Home           Inhalt           Suchen

Stuttgarter unikurier Nr. 92 Dezember 2003
Stuttgarter Physiker kooperieren mit Forschern aus Israel und Palästina:
"Wir wollen Wissenschaft, nicht Krieg"

Nur 15 Kilometer trennen die Hebrew University im israelischen Teil Jerusalems und die Al-Quds University im arabischen Sektor der Stadt. Einen offiziellen Austausch zwischen den Hochschulen jedoch lässt der Nahostkonflikt nicht zu. Daher fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) trilaterale Kooperationen zwischen Wissenschaftlern aus Deutschland, Israel und Palästina. Im Mai fand ein solcher Gedankenaustausch am 1. Physikalischen Institut der Uni statt.
kleinbal.gif (902 Byte)


Das Flugzeug, das Dr. Adnan Lahham von der Al-Quds University nach Stuttgart brachte, braucht ungefähr acht Stunden. Bevor sich der Physiker aus Bethlehem im Westjordanland allerdings in den Flieger setzen konnte, war er einen weiteren Tag unterwegs: Da Palästinenser das Land von Jerusalem aus nicht verlassen dürfen, musste der Wissenschaftler den Umweg über die Jordanische Hauptstadt Amman wählen - zeitraubende Grenzkontrollen und Straßensperren inklusive.

Das Beispiel ist typisch für die Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit von Wissenschaftlern im Nahen Osten. "Wir mussten ganz schön organisieren, um die Forschergruppe nach Stuttgart zu bekommen", gestand Prof. Martin Dressel vom 1. Physikalischen Institut, der die Tagung vorbereitete. Noch am Vortag zog ein palästinensischer Wissenschaftler seine Zusage aus Angst vor politischen Sanktionen zurück. Versammelt hatten sich schließlich Prof. Dan Davidov vom Racah Institute of Physics der Hebrew University in Jerusalem sowie Dr. Musa Abu Teir und Dr. Adnan Lahham von der Al-Quds University. Auch Belal Salameh, ein syrischer Student am Lehrstuhl von Prof. Dressel, nahm an dem Treffen teil.

Im Mittelpunkt der Gespräche standen die Nahfeld-Mikroskopie und -Spektroskopie biologischer und medizinischer Systeme. "Wir entwickeln Verfahren, durch die sich Zellen beispielsweise in einem Muttermal mit einem Scanner erfassen und dreidimensional darstellen lassen", beschreibt Prof. Dressel das Forschungsziel. In Zukunft könnten dadurch Krebszellen identifizierbar werden, ohne dass dem Patienten eine Gewebeprobe entnommen werden muss.

Schon seit mehreren Jahren wird in den Gruppen von Prof. Davidov in Jerusalem und Prof. Dressel in Stuttgart intensiv daran gearbeitet, Nahfeldmethoden im Frequenzbereich einiger Gigahertz bis mehrerer Terahertz zu entwickeln. Israel mit seinem innovativen und risikobereiten Forschungsklima ist auf diesem Wissenschaftsfeld führend. Prof. Davidov gehört zu den Pionieren und verfügt über wichtige Kontakte zu israelischen Medizinern, die zu einem Netzwerk verknüpft werden sollen.

Doch gerade auch Palästinenser haben spezifische Talente, die dem Forschungsprojekt sehr zugute kommen, betont Prof. Davidov: "Arabische Wissenschaftler zeichnet eine hohe manuelle Geschicklichkeit aus. Bei den extrem kleinräumigen Systemen, mit denen wir arbeiten, ist das ebenso wichtig wie die Kopfarbeit."

Leere Labore
Bis diese Talente sich voll entfalten können, sind jedoch etliche Hindernisse zu überwinden. Ein Problem ist die extrem schlechte Infrastruktur der Al-Quds Universität. Finanzielle Mittel sind knapp, und auf die Frage, was in den Laboren am dringendsten fehlt, antwortet Dr. Musa Abu Teir lapidar: "Fragen Sie lieber, was vorhanden ist." Ob Oszilloskop oder Temperaturmessgeräte: etwa 250 000 Euro seien erforderlich, um auch nur die nötigste Basisausstattung zu beschaffen - Geld, das jetzt aus DFG-Mitteln aufgebracht werden soll.

Nur durch eine Verbesserung der Forschungsbedingungen besteht die Chance, talentierte Wissenschaftler im Land zu halten. So kann man am größten Physikfachbereich im Westjordanland zwar seit 1997 einen Masterabschluss machen, die etwa zehn Graduierten müssen sich jedoch damit abfinden, im Wesentlichen Ergebnisse zu analysieren, die ihre Betreuer während eines Auslandsaufenthalts erzielten. Vielen genügt das nicht: Die Versuchung, ins Ausland zu gehen, ist groß.

Um ein weiteres Ausbluten zu verhindern, werden Wissenschaftler der Al-Quds University während mehrmonatiger Aufenthalte in Stuttgart gezielt darauf vorbereitet, den Universitätsbetrieb in der Heimat aufzubauen. "Ziel ist das lokale Training für dortige Studenten", betont Prof. Dressel.

Prof. Davidov hofft indes, dass die Kooperation nicht nur auf wissenschaftlichem Gebiet ein Erfolg wird: "Unter meinen Studenten sind Araber mit exzellenten Ergebnissen", sagte der Israeli mit Nachdruck. "Es ist eine Schande, wenn diese Talente aus politischen Gründen vergeudet werden. Wir wollen Wissenschaft und nicht Krieg!"

Andrea Mayer-Grenu

KONTAKT
Prof. Dr. Martin Dressel,
1. Physikalisches Institut, Universität Stuttgart,
Pfaffenwaldring 57, 70550 Stuttgart,
Tel. 0711/685-4947
e-mail: dressel@pi1.physik.uni-stuttgart.de sowie unter
www.dfg.de/english/coop/israel palestine.html


 


llast change: 17.12.03 / hj
Pressestelle der Universität Stuttgart

Home           Inhalt           Suchen