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Stuttgarter unikurier Nr. 92 Dezember 2003
Gemeinsamer Hochschulabend mit Hohenheim:
Gibt es eine Zukunft ohne Chemie?
Als eine Novität in zweierlei Hinsicht zeigte sich der Hochschulabend am 14. Mai: Erstmals wurde er zusammen mit der Uni Hohenheim ausgerichtet, mit der "wir öfter gemeinsame Sache machen sollten", wie Prof. Dieter Fritsch, Rektor der Uni Stuttgart, in seiner Begrüßung sagte, und - ebenfalls erstmalig - stand eine Podiumsdiskussion auf dem Programm, die sich passend zum Jahr der Chemie der Frage widmete: Gibt es eine Zukunft ohne Chemie?
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Eine Zukunft ohne Chemie konnten sich die Teilnehmer der Podiumsdiskussion nicht vorstellen. Unser Bild zeigt von links Prof. Henning Hopf von der TU Braunschweig, den Vorstandsvorsitzenden der BASF, Dr. Jürgen Hambrecht, die Bundestagsabgeordnete der Grünen, Dr. Antje Vogel-Sperl, Prof. Ortwin Renn von der Abteilung für Umwelt- und Techniksoziologie der Uni Stuttgart, Wissenschaftsminister Prof. Peter Frankenberg und Prof. Martin Jansen vom Stuttgarter Max-Planck- Institut für Festkörperforschung. (Foto: Eppler)
Eine Zukunft ohne Chemie ist für Prof. Fritsch unvorstellbar, denn Chemie findet sich überall im täglichen Leben: in der Liebe, in einer einfachen Nudelsuppe oder in Nutella, "selbst vor dem Bier macht die Chemie nicht halt." Schon seit ihrer Gründung im Jahr 1829 als Vereinigte Real- und Gewerbeschule Stuttgart wird an der Universität Stuttgart Chemie gelehrt, und 1839 wurde kein geringerer als Hermann Christian Fehling als Hauptlehrer für Chemie eingestellt.

Basisdisziplin der Naturwissenschaften
Keine schlechte Entscheidung, befand Prof. Stephen Hashmi vom Institut für Organische Chemie der Universität Stuttgart, denn diese Basisdisziplin der Naturwissenschaften zählt heute immerhin mit zu den Schlüsseltechnologien in Deutschland und ist einer der Innovationsmotoren. Ob körperverträgliche Implantate aus Metall, Kunststoff oder Hochleistungskeramik, Computer, die chemische Signale "riechen" können, Bildschirme, die mit Flüssigkristallen oder Leuchtdioden als Displays arbeiten oder die Brennstoffzelle, mit der sich, einzig aufgrund der Reaktion zwischen Wasserstoff und Sauerstoff, sowohl Busse als auch Notebooks betreiben lassen - mit hohem Wirkungsrad, ohne Abgase, ohne Lärm ... das alles ist Chemie. Und auch Medikamente können heute dank der Computerchemie ständig verbessert werden.

Was fällt Ihnen beim Wort Chemie ein? Eine Allensbach-Umfrage zeigt: 70 Prozent der Befragten denken an künstlich, nicht biologisch, 56 Prozent an chemische Produkte wie Plastik oder Kunststoff, bei 44 Prozent kreisen die Gedanken um Industrie- und Fabrikationsanlagen, bei 24 Prozent um Gesundheits- und Umweltschäden und 17 Prozent fällt bei Chemie "sogar" die Wissenschaft ein.

Hauptsächlich "künstlich" wird die Chemie demnach gesehen, und das zeigt, so Prof. Martin Jansen vom Stuttgarter Max-Planck-Institut für Festkörperforschung, dass die Multiplikatoren in der Chemie "nicht optimal gearbeitet" haben, denn "natürlicher als die Naturwissenschaften geht es nicht", sagt der Anorganiker. Auf 80 stabilen Bausteinen - dem Periodensystem - und deren Verknüpfung, die vom Menschen unbeeinflussbaren Naturgesetzen folgt, basiert die ganze Vielfalt auf Erden.

Schmeckt Wackelpudding "chemisch"?
In Kindertagen habe er grünen Wackelpudding mit "schmeckt chemisch" abgelehnt, erzählte Dr. Jürgen Hambrecht. Heute jedoch sagt der Vorstandsvorsitzende der BASF: "Die Chemie kommt aus der Natur" und warnt vor der derzeitigen Chemiepolitik in Europa, die er als "Killer für viele Beschäftigte in der Industrie" ansieht. Vernunft und Emotion in den Griff zu bekommen, wird nach Hamprechts Meinung noch lange dauern - immerhin wird Vitamin C als gesund angesehen, dagegen aber Ascorbinsäure .... Dabei müsste "künstlich eigentlich gut belegt sein", meint Henning Hopf. Da der Mensch von Natur aus animalisch ist, sieht es der Professor von TU Braunschweig eher als ein Glück an, wenn die Entwicklung von der Natur weg geht. Doch jede Entwicklung berge auch ein Janus-Gesicht: So bringen neue Techniken dem Sportler zum Beispiel einen besseren Hochsprung-Stab, aber auch neue Dopingmittel. Alles in allem habe die Chemie aber dazu beigetragen, viele Dinge der Allgemeinheit zugänglich zu machen, die früher nur Privilegierten vorbehalten waren - etwa Medikamente oder Farben.

Besserer Zugang zu dieser Disziplin
Gibt es eine Zukunft ohne Chemie? Für Prof. Peter Frankenberg ist dies eine sinnlose Frage. Seit dem Urknall gibt es Chemie, so der Wissenschaftsminister. Ob es davor Chemie gab, könne man sich fragen, aber eine Zukunft ohne Chemie, das gibt es für ihn nicht. "Chemie ist zentraler Bestandteil von allem, so auch der Photosynthese, ohne die keine Pflanze wächst." Die Komplexität der naturwissenschaftlichen Vorgänge werde jedoch oft schlecht vermittelt und daher auch schlecht verstanden, merkte er an. Dr. Antje Vogel-Sperl, Bundestagsabgeordnete der Grünen, begrüßte daher besonders das Jahr der Chemie, das der Jugend einen besseren Zugang zu dieser Wissenschaft verschaffen soll.

Julia Alber

 


last change: 17.12.03 / hj
Pressestelle der Universität Stuttgart

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