Home           Inhalt           Suchen

Stuttgarter unikurier Nr. 92 Dezember 2003
Energieerzeugung ohne HighTech:
Studenten bauen Generatoren aus Abfallmaterial
Aus alten Brettern und Schrottteilen bauten Studierende am In-stitut für Physikalische Elektronik eine Solaranlage und ein Windrad. Die Anlagen zeigen: Regenerative Energien lassen sich auch ohne teure Hochtechnologie nutzen.
kleinbal.gif (902 Byte)

Nur der Schlauch stammt aus dem Baumarkt. Für die Thermosiphon-Anlage kombinierten die Studierenden unter anderem ein altes Fenster, eine ausgediente Europalette und eine verbeulte Blechtonne... (Foto: Stuttgarter Zeitung)
Mit wuchtigen Schlägen hämmern Dennis Mader, Manuel Klumpp und Rainer Merz die letzten Latten an ein hölzernes Windrad. Nun noch die Fahne in den Wind gestellt, eine kräftige Böe abgewartet, dann ein Jubelruf: "Zwei Volt, es tut!". - Der ein wenig archaisch anmutende Generator steht auf dem Dach des Instituts für Physikalische Elektronik (IPE), und die Herren der Winde sind Teilnehmer der Vorlesung Energieumwandlung von Institutsleiter Prof. Jürgen Werner.

Im Sommersemester verknüpfte Werner den theoretischen Stoff mit praktischer Arbeit: In Kleingruppen sollten die Studierenden aus Abfallmaterial einen einfachen solarthermischen Kollektor sowie ein Windrad bauen. Ziel war eine funktionstüchtige Anlage, die 100 Liter Wasser erhitzen kann. Die Energieausbeute wurde in Modellrechnungen geschätzt und nach der Fertigstellung gemessen. Maximal zehn Euro standen für Material zur Verfügung, den Rest mussten die Gruppen in Kellern, Speichern oder auf dem Schrottplatz zusammensuchen.

Wie Robinson auf der Insel
"Die Startbedingungen sollten die gleichen sein wie bei Robinson auf der einsamen Insel", schildert Werner die Projektidee, die während eines Aufenthalts an der Stuttgarter Partneruni in Kairo entstand. "Trotz des überwiegend sommerlichen Klimas werden regenerative Energien in Ägypten kaum genutzt, weil die Technologie und das Know-how fehlen", beobachtete Werner. Also sollten die Studierenden Geräte entwickeln, die auch unter den Bedingungen eines Entwicklungslandes funktionieren - und Recyclingmaterial ist in Regionen, in denen noch jede Schraube repariert wird, reichlich vorhanden.

Zunächst jedoch stand Literaturstudium auf dem Programm. Gesucht waren Bautypen, die einfach zu konstruieren und für den Bau aus Abfall geeignet sind. In der "Windrad-Gruppe" fiel die Wahl auf eine so genannte Western-Windmühle, die aus alten Holzbalken zusammen gezimmert wurde. Das Getriebe stammt von einer ausrangierten Waschmaschine, und statt Stoffsegeln blähen sich leuchtend blaue Müllsäcke im Wind. Weitere elementare Bauteile: eine Fahrradspeiche, der Motor eines Scheibenwischers und eine Bierdose.

Knifflige Details
Daraus einen funktionsfähigen Generator zu bauen, war allerdings ein kniffliges Unterfangen. Ein Problem waren die beweglichen Achsen, deren Reibungsverluste die Energieausbeute minderten, erzählt Dennis Mader. Auch das Größenverhältnis zwischen Windfahne und Segelfläche bereitete einiges Kopfzerbrechen: Sind die Segel zu klein, verfängt sich der Wind nicht, und wenn die Fahne zu groß ist, stellt sich das Windrad sehr schwerfällig ein. Sturmgefährdet ist der Generator obendrein: schon die Windwirbel auf dem Dach des Elektrotechnikgebäudes brachten die Konstruktion gefährlich ins Wanken.

Etwas leichter taten sich Martin Kowolik, Cristina Tirziu, Markus Hlusiak und Thomas Rabe. Sie bauten eine Thermosiphon-Anlage. Bei diesem Gerät fließt das Wasser durch einen simplen Solarkollektor und wird dabei erwärmt. Dazu wurde ein altes Fenster auf eine ausgediente Europalette genagelt und mit Glaswolle abgedichtet. Als Absorber dient ein schwarz gestrichener Heizkörper, als Wasserbehälter eine verbeulte Blechtonne. Nur der Schlauch stammt aus dem Baumarkt. Das System nutzt die Dichtedifferenz von kaltem und warmem Wasser und pumpt sich quasi selbst. Geregelt wird es über den Füllstandsregler aus einer Toilettenspülung.

Heiße Debatten
An diesem HighTech-Teil entbrannten heiße Debatten: Gibt es in Entwicklungsländern Niederdruck-Spülungen? Solche Konflikte zu lösen, gehörte zum Seminarprogramm. Die Studenten sollten über die technische Realisierung der Anlage hinaus lernen, wie ein Projekt geplant und organisiert werden muss. Die gruppendynamischen Prozesse zwischen Sponti-Aktionen und Selbstüberschätzung waren ziemlich turbulent, und statt der vorgegebenen zwei Tage Bauzeit brauchten die Teams drei beziehungsweise fünf Tage. Doch die Mühe hat sich gelohnt: "Wir verstehen jetzt besser, was mit dem theoretischen Vorlesungsstoff gemeint ist, und Spaß gemacht hat es auch", resümierten die Teilnehmer zufrieden. Und auch wenn Robinson mit der Energieausbeute wohl höchstens warm duschen könnte: "Für einen CD-Player reicht’s allemal."

Andrea Mayer-Grenu

Kontakt
Institut für Physikalische Elektronik,
Pfaffenwaldring 47, 70569 Stuttgart
Tel. 0711/685-7141, -7140
Fax 0711/685-7143
e-mail: sekretariat@ipe.uni-stuttgart.de

 


llast change: 17.12.03 / hj
Pressestelle der Universität Stuttgart

Home           Inhalt           Suchen