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Stuttgarter unikurier Nr. 93 April 2004
Verkehrswesen am Kilometer 5.188 der transsibirischen Eisenbahn:
"Alles wird gut"... Diplomarbeit in Ostsibirien

Angefangen hat es mit einem gewissen Neid: auf die Kommilitonen aus dem konstruktiven Ingenieurbau (Bauingenieurwesen), die ein spannendes Jahr in Kanada zubringen konnten. Jedoch Kanada sollte es nicht sein, der Osten Europas hatte es Niels Jäger angetan. Das endgültige Ziel wurde nach "etwa einem Bier" festgelegt: Tutor Dr. Walter Vogt vom Lehrstuhl für Straßenplanung und Straßenbau war auf der Suche nach einem "Versuchskaninchen" für ein künftiges Austauschprogramm mit der Staatlichen Technischen Universität Irkutsk. Niels Jäger berichtet über seine Erfahrungen.
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Angara-Brückenbaustelle bei Nacht.
Also Irkutsk: Aus einem meiner liebsten Kinderbücher wusste ich, dort fließt die schöne Angara und Väterchen Baikal ist nicht weit. Außerdem war es sowohl auf dem Luft- als auch dem Landweg mit nur zweimaligem Umsteigen zu erreichen. Was liegt für einen werdenden Verkehrsplaner näher, als einfach mal zum Fahrkartenschalter auf dem Campus zu gehen und dumm zu fragen... Nach zwanzig Minuten hatte ich alle Fahrkarten und dazu sogar eine Reisegepäckversicherung, denn Warnungen russischer und ukrainischer Bekannter, wie etwa "Du wirst die Ukraine ohne Deine Schuhe verlassen", haben mich doch etwas bewegt.

Aber alles unbegründet! Nach fünf entspannenden Tagen im Schlafwagen erreichte ich am 5. März 2002 Irkutsk, nicht nur auf die Minute pünktlich, sondern auch um einige wichtige Erfahrungen reicher, denn sowohl die ersten Trinkerfahrungen als auch die ersten Versuche mit der russischen Sprache und das gerade erlernte Kartenspiel erwiesen sich noch als sehr nützlich. In Irkutsk war Winter, richtig Winter: Mit Schnee, Eis und Kälte bis minus 30 Grad Celsius. Mein Wohnheim war etwas "einfach", aber ich hatte ein Einzelzimmer, Dusche, Kühlschrank, zum Leben also mehr als genug.

Die Diplomarbeit ging etwas langsamer voran als geplant: Von der Irkutsker Uni war ich zwar mit einem gutem Computer in einem modernen Büro bestens ausgestattet, aber schon die Installation meiner speziellen Software und vor allem die Beschaffung der unbedingt notwendigen Daten führten mir gelegentlich deutlich vor Augen, dass die Uhren in Russland etwas anders ticken… doch für eben diese anders gehenden Uhren haben die Russen das Lebensmotto "wso budet harascho" ("alles wird gut"), mit dessen Hilfe auch ich bis Ende August genug Material sammeln konnte, um die Heimreise nach Stuttgart antreten zu können.

Eine neue Brücke über die Angara

Zur Diplomarbeit: In der russischen Großstadt Irkutsk, mit über 640.000 Einwohnern das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum Ostsibiriens, wird seit dem Jahr 2000 eine zweite innenstadtnahe Straßenbrücke über die Angara gebaut. Diese Brücke wird das Stadtzentrum mit den Stadtteilen auf der anderen Seite der Angara verbinden, auch mit dem Campus der Technischen Universität Irkutsk (ISTU). Die neue Brücke entlastet eine bestehende Brücke und verbessert die Verkehrssituation im Stadtzentrum insgesamt. Die Aufgabe lautete, den Bereich des auf dem linken Ufer liegenden Brückenkopfes zu gestalten. Auf der etwa einen Quadratkilometer großen Fläche war für den motorisierten Individualverkehr eine Reihe von planfreien oder lichtsignalgesteuerten Knoten zu entwerfen. Im öffentlichen Verkehr entsteht auf dieser Fläche eine Verknüpfung zwischen einem Haltepunkt einer Vorortbahn ("Elektritschka") und dem städtischen Busnetz. Teilflächen des Areals sind für ein Sport- und Einkaufszentrum vorgesehen. Verknüpfungen und Erschließung sollen besonders fußgängerfreundlich erfolgen. Dazu wurden neben der bisher in Irkutsk zur Ausführung vorgesehenen Basislösung drei Varianten entwickelt. Die Ergebnisse wurden Vetretern der Stadtverwaltung präsentiert.

Zu Hause in Stuttgart war die Diplomarbeit recht schnell beendet. Aber es blieb das Verlangen, nach Irkutsk zurückzukehren. Dieser Wunsch sollte sich im Frühjahr 2003 erfüllen. Ich wurde von meinen Irkutsker Betreuern zur "Internationalen Baikal Winter Städtebauuniversität" als Assistent/Experte eingeladen. Doch dieses Mal fuhr ich nicht alleine, mit mir fuhren fünf Studenten des Verkehrswesens aus Stuttgart, die an der  "Städtebauuniversität" teilnahmen.

Internationale Baikal-Winteruniversität

Die Internationale Baikal-Winteruniversität wurde vor fünf Jahren von der "Architektur-/Städtebauschule" in Cergy-Pontoise bei Paris gemeinsam mit der Architekturfakultät der Staatlichen Technischen Universität Irkutsk initiiert. Ihr Hauptanliegen ist die Förderung von Absolventen durch internationale Ausbildungsprogramme und "einer hohen Berufskultur" im öffentlichen Städtebau zur Lösung aktueller städtebaulicher Probleme. Das Konzept der Winteruniversität besteht in einem dreiwöchigen Wettbewerb interdisziplinärer Projektgruppen von Absolventen verschiedener Länder und Ausbildungsstufen. Seit 2003 sind auch die Verkehrsvertiefer der Universität Stuttgart zur Winteruniversität eingeladen und 2003 wie 2004 mit je fünf Studierenden vertreten. Das Thema 2003 befasste sich mit der "Universität in der Stadt"; 2004 ging es unter dem Thema "Neue Städte - Probleme, Perspektiven und Möglichkeiten" darum, städtebauliche und verkehrliche Lösungen für die erst 50 Jahre alte Stadt Angarsk zu entwickeln, die mit ca. 270.000 Einwohnern etwa 30 Kilometer von Irkutsk an der Angara liegt. Vor einer interessierten Öffentlichkeit, Vertretern der lokalen Administration und vor den Objektiven des Lokalfernsehens haben die Absolventen die Gelegenheit, ihre Pläne zu präsentieren. Eine international besetzte Expertenjury bewertet die Arbeiten. Die besten Teams erhalten eine Auszeichnung. Ein attraktives Begleitprogramm sorgt dafür, dass abends und am Wochenende die privaten Kontakte nicht zu kurz kommen. Höhepunkte bilden die Ausflüge zum Baikalsee, dem größten Süßwasserreservoir der Erde.

Niels Jäger, Walter Vogt

KONTAKT

Dr.-Ing. Walter Vogt, Institut für Straßen- und Verkehrswesen, Lehrstuhl für Straßenplanung und Straßenbau,

Pfaffenwaldring 7, 70569 Stuttgart

Tel. 0711/685-6440

Fax 0711/685-6966

e-mail: vogt@isvs.uni-stuttgart.de


 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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