Redaktion:
Herr Wehking, Sie haben drei Jahre die Gründungsförderung
an der Universität Stuttgart betreut. Wenn Sie heute Bilanz
ziehen, auf welche Erfolge können Sie in Ihrer Amtszeit
zurückblicken?
Wehking:
Dazu gehört, denke ich, "Gründung" an der Universität in
der Breite zu einem Thema gemacht zu haben. Darüber hinaus
ist es uns im Herbst 2001 mit vereinten Anstrengungen
gelungen, den BMBF-Sachverständigenbeirat zu einer zweiten
PUSH!-Phase zu bewegen, was weitere rund fünf Millionen Euro
Fördermittel in die Region Stuttgart lenkte. Diese Gelder
haben wir vor allem zum Aufbau neuartiger Lehrmaßnahmen
genutzt und für den Ausbau der Gründungsberatung bei den
Hochschulinkubatoren, wozu auch die Technologie Transfer
Initiative der Universität Stuttgart (TTI GmbH) zählt. Die
TTI GmbH wird heute auch stärker als noch vor drei Jahren
als Dienstleistungseinrichtung der Universität wahrgenommen.
Sehr erfreulich ist weiterhin, dass der Bund den Ausbau
der Transfereinrichtungen in Form des
Technologie-Lizenz-Büros weiter unterstützt. Das spricht für
die Qualität der Arbeit, die dort geleistet wird.
Redaktion:
Herr Brüdern, welche Ziele haben Sie sich für Ihre
Amtszeit gesetzt?
Brüdern:
Ich habe natürlich eine Reihe von Aufgaben vom Kollegen
Wehking übernommen. Einen Schwerpunkt während meiner
Amtszeit will ich bei der Etablierung des Themas "Gründung"
in der studentischen Lehre setzen. Ich möchte den Aufbau und
die Implementierung eines Entrepreneurship-Curriculums aktiv
begleiten.
Im laufenden Jahr kommt außerdem dem Transfer unserer
Erfahrungen an andere Hochschulen große Bedeutung zu, wofür
sich vor allem das Gründungsforschungs-Forum im November
2004 eignet. Die Universität Stuttgart ist dabei ja einer
der Gastgeber und steht überdies beim BMBF im Wort,
Modellcharakter zu haben. Unser Vorgehen und unsere
Ergebnisse in der Netzwerkbildung, in der Aus- und
Weiterbildung und in der konkreten Gründungsbegleitung soll
anderen deutschen Hochschulen in vergleichbarer Ausgangslage
als nachahmenswertes Beispiel dienen.
Redaktion:
Warum ist es gerade auch für die Gründungsförderung
wichtig, eine enge Kooperation zwischen Forschung und
Industrie anzustreben und welche Rolle spielt dabei an der
Universität Stuttgart der Prorektor für Forschung und
Technologie?
Wehking:
Die Gründungsförderung gilt als besonders effektiver Teil
des Technologietransfers, denn "über die Köpfe" unserer
frisch ausgebildeten Absolventen sowie der jungen
Wissenschaftler, die ihre Forschungsergebnisse als Basis
einer Unternehmensgründung nutzen, gelangt das neueste
Wissen viel schneller und direkter zur Anwendung. Diese
Leute sind ja überzeugt von ihrer Innovation und wollen sie
auch in einen wirtschaftlichen Erfolg umsetzen! So manches
Unternehmen hingegen erwirbt die Nutzungsrechte an einer
Erfindung nur, um eventuelle Konkurrenz auszuschalten und
nicht, um sie möglichst vielen Kunden zugänglich zu machen.
Die Universität Stuttgart hat ein sehr großes Interesse
daran, den wechselseitigen Know-how-Transfer zwischen
Wissenschaft und Wirtschaft zu fördern - auf allen denkbaren
Wegen. Dass Gründungsförderung dabei keine Einbahnstraße
ist, erleben wir schon heute, wenn junge Unternehmen, die
aus der Universität heraus entstanden sind, interessante
industrielle Forschungsfragen an die Institute
zurückspielen. Angesichts der Drittmittelabhängigkeit der
Universität ist das ein Punkt, der in der Systematik der Gründungsförderung stärker beachtet
werden sollte.
Brüdern:
Die Universität Stuttgart verfügt wegen ihrer engen
Industriekontakte über eine herausragende Stellung bei der
Weiterentwicklung von Forschungsergebnissen bis zur
Marktreife, also deren Umsetzung in konkrete Produkte und
Dienstleistungen. Diese gilt es zu halten und auszubauen.
Auf dem Arbeitsgebiet des Prorektors für Forschung und
Technologie kann die Gründungsthematik überdies gut mit
verwandten Themen verknüpft werden, Fragen zu Patent- und
Lizenzangelegenheiten etwa. Außerdem nimmt der Amtsträger
schon immer eine gewisse Brückenfunktion bei Aufgaben des
Technologietransfers wahr, zum Beispiel zwischen der
Universitätsleitung und anderen Transfer-Einrichtungen der
Universität wie der TTI GmbH oder dem
Technologie-Lizenz-Büro in Karlsruhe.
Redaktion:
Wie sich im Förderprojekt PUSH! zeigt, legt das
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) großen
Wert darauf, dass gründungsbezogene Inhalte bereits im
Studium vermittelt werden. Ist die Gründungsförderung nicht
damit auch eine Aufgabe für den Prorektor Lehre?
Wehking:
Dass eine systematische Förderung von Gründerpersönlichkeiten bereits im Grundstudium
ansetzen sollte, ist in Deutschland noch eine recht neue
Sichtweise, zu der sich auch das BMBF im Projekt PUSH! erst
spät geäußert hat. Ich hatte mich aber mit dem damaligen
Prorektor für Lehre, Professor Göhner, schon vorher
regelmäßig abgestimmt. Wir haben auch gemeinsam die
"Interfakultative Arbeitsgruppe Lehrangebot
Existenzgründung" ins Leben gerufen. Und ich weiß, dass Herr
Brüdern mit dem derzeitigen Prorektor für Lehre, Herrn
Professor Thomé, zusammenarbeitet.
Redaktion:
Nur ein geringer Anteil der Studierenden macht sich
direkt nach dem Abschluss selbstständig - warum möchten Sie,
Herr Brüdern, dennoch gerade bei der Gründungsförderung im
Studium einen Schwerpunkt Ihrer Arbeit setzen? Gibt die
Universität damit lediglich einem aktuellen Trend nach oder
werden weitergehende Absichten verfolgt?
Brüdern:
Natürlich ist eine freiberufliche oder unternehmerische
Berufsausübung nur eine unter mehreren Erwerbsmöglichkeiten,
und wir können nicht von allen Studierenden erwarten, dass
sie sich hier an der Universität Stuttgart darauf
vorbereiten wollen. Dennoch: So klein ist der Anteil auch
wieder nicht. Immerhin rund zehn Prozent unserer
Studierenden wollen sich direkt nach Studienabschluss,
weitere 26 Prozent nach einigen Jahren Berufstätigkeit
selbstständig machen. Und der Trend zeigt stark nach oben.
Wir stehen daher durchaus in der Pflicht, unsere
Studierenden und Alumni über die möglichen Chancen und
Risiken des Unternehmertums zu informieren, so dass sie sich
gegebenenfalls auf die Anforderungen einer selbstständigen
Berufsausübung vorbereiten können. Nicht zuletzt die
regionale Wettbewerbsfähigkeit hängt damit zusammen.
Redaktion:
Wie sieht die Vorbereitung auf ein mögliches
Unternehmertum aus?
Brüdern:
Wir müssen alle unsere Absolventen befähigen,
eigenverantwortlich Entscheidungen auf den wesentlichen
Gebieten ihres späteren Berufslebens treffen zu können. Das
ist in der heutigen Zeit, in der sich der Staat vermehrt aus
dem Arbeitsmarkt und der Daseinsvorsorge zurückzieht,
wichtiger denn je. Unser Ziel ist der "gründungsmündige
Absolvent". Das heißt, die Studierenden sollen in die Lage
versetzt werden, sich autonom und rational begründet für
oder gegen eine berufliche Selbstständigkeit zu entscheiden.
Hierbei sollten ihnen unsere sehr guten Qualifizierungs- und
Beratungsangebote bekannt sein.
Um Aufbau und Betrieb des Entrepreneurship-Curriculums zu
sichern, müssen jedoch die anschubfinanzierten Lehrmaßnahmen
langfristig gesichert werden, was nicht einfach werden wird.
Wehking:
Herr Brüdern hat Recht, von den öffentlichen
Mittelzuweisungen hängt viel ab. Gerade auch bei der
positiven Evaluierung der TTI GmbH (wir berichteten:
unikurier Nr. 88) und im Verlauf meiner "Sommeroffensive
2001" habe ich deutlich gemerkt: Ohne die
Anschubfinanzierung durch Land und Bund wäre der gesamte
Prozess der Gründungsförderung hier an der Universität
Stuttgart kaum so rasch und erfolgreich verlaufen.
Redaktion:
Angesichts leerer öffentlicher Kassen steht die
Universität Stuttgart da vor großen Herausforderungen. Herr
Professor Wehking, welche Bereiche wären von Mittelkürzungen
besonders betroffen?
Wehking:
Zwei der personenbezogenen Förderprogramme, EXIST-SEED
des BMBF und Junge Innovatoren des Landes Baden-Württemberg,
stehen wahrscheinlich vor dem Aus. Auch das Projekt PUSH!
wird im Jahr 2004 nur mehr aus den Eigenmitteln der
beteiligten Hochschulen getragen. Außerdem ist es mir gegen
Ende meiner Amtszeit leider nicht mehr gelungen, die TTI
GmbH auf ihrem gegenwärtigen Niveau dauerhaft finanziell
abzusichern.
Redaktion:
Herr Brüdern, wie wird die Universität auf die geänderten
Rahmenbedingungen reagieren?
Brüdern:
Das wird in der Tat schwierig. Bisher ist die
Gründungsförderung ganz klar als öffentliche Aufgabe gesehen
worden. Insbesondere bei der weichenstellenden
Einzelberatung im Vorgründungsstadium sind wir zur
Kostendeckung auf öffentliche Zuschüsse angewiesen. Ähnlich steht es um die
Entwicklung und Fortführung gründungsbezogener Aus- und
Weiterbildungsmaßnahmen in der universitären Lehre.
Hinsichtlich der personenbezogenen Förderung hoffe ich,
dass es uns gelingen wird, EXIST SEED wenigstens für die
Zielgruppe der Studierenden weiter anbieten zu können. Zur
Fortführung des Landesprogramms "Junge Innovatoren" habe ich
gleich in den ersten Wochen meiner Amtszeit eine Reihe von
Gesprächen geführt - lassen Sie uns abwarten, was daraus
wird. Ansonsten bin ich bestrebt, Optimierungs- und
Einsparungspotenziale ausfindig zu machen. Wir müssen unsere
Kräfte noch stärker bündeln und auch externe Partner
vermehrt einbinden.
Redaktion:
Wir wünschen Ihnen viel Erfolg!
Kristin C. Wedekind/
Matthias Freitag
Kontakt
Prorektor für Forschung und Technologie,
Prof. Dr. Jörg Brüdern,
Keplerstraße 7, 70174 Stuttgart
Tel. 0711/685-5366,
e-mail: