Die Veranstaltung im Rahmen des
Forschungsprojekts "Prozess der Moderne" setzte die mit dem
Kolloquium "Medialität und Modell" im Januar 2002 begonnene
Diskussion über die Frage der Medialität fort. Da diese
Frage eng mit der Kunst verknüpft ist, sollte die
Problematik der Medialität nun anhand der Analyse von Filmen
der Avantgarde konkret und vom Verhältnis Kunst - Medien aus
behandelt werden.
Den Auftakt bildete ein Filmabend in Kooperation mit dem
Kommunalen Kino Stuttgart mit Klassikern des experimentellen
Films von Marcel Duchamp, Man Ray und Fernand Léger.
Erstmals bekam das Stuttgarter Kinopublikum auch
Gelegenheit, die noch erhaltenen Teile des italienischen
Films "Luomo meccanico" von André Deed ("Der mechanische
Mensch", 1921/22) zu sehen, eine frühe filmische
Verarbeitung des Roboterthemas. Ein Film, in dem, so
Friedrich Kittler (Berlin) in seinem Kolloquiumsbeitrag, der
"lange Weg" von den alten Medien wie Roman und Theater zu
den neuen Medien Film, Fernsehen und sogar Video angezeigt
wird. Im Steue-rungsmechanismus des Roboters per Bildschirm und Kamera
sieht Kittler die Geburt des - im Film noch namenlosen -
Geräts Fernseher. Bereits veraltet ist das Fernsehen in
dem Film "Strange Days" (1995), den Jay David Bolter
(Atlanta) zur Illustration seines Beitrags zu "Remediation
in early and late cinema" gewählt hat. Der Bildschirm im
Bildschirm oder der Film im Film und das Sehen mit dem
(fremden) Kameraauge allerdings bleibt bei der Verarbeitung,
der Remediation anderer Medien im Film, stets präsent. Auch
die neue Technologie von "the wire", die der Dealer Larry in
"Strange Days" seinen Kunden anpreist, ist ein
bildlich-filmisches Medium "like TV, only better".
Das Wirkliche als Geschwindigkeit des Möglichen
Keines komplizierten Übertra-gungs- und Projektionsmechanismus hingegen bedarf die
Arbeit der Züricher Künstlerin Sandra Boeschenstein, die
Jean-Baptiste Joly, der Direktor der Akademie Schloss
Solitude, dem Kolloquium als Motto voranstellte: Die
Installation in der Cafeteria der Akademie besteht aus einer
transparenten Glasplatte mit dem eingeritzten Satz "Das
Wirkliche ist die Geschwindigkeit des Möglichen", der als
Schattenprojektion auf der Wand sichtbar wird. Die
einleitenden Überlegungen von Gerhart Schröder (Stuttgart)
nahmen gleichsam den Ball auf, den die Installation
zugespielt hatte. Nicht etwa die Philosophie, sondern die
Kunst sei der "Ort, an dem die Frage der Medialität zur
Diskussion steht", in der konstanten Reflexion ihrer
technisch und medial bedingten Möglichkeiten, in der
Transparenz der Verfahren, welche den Akt der Gestaltung als
solchen sichtbar werden lässt.
Der Künstler und - wie ihn Gisela Febel (Bremen)
bezeichnete - Diskursbegründer Marcel Duchamp ging in seiner
Kritik am "retinalen Bild" und in seiner Reflexion über die
medialen Bedingungen des Bildes und des Kunstwerks allgemein
auch Experimenten mit optischen Geräten und
Versuchsanordnungen sowie kinematographischen Experimenten
nach. Die sich drehende Spirale steht hierbei oft im
Mittelpunkt seines Interesses, so auch in dem Film "AnémicCinéma"
von 1926, bei dem abwechselnd sich drehende gezeichnete
Spiralen und Textspiralen mit französischen Wortspielereien
gezeigt werden. Der durch die Spirale ausgelösten medialen "Vertigoerfahrung"
spürte Friederike Wappler (Konstanz) im Vergleich von "AnémicCinéma" mit den Arbei-ten von Bruce Nauman nach.
Abkehr vom narrativen Film
Joachim Paech (Konstanz) zeigte, wie im experimentellen
Film der Avantgarden in der Abkehr vom kommerziellen
narrativen Spielfilm europäischer oder amerikanischer
Prägung die Neigung des Mediums zur Entropie aufgesucht
wird. Die Avantgarde zielte, so Paech, auf eine
Wiedereinsetzung der Bewegungsdimension mittels im
konventionellen Film als störend betrachteter Elemente wie
Flicker, Bildflimmern sowie Rattern und Rauschen der
Apparatur. Das der Bewegungsdimension komplementäre Moment
des Innehaltens, des Anhaltens und Fixierens der Bewegung im
gleichsam unfilmischen Stillstand thematisierte hingegen
Cornelia Lund (Stuttgart) am Beispiel der Filme Man Rays als
Moment der Reflexion medialer Verfahren.
Nachdem Corinne Diserens (Marseille) die Gelegenheit
geboten hatte, Marcel Broodthaers Arbeiten in Äußerungen des
Künstlers in Radio-Interviews oder dokumentarischen Filmen
näherzukommen, spürte Michael Glasmeier (Braunschweig) dem
Geheimnis der Pfeife bei René Magritte, Michel Foucault und
Marcel Broodthaers nach. Am Beispiel dieser drei nicht nur
bei der Pfeife, sondern auch bei Begriffen wie dem "Archiv"
so themenverwandten "Denker-Künstler", welche "die Postulate
der Wissenschaft durch eine spezifisch subversive
Komplexität aushebeln", verfolgt er sein polemisches
Postulat für mehr Poesie und Praxis in der Kunstbetrachtung
und fordert dazu auf, wieder auf Spurensuche in den Bildern
zu gehen und Kunst weniger als Illustration bereits
bestehender Diskurse zu betrachten. Cornelia Lund
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