Eine Zukunft ohne Chemie ist für Prof.
Fritsch unvorstellbar, denn Chemie findet sich überall im
täglichen Leben: in der Liebe, in einer einfachen Nudelsuppe
oder in Nutella, "selbst vor dem Bier macht die Chemie nicht
halt." Schon seit ihrer Gründung im Jahr 1829 als Vereinigte
Real- und Gewerbeschule Stuttgart wird an der Universität
Stuttgart Chemie gelehrt, und 1839 wurde kein geringerer als Hermann Christian Fehling als Hauptlehrer für Chemie
eingestellt.Basisdisziplin der Naturwissenschaften
Keine schlechte Entscheidung, befand Prof. Stephen Hashmi vom Institut für Organische Chemie der Universität
Stuttgart, denn diese Basisdisziplin der Naturwissenschaften
zählt heute immerhin mit zu den Schlüsseltechnologien in
Deutschland und ist einer der Innovationsmotoren. Ob
körperverträgliche Implantate aus Metall, Kunststoff oder
Hochleistungskeramik, Computer, die chemische Signale
"riechen" können, Bildschirme, die mit Flüssigkristallen
oder Leuchtdioden als Displays arbeiten oder die
Brennstoffzelle, mit der sich, einzig aufgrund der Reaktion
zwischen Wasserstoff und Sauerstoff, sowohl Busse als auch
Notebooks betreiben lassen - mit hohem Wirkungsrad, ohne
Abgase, ohne Lärm ... das alles ist Chemie. Und auch
Medikamente können heute dank der Computerchemie ständig
verbessert werden.
Was fällt Ihnen beim Wort Chemie ein? Eine
Allensbach-Umfrage zeigt: 70 Prozent der Befragten denken an
künstlich, nicht biologisch, 56 Prozent an chemische
Produkte wie Plastik oder Kunststoff, bei 44 Prozent kreisen
die Gedanken um Industrie- und Fabrikationsanlagen, bei 24
Prozent um Gesundheits- und Umweltschäden und 17 Prozent
fällt bei Chemie "sogar" die Wissenschaft ein.
Hauptsächlich "künstlich" wird die Chemie demnach
gesehen, und das zeigt, so Prof. Martin Jansen vom
Stuttgarter Max-Planck-Institut für Festkörperforschung,
dass die Multiplikatoren in der Chemie "nicht optimal
gearbeitet" haben, denn "natürlicher als die
Naturwissenschaften geht es nicht", sagt der Anorganiker.
Auf 80 stabilen Bausteinen - dem Periodensystem - und deren
Verknüpfung, die vom Menschen unbeeinflussbaren
Naturgesetzen folgt, basiert die ganze Vielfalt auf Erden.
Schmeckt Wackelpudding "chemisch"?
In Kindertagen habe er grünen Wackelpudding mit "schmeckt
chemisch" abgelehnt, erzählte Dr. Jürgen Hambrecht. Heute
jedoch sagt der Vorstandsvorsitzende der BASF: "Die Chemie
kommt aus der Natur" und warnt vor der derzeitigen
Chemiepolitik in Europa, die er als "Killer für viele
Beschäftigte in der Industrie" ansieht. Vernunft und Emotion
in den Griff zu bekommen, wird nach Hamprechts Meinung noch
lange dauern - immerhin wird Vitamin C als gesund angesehen,
dagegen aber Ascorbinsäure .... Dabei müsste "künstlich
eigentlich gut belegt sein", meint Henning Hopf. Da der
Mensch von Natur aus animalisch ist, sieht es der Professor
von TU Braunschweig eher als ein Glück an, wenn die
Entwicklung von der Natur weg geht. Doch jede Entwicklung
berge auch ein Janus-Gesicht: So bringen neue Techniken dem
Sportler zum Beispiel einen besseren Hochsprung-Stab, aber
auch neue Dopingmittel. Alles in allem habe die Chemie aber
dazu beigetragen, viele Dinge der Allgemeinheit zugänglich
zu machen, die früher nur Privilegierten vorbehalten waren -
etwa Medikamente oder Farben.
Besserer Zugang zu dieser Disziplin
Gibt es eine Zukunft ohne Chemie? Für Prof. Peter
Frankenberg ist dies eine sinnlose Frage. Seit dem Urknall
gibt es Chemie, so der Wissenschaftsminister. Ob es davor
Chemie gab, könne man sich fragen, aber eine Zukunft ohne
Chemie, das gibt es für ihn nicht. "Chemie ist zentraler
Bestandteil von allem, so auch der Photosynthese, ohne die
keine Pflanze wächst." Die Komplexität der
naturwissenschaftlichen Vorgänge werde jedoch oft schlecht vermittelt und daher auch schlecht
verstanden, merkte er an. Dr. Antje Vogel-Sperl,
Bundestagsabgeordnete der Grünen, begrüßte daher besonders
das Jahr der Chemie, das der Jugend einen besseren Zugang zu
dieser Wissenschaft verschaffen soll.
Julia Alber