Stuttgarter unikurier
Nr. 92 Dezember 2003 |
Kunst auf dem Campus:
Doppelte Abwesenheit im Treppenraum |
Auf dem Campus und
in Gebäuden der Universität sind eine ganze Reihe von
Skulpturen, Objekten und Wandgestaltungen zu finden, die als
"Kunst im öffentlichen Raum" nicht nur die Mitglieder der
Hochschule angehen. Ein Projektseminar am Institut für
Kunstgeschichte arbeitet an einer Publikation über die
Skulpturen und Plastiken in Stuttgart. Im unikurier werden
in lockerer Folge einzelne Objekte vorgestellt. Diesmal geht
es um die 1982 entstandene Installation von Ben Willikens
"Treppenraum oder die Abwesenheit des Betroffenen" im
Gebäude Pfaffenwaldring 10 des Instituts für Thermodynamik
und Wärmetechnik. |
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Kunst braucht den Betrachter: Ben Willikens´ Installation
"Treppenraum oder die Abwesenheit des Betroffenen". (Foto: Dauster) |
Seit der Renaissance beschäftigt sich
die europäische Malerei mit der Illusion perspektivischer
Räume, die es dem Betrachter ermöglicht, sich durch seine
Augen im Bild zu bewegen, als wäre er im wirklichen Leben
unterwegs. Ben Willikens ist ein Künstler, der sich so
intensiv mit dem Raum in der Malerei beschäftigt, dass er
dafür sogar die Farbe preisgibt. Willikens, 1939 in Leipzig
geboren, lebt heute in Stuttgart und München, wo er Rektor
der Kunstakademie ist. In Stuttgart hat Willikens in vielen
öffentlichen Gebäuden Foyers und Räume gestaltet. Im
Institut für Thermodynamik und Wärmetechnik stellt Willikens
die Frage nach der "Abwesenheit des Betroffenen" - nach dem
Kunst-Betrachter, den man in einem Uni-Institut nicht
unbedingt vermutet. Er verschränkt das Thema des Raums in
der Malerei mit dem der Kunst im öffentlichen Raum.
Mehrere weiß- und grautonige Acrylbilder hängen im
Erdgeschoss und dem ersten Stock. Sie zeigen leere,
verlassene Räume, in denen Fenster- und Türöffnungen zu
sehen sind; teilweise sind die Türen ausgehängt. Die
Installation besteht insgesamt aus mehreren gerahmten und
ungerahmten, großen, fast wandfüllenden, Bildern,
"Anstreichproben" direkt auf der Wand und einer Art Vitrine
mit Entwurfszeichnungen, Skizzen sowie einem Foto des
Künstlers bei der Arbeit. Einziges räumliches Objekt ist
eine Holzkugel, die an einem vier Meter langen Faden von der
Decke hängt. Farbe bleibt den Geländern und Türen des
Treppenhauses vorbehalten. Hinzu kommen zwei Tafeln, die den
Betrachter stutzig werden lassen: Eine 120 x 60 Zentimeter
große graue Acryltafel mit dem handschriftlichen Titel des
Werkes und der Signatur des Künstler in Bleistift lässt das,
was sonst nur eine kleine Ecke des gemalten Bildes füllt,
zum eigenständigen Bildfeld werden. Unweit dieser
Signaturtafel befindet sich ein auf die Wand montiertes
Schild von 20 x 20 Zentimeter, das wie ein
überdimensioniertes Täfelchen wirkt, auf dem der Betrachter
eben diese Ausstellungsinformationen erwartet: Name, Titel,
Größe, Besitzer des Bildes - hier jedoch bleibt das
Informationstäfelchen leer.
Mit "Treppenraum oder die Abwesenheit des Betroffenen"
weist uns Willikens auf eine doppelte Abwesenheit hin: Kunst
braucht den Betrachter, der sich in diese abgeschiedenen
Räume nur selten verirrt. Die Kunst in diesen Räumen findet
"in Abwesenheit" statt. Zugleich macht er deutlich, dass
Kunst in öffentlichen Räumen nie für einen speziellen
Betrachter gemacht sein kann. Der öffentliche Raum bleibt
bei Willikens leer und undefiniert, ist nur perpektivische
Hülle und leeres Informationstäfelchen. Der öffentliche Raum
ist als Treppenraum ein Durchgangsort, der nur kurzzeitig
bespielt wird, bevor er sich wieder leert.
Bärbel Küster/Christel Dauster
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