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Stuttgarter unikurier Nr. 92 Dezember 2003
Rückblick auf eine noch nicht abgeschlossene Strukturdiskussion:
Strukturell Sparen tut weh
 
Von heftigen Diskussionen und zahlreichen Protesten waren die zurückliegenden Monate an der Universität - und auch in der Öffentlichkeit - geprägt. Ausgangspunkt war die Problematik, die an der Universität zu leistenden Aufgaben vor dem Hintergrund der im Rahmen des Solidarpaktes einzusparenden 265 Stellen und absehbarer finanzieller Einschränkungen mit reduzierten Ressourcen bewältigen zu müssen. Diskussionen und Proteste löste die Absicht von Universitätsleitung und Senat aus, dieser Situation mit strukturellem Sparen zu begegnen und Exzellenz durch Schwerpunktbildung bei den Stärken der Uni anzustreben. Dies ist nicht ohne Einschnitte machbar. Doch umstritten war und ist insbesondere die in diesem Zusammenhang beabsichtigte Schließung der Geowissenschaften und die zunächst vorgeschlagene Streichung der Lehramtsstudiengänge Deutsch, Englisch, Französisch, Geschichte und Politik; inzwischen hat man sich auf eine Reform der Lehramtsstudiengänge nach dem Bachelor-Master-Modell geeinigt. Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen: die Entscheidung des Universitätsrates steht noch aus.
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Zur Vorgeschichte
Eine Arbeitsgruppe aus sechs Professoren der Universität, die "Zukunftsoffensive Universität Stuttgart (ZUS)", hatte im Auftrag des Senats seit Ende Januar dieses Jahres auf der Basis einer uniweiten Stärken/Schwächen-Analyse ein Strukturkonzept für die weitere Entwicklung der Universität erarbeitet. Universitätsintern sollte das Papier das Konsolidierungsprogramm ablösen, mit dem die Universität bisher versucht hatte, sich den nötigen Freiraum für ihre weitere Entwicklung zu verschaffen. Das ZUS-Papier machte vor harten Einschnitten nicht Halt: unter anderem beinhaltete es die Streichung einiger geisteswissenschaftlicher Lehramtsstudiengänge, die Schließung geowissenschaftlicher Institute sowie Einsparungen in weiteren Bereichen. Das für die interne Diskussion im Senat vorgesehene Konzept war jedoch vor der Senatssitzung am 18. Juni durch eine Indiskretion in die Öffentlichkeit gelangt und hatte an der Universität und - da in die Überlegungen auch Nachbaruniversitäten einbezogen waren - auch darüber hinaus für große Unruhe gesorgt. Noch unmittelbar vor der Senatssitzung übergaben Studierende eine Sammlung von 3.800 Unterschriften und forderten den Senat auf, die Vorschläge abzulehnen.

Bekenntnis zur Volluniversität mit deutlich technischem Profil
Bei der Diskussion des Konzepts im Senat am 18. Juni wurde deutlich, dass die Universität Stuttgart bereit ist, durch Schwerpunktbildungen und Stärkung vorhandener Kompetenz ihr Profil zu schärfen. Einig waren sich die Senatsmitglieder, die für den Bericht grundsätzliche Zustimmung signalisierten, auch darüber, dass dies durch strukturelle Maßnahmen sowie durch Konzentration und Spezialisierung erfolgen solle. Dies bedeutet auch, dass nicht mehr alle - durchaus wichtigen und wünschenswerten - Lehr- und Forschungsgebiete erhalten werden könnten. Nicht angetastet werden soll jedoch die Struktur einer "Volluniversität" mit deutlichem technischen Profil und ausgeprägten Kompetenzen im Bereich der Natur-, Geistes-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. "Eine rein ingenieurwissenschaftliche Forschungs- und Lehrkultur ohne naturwissenschaftliche Grundlagenforschung und ohne geistes- und sozialwissenschaftliches Reflexionswissen würde auf Dauer die Attraktivität der Universität Stuttgart und ihre Zukunftsorientierung schwächen", wird in dem Papier ausdrücklich hervorgehoben. In einer fast dreistündigen Diskussion hatten alle Senatsmitglieder Gelegenheit, ihre Positionen und Bedenken sowie mögliche Auswirkungen der Einstellung von Studiengängen auf Nachbardisziplinen und die weitere Entwicklung der Universität darzulegen. Anschließend konnten die Fakultäten Stellungnahmen und eigene Vorschläge einreichen, die erneut in der Arbeitsgruppe Zukunftsoffensive diskutiert und im Juli dem Senat zur Entscheidung vorgelegt wurden.

Vehemente Proteste

Mit zahlreichen Prostestaktionen, wie hier bei einer Vorlesung im Freien vor dem Rektoramt, setzen sich Studierende und Dozenten der geowissenschaftlichen Fächer für den Erhalt ihrer Disziplinen ein. (Fotos: Eppler)
In der Zwischenzeit wurde - an der Universität und in der Öffentlichkeit - heftig weiterdiskutiert. Nachbaruniversitäten von Hohenheim bis Karlsruhe, die Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, die Kunstakademie, der Stuttgarter Gemeinderat, Studierende, Wissenschaftler, Gasthörer und Uni-Absolventen meldeten Kritik und Sorgen an. Insbesondere gegen die beabsichtigte Abschaffung der geisteswissenschaftlichen Lehramtsstudiengänge gab es vehemente Proteste: Studierende der Fächer Schulmusik oder Kunsterziehung hätten bei einer Abschaffung der Stuttgarter Studiengänge keine Möglichkeit, vor Ort ein geisteswissenschaftliches Beifach zu studieren und müssten nach Tübingen oder Heidelberg ausweichen, warnten Studierende bei zahlreichen Kundgebungen und Protestaktionen. Die Möglichkeit des Beifachstudiums ist in einem Kooperationsvertrag der Uni Stuttgart mit der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst geregelt; die Abschaffung dieser Studiengänge lasse einen Attraktivitätsverlust für den Studienort Stuttgart erwarten. Der Stuttgarter Gemeinderat verabschiedete eine Resolution, in der er seine Sorgen zum beabsichtigten Abbau der Lehrerausbildung mit "gravierenden Auswirkungen" auf die anderen Stuttgarter Hochschulen zum Ausdruck brachte und die Universität aufforderte, nach alternativen Möglichkeiten zu suchen. Begleitet von Studentenprotesten war auch die Sitzung des Universitätsrates am 3. Juli im Informatikgebäude, während der auch das Einsparungskonzept diskutiert wurde. Vor der Sitzung hatten Studentenvertreter dem Gremium ein gewichtiges Paket mit 4000 Unterschriften gegen die geplanten Einschnitte überreicht.

Senat beschließt Einsparungskonzept
Am 16. Juli gab es im Vorfeld der Senatssitzung erneut Protestaktionen von Studierenden. Im öffentlichen Teil der Sitzung hatten Musik- und Kunststudenten nochmals für die Aufrechterhaltung der Lehramtsstudiengänge plädiert. Anschließend traf der Senat seine Entscheidung: mit 20 Ja-Stimmen haben die Senatsmitglieder mit leichten Modifikationen dem Vorschlag der Arbeitsgruppe zugestimmt. Sechs Senatsmitglieder stimmten mit Nein, vier enthielten sich. Die geisteswissenschaftlichen Lehramtsstudiengänge sollen nicht eingestellt, sondern durch neue Zugänge über ein Bachelor-Master-Modell reformiert werden. Angestrebt wird, dass bereits zum Wintersemester 2004/05 das Studium nach dem neuen Modell begonnen werden kann. Neben Einsparungen in weiteren Bereichen sollen die geowissenschaftlichen Institute geschlossen und die entsprechenden Studiengänge eingestellt werden. Abstand genommen hat man von der ursprünglich diskutierten Verlegung des Instituts für Volkswirtschaftslehre und Recht an die Universität Hohenheim im Tausch gegen die Verlagerung der Kommunikationswissenschaften nach Stuttgart. In der offenen, ausführlichen Diskussion wurde wiederholt hervorgehoben, dass die Schließung der hervorragende Arbeit leistenden Institute und die Einsparungen in weiteren Bereichen keineswegs freiwillig erfolgten, sondern unter dem Druck des politischen Spardiktats. "Die Streichung der geowissenschaftlichen Institute ist uns sehr schwer gefallen", betonte Rektor Prof. Dieter Fritsch; er wertete die Entscheidung als "Signal nach außen, dass die Universität in der Lage ist, aus eigener Kraft ihre künftigen Strukturen festzulegen". Insgesamt sollen bis 2010 im Rahmen dieses Strukturkonzepts 110 bis 120 Stellen eingespart werden, nicht nur im wissenschaftlichen Bereich, sondern auch in der Verwaltung. Die Einsparungen sollen der Universität den nötigen Freiraum für ihre weitere Entwicklung ermöglichen.

Universitätsrat muss noch entscheiden
Auch nach dem Senatsbeschluss wurde das Für und Wider weiter heftig diskutiert. Der Universitätsrat wird sich voraussichtlich in der zweiten Januarhälfte 2004 ausführlich mit dem Konzept befassen.

Die vorgesehene Schließung von Studiengängen hat keine Konsequenzen für die bereits eingeschriebenen Studentinnen und Studenten. Diese werden ihr Studium in der Regelstudienzeit und einer Schonfrist von mindestens zwei Semestern abschließen können. Für die Reform der geisteswissenschaftlichen Lehramtsstudiengänge wird es flexible Übergangsregelungen geben. Zi

Die wichtigsten Empfehlungen der Arbeitsgruppe Zukunfsoffensive Universität Stuttgart (ZUS)

Die Universität Stuttgart muss - wie alle Hochschulen in Deutschland - ihre Aufgaben in Forschung und Lehre mit reduzierten Ressoucen bewältigen, heißt es in dem Papier der Arbeitsgruppe. Die Vorschläge sollen helfen, "die Qualität in Forschung und Lehre zu bewahren und eine herausragende Universität von internationaler Bedeutung zu erhalten und auszubauen. Im Sinne der Einheit von Forschung und Lehre muss dies von verstärkten Anstrengungen zur Exzellenz in der Lehre begleitet sein. Ziel ist, besonders qualifizierte Studierende aus dem In- und Ausland zu gewinnen und ihnen eine vorzügliche Ausbildung zu garantieren". Unter anderem wird empfohlen:

  • Die Geisteswissenschaften sollen die bereits eingeleitete Profilbildung im Bereich "Text - Wissen - Kultur - Gesellschaft", die sich in der Verbundenheit mit dem Internationalen Zentrum für Kultur- und Technikforschung zeigt, weiter vorantreiben und entsprechende Bachelor- und Master-Studiengänge entwickeln.
     
  • Die Arbeitsgruppe empfiehlt die Reform der Lehramtsstudiengänge Deutsch, Englisch, Französisch, Geschichte und Politik. Die Studiengänge sollen auf BA- und MA-Basis weitergeführt werden
     
  • Vorgeschlagen wird die Streichung der Professuren Germanistische Mediävistik, Linguistik/Germanistik, Landesgeschichte, Historische Hilfswissenschaften sowie die Zusammenlegung der Professuren für Computerlinguistik und der Professur für Formale Logik in eine Professur.
     
  • Die Arbeitsgruppe empfiehlt die Schließung der Institute für Geologie und Paläontologie, Mineralogie und Kristallchemie, Geophysik und Geographie. Damit verbunden ist die Streichung der Studiengänge Technische Geowissenschaften und Geographie (Diplom, Magister und Lehramt).
     
  • Ausdrücklich wird empfohlen, die Lehrerausbildung in Mathematik, Physik und Chemie mit einer gründlichen fachlichen Ausbildung, aber auch mit didaktischem Praxisbezug, fortzuführen.
     
  • Das klassische Vermessungswesen soll nach der Arbeitsgruppe nur noch an einem Standort in Baden-Württemberg angeboten werden. Da Stuttgart in Forschung und Lehre besser und sehr viel breiter aufgestellt sei als Karlsruhe, wird empfohlen, die Geodäsie nach Stuttgart zu holen.
     
  • Die Zentrale Verwaltung soll bis zu 15 Prozent der Stellen einsparen, wobei etwa ein Drittel der Stellen in höherwertige Stellen umgewandelt werden soll. Zentrale Einrichtungen sollen 15 Prozent der Stellen im nicht-wissenschaftlichen Bereich und 10 Prozent der wissenschaftlichen Dauerstellen einsparen. Untersucht werden sollen mögliche Synergieeffekte und Outsourcing-Möglichkeiten von Werkstätten. Dabei wird eine Einsparung von 20 Stellen erwartet.
     
  • Eine große Studierendenzahl wird von der Arbeitsgruppe nicht mehr als Qualitätsmerkmal der Universität angesehen. Die Begrenzung darf aber kein Anlass für die politisch Verantwortlichen sein, der Universität weitere Mittel zu entziehen.



last change: 17.12.03 / hj
Pressestelle der Universität Stuttgart

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