gelten kann. Damit war ein Problem klar benannt: Die meisten europäischen Sammlungen sind uns nur aus der Überlieferung bekannt, da sie durch die Zeitläufe zerstört oder zerstreut wurden.

Caecilie Weissert beleuchtete anhand der Galeriebilder David Teniers d.J. und dem Galeriewerk "Theatrum Pictorium" die herausragende Rolle der Repräsentation der Sammlung für Erzherzog Leopold Wilhelms in Brüssel (Statthalter von 1646-56). Durch die Veröffentlichung des prominentesten Segments seiner Sammlung steigerte er nicht nur den Wert des einzelnen Objekts, sondern auch der Sammlung. Beat Wyss brachte das Jahr 1720 als Epochenschwelle in die Diskussion, an der das Konzept der Wunderkammer ausgedient hatte, in Geheimbünde und Freimaurerlogen abwanderte und nunmehr eine Aufteilung von Sammlungsgut in Spezialmuseen erfolgte. Wissenschaftsärchäologisch knüpfte er die Ordnung von Gemälden nach Schulzusammenhängen und historischen Gesichtspunkten an naturwissenschaftliche Ordnungen (Carl von Linné). Petra Thomas stellte das Museo Capitolino in Rom vor, das als erstes öffentliches Antikenmuseum 1733 eine Zäsur darstellt. Die Reproduktionen verbanden den Anspruch von Objektivität mit der expressiven Wahrnehmungsästhetik der Zeit. Als Belegmaterial wurde sie antiken Quellen zur Seite gestellt. Die Strategie, päpstliche Macht durch Geschichtskontinuität aus der Antike zu untermauern, veranlasste die Publikation des "Museo Ecclesiastico" von Francesco Bianchini: ein Museum in großen Schautafeln, das - so Brigitte Sölch - Kirchengeschichte zu einem allegorischen Geschichtsbeweis umdeutete. Das Museum wurde nie realisiert.

Anhand von Auktions- und Sammlungskatalogen in England im 18. Jahrhundert stellt Bärbel Küster die Bedeutung des Kunstmarktes für die Vermittlung von Sammlungen dar: Die häufig den Besitzer wechselnden Kunstwerke wurden beim Verkauf der Öffentlichkeit zugänglich, Kataloge wurden erstellt und die Werke von Kunsttheoretikern und Kennern diskutiert. Anette Michels erläuterte die große Bedeutung von Faksimiles von Handzeichnungen für die Geschichte der Sammlung von Grafik. Sie stellten eine "Evidenz des Bildlichen" her, der eine Institutionalisierung und Ordnung von Grafikkabinetten und die Verwissenschaftlichung in der kunsthistorischen Bearbeitung ab dem frühen 19. Jahrhundert folgte. Johann Wolfgang von Goethe vervollständigte ab 1818 planvoll seine Grafik-Sammlung, um vergleichendes Sehen zu ermöglichen. Der Dichter sammelte für eine "kunsthistorisch geschärfte Wahrnehmung" , mit der, so führte Johannes Grave aus, die Frage nach dem "Original" verschoben wurde. Goethes "idealer Kunstkörper" entsteht aus dem Schreiben über Kunst. So auch bei August Wilhelm von Schlegel. Hubert Locher besprach dessen "Nachrichten von den Gemälden in Paris", 1803 in der Zeitschrift "Europa" erschienen. Schlegels Bildbeschreibungen brauchen die visuelle Abbildung nicht mehr, da die literarische Beschreibungskunst als eigenständige Gattung im Kontext der Ekphrasis etabliert ist.

Die Beiträge und Diskussionen machten deutlich, dass die Überlieferung von Sammlungen wesentlicher Bestandteil des Sammelns selbst ist. Seit dem 16. Jahrhundert wurden dabei nicht nur aus repräsentativen Gründen, sondern auch zur Kompensation von Verlorenem, zum Studium und zur Schulung, wie zur Veranschaulichung von Konzepten gesammelt. In der Rezeption von Sammlungen verwischen zudem die Unterschiede zwischen realen Objekten einer Sammlung und virtuellen Zusammenstellungen, die den Weg auf die im 18. Jahrhundert entstehende Historisierung von Kunst weisen. Hier lassen sich konkrete Rückwirkungen auf die Sammelpraxis aufzeigen.

Bärbel Küster, Caecilie Weissert

KONTAKT

Dr. Bärbel Küster, Dr. Caecilie Weissert,

Institut für Kunstgeschichte, Keplerstr. 17, 70174 Stuttgart, Tel. 0711/121-3561, 3564,

Fax 0711/121-3556,

e-mail: kuester@k1.sowi.uni-stuttgart.de, weissert@k1.sowi.uni-stuttgart.de sowie unter
www.uni-stuttgartlde/kg1/

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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