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Stuttgarter unikurier Nr. 92 Dezember 2003
Uni-Abend mit Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt:
Der Ruck muss kommen
Roman Herzog beschwor ihn schon vor Jahren, Kanzler Schröder in den Reformdebatten dieses Sommers, aber kommt er nun wirklich, der viel zitierte Ruck durch Deutschland? Was passieren muss, damit es "ruckt", erläuterte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt beim Universitätsabend am 9. Juli. "Kommt der Ruck? Deutschland in der Reformdiskussion" hatte er seinen Vortrag überschrieben.
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Der Ruck muss kommen, meinte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. (Foto: Eppler)
Die Lagebilanz, mit der der Chef der Uhinger Allgaier-Werke nach der Begrüßung durch Rektor Prof. Dieter Fritsch seinen Vortrag einleitete, konnte die Zuhörer allerdings das Fürchten lehren: Wachstum im Keller, Sozialsysteme kurz vor dem Crash, die Bildung marode - "das einzige, was nach oben geht, sind die Arbeitslosenzahlen und die Firmenpleiten." Schuld daran seien jahrzehntealte strukturelle Probleme, die sich im konjunkturellen Abschwung doppelt rächen.

Alles schlecht zu reden, läge ihm jedoch fern, betonte Hundt, und forderte eine "tabufreie" Reformdiskussion. Dazu zwinge schon die Globalisierung. Sie konfrontiere die Deutschen mit Wahrheiten, die lange ignoriert wurden. "Kein Land der Welt hat einen so überregulierten Arbeitsmarkt, eine so überbordende Bürokratie und so unverhältnismäßig hohe Arbeitskosten wie Deutschland", benannte er die Standortnachteile aus Unternehmersicht.

Erster Schritt ist gemacht
Ohne die Vorgabe eines langfristig angelegten Leitbildes werden jedoch weder Wirtschaft noch Bürger zur notwendigen Reformanstrengung motiviert. "Der Ruck braucht eine klare Richtung", forderte Hundt. Die von Bundeskanzler Gerhard Schröder im März vorgestellte Agenda 2010 bezeichnete er als einen ersten Schritt. Sie enthalte das klare Ziel, die Rahmenbedingungen für mehr Wachstum und Beschäftigung zu verbessern. "Mehr Eigen- und weniger Fremdverantwortung, weniger Staat und mehr Privatinitiative - die Richtung stimmt", lobte Hundt das rot-grüne Reformkonzept.

In der sozialen Sicherung, im Arbeitsrecht, in der Arbeitsmarkt- und Steuerpolitik wurden Gesetzesvorhaben angekurbelt, die lange undenkbar schienen. Allerdings handele es sich dabei noch um politische "Reparaturarbeiten". Hundt forderte weitere Reformen: So müsse die Sozialversicherung auf eine Basissicherung mit Kernleistungen konzentriert werden, dem Einzelnen sollen mehr Handlungs- und Entscheidungsspielräume zur Gestaltung seines individuellen Schutzniveaus eingeräumt werden.

Schmerzhafte Einschnitte
Gemeint sind Einschnitte, die weh tun: Die Deutschen sollen länger arbeiten und sehen dafür weniger Rente. Arztbesuche und Medikamente müssten teurer, Zahnersatz und Unfälle privat versichert werden. Und auch das Pflegerisiko, erst vor wenigen Jahren nach zähem Ringen in die gesetzliche Versicherung integriert, wollen die Arbeitgeber wieder der privaten Vorsorge überlassen.

Eine weitere Reformbaustelle machte Hundt, der seit 1998 Ehrensenator der Uni ist, in der Bildungspolitik aus. Sowohl in der finanziellen Ausstattung von Forschung und Entwicklung als auch bei Effizienz und Qualität drohe das Bildungssystem den Anschluss zu verlieren. "Ein rohstoffarmes Land wie Deutschland kann sich eine derartige Vernachlässigung seiner wichtigsten Ressource nicht leisten", kritisierte der Arbeitgeberchef, und empfahl kürzere Studienzeiten, eine engere Verzahnung von Theorie und Praxis und noch mehr Bachelor- und Masterstudiengänge.

Interesse an Diplom
Eine Forderung, die auf Widerspruch stieß: "Wir haben jede Menge neue Abschlüsse eingeführt, aber die Wirtschaft nimmt sie nur sehr zurückhaltend an", so die Erfahrung eines Univertreters im Publikum. Im Übrigen stoße das deutsche Diplom derzeit gerade in den USA durchaus auf Interesse: "Wir stehen viel näher an den internationalen Vorbildern, als oftmals dargestellt."

Bei allen Differenzen blieb Hundt am Ende Optimist: "Der Ruck kommt - er muss kommen", lautete das Fazit des Wirtschaftslenkers, der sich sicher ist, dass die Bürgerinnen und Bürger bei den anstehenden Reformen mitziehen werden. Andrea Mayer-Grenu

 


last change: 17.12.03 / hj
Pressestelle der Universität Stuttgart

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