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Stuttgarter unikurier Nr. 93 April 2004
Universalitätsgesetz für Fragmentationsvorgänge:
Eier platzen für die Wissenschaft

Bei Eiern handelt es sich sprichwörtlich um ein zerbrechliches Gut. Das Bruchverhalten dieser fragilen Produkte kann nun möglicherweise Aufschluss geben über die wirkenden Kräfte bei zerstörerischen Explosionen. Anzahl und Größe der Bruchstücke stehen nämlich in einer rekonstruierbaren Beziehung zur zerstörenden Kraft, so der Ansatz eines Wissenschaftlerteams der Universität Stuttgart und der Universität Debrecen in Ungarn.
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Aufnahme der Explosion einer Hühnereierschale (aufgenommen zusammen mit H. Gerhard, IKP).
Zunächst mussten die Wissenschaftler eine Modellierung und ein Simulationsverfahren für die numerische Rekonstruktion des Bruchverhaltens entwickeln. Die Möglichkeit zur analytischen Beschreibung von Fragmentationsvorgängen ist wegen der Komplexität der Versagensvorgänge sehr beschränkt. Viele sich gegenseitig beeinflussende Risse sowie dynamische Effekte bei Risswachstum müssen gleichzeitig berechnet werden. Als numerisches Werkzeug für die Fragmentationssimulation wurden Diskrete Elemente Modelle eingesetzt, die aus einer hohen Zahl interagierender Elemente bestehen. Die Notwendigkeit für viele Simulationsläufe zur statistischen Absicherung der Aussagen beschäftigte ein modernes Computercluster mit 16 Prozessoren zwei Monate lang.

In numerischen Simulationen und praktischen Tests konnten die Forscher Universalitätsklassen von Fragmentierungen ermitteln, die unabhängig von Material und Form sind. Die bemerkenswerteste Beobachtung bei Fragmentationsvorgängen ist nämlich, dass die Verteilung der Fragmentmassen einem Potenzgesetz folgt, gültig für eine große Klasse von Materialien und Größenskalen sowie von der Art und Weise, wie das System zerstört wurde. Theoretische und experimentelle Arbeiten befassten sich mit der Gültigkeit dieses universellen Gesetzes und zeigten, dass der Exponent des Potenzgesetzes lediglich von der Dimensionalität des Objektes abhängt, vorausgesetzt, die Zerstörungsenergie ist hoch genug und es handelt sich um ungeordnetes Material, das spröde versagt. Neuere Ergebnisse bei niederen Zerstörungsenergien führen diese Gesetzmäßigkeit auf einen jeweils zu Grunde liegenden kritischen Punkt zurück.

Die Stuttgarter Wissenschaftler haben bei ihren Simulationen ebenfalls diesen kritischen Punkt ermittelt und konnten von dort aus die Exponenten des Potenzgesetzes bestimmen, die sich von den bislang bekannten Universalitätsgesetzen unterscheiden. Grund hierfür sei die Besonderheit, dass Schalen an sich zweidimensionale Körper sind, die Dynamik des Gesamtsystems jedoch dreidimensional ist und eine Vielfalt von Versagensmoden ermöglicht. Aus den numerischen Simulationen und den übereinstimmenden Experimenten an Hüh- ner- eierschalen schlie-ßen die Wissenschaftler auf ein neues Universalitätsgesetz für Fragmentationsvorgänge für schalenförmige Objekte.

Die Ergebnisse sind in einem Beitrag für die Physical Review Letters zusammengefasst und stießen in der Öffentlichkeit bereits auf großes Interesse. Die Ergebnisse sollen auch dabei helfen, etwa die Ursachen von Flugzeugkatastrophen und anderer Explosionen besser zu verstehen. Mit den Modellen kann aber nach Aussage der Wissenschaftler auch die Verteilung des so genannten Weltraumschrotts besser als bisher berechnet werden, um den ungehinderten Flug neuer Raketen zu berechnen.

Der Hessische Rundfunk stellt einen Fernsehbeitrag über die Stuttgarter Experimente inzwischen online zur Verfügung.
http://static.hr-online.de/fs/abenteuererde/thema2-040407.html

eng

Kontakt

Prof. Hans Herrmann,

Prof. Bernd Kröplin,

Dipl.-Ing. Frank Wittel

Tel. 0711/685-3701

Fax 0711/685-3658

e-mail: hans@ica1.uni-stuttgart.de

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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