Das Flugzeug, das Dr. Adnan
Lahham von der Al-Quds University nach Stuttgart brachte,
braucht ungefähr acht Stunden. Bevor sich der Physiker
aus Bethlehem im Westjordanland allerdings in den Flieger
setzen konnte, war er einen weiteren Tag unterwegs: Da
Palästinenser das Land von Jerusalem aus nicht verlassen
dürfen, musste der Wissenschaftler den Umweg über die
Jordanische Hauptstadt Amman wählen - zeitraubende
Grenzkontrollen und Straßensperren inklusive.
Das Beispiel ist typisch für die Schwierigkeiten bei der
Zusammenarbeit von Wissenschaftlern im Nahen Osten. "Wir
mussten ganz schön organisieren, um die Forschergruppe nach
Stuttgart zu bekommen", gestand Prof. Martin Dressel vom 1.
Physikalischen Institut, der die Tagung vorbereitete. Noch
am Vortag zog ein palästinensischer Wissenschaftler seine
Zusage aus Angst vor politischen Sanktionen zurück.
Versammelt hatten sich schließlich Prof. Dan Davidov vom
Racah Institute of Physics der Hebrew University in
Jerusalem sowie Dr. Musa Abu Teir und Dr. Adnan Lahham von
der Al-Quds University. Auch Belal Salameh, ein syrischer
Student am Lehrstuhl von Prof. Dressel, nahm an dem Treffen
teil.
Im Mittelpunkt der Gespräche standen die
Nahfeld-Mikroskopie und -Spektroskopie biologischer und
medizinischer Systeme. "Wir entwickeln Verfahren, durch die
sich Zellen beispielsweise in einem Muttermal mit einem
Scanner erfassen und dreidimensional darstellen lassen",
beschreibt Prof. Dressel das Forschungsziel. In Zukunft
könnten dadurch Krebszellen identifizierbar werden, ohne
dass dem Patienten eine Gewebeprobe entnommen werden muss.
Schon seit mehreren Jahren wird in den Gruppen von Prof.
Davidov in Jerusalem und Prof. Dressel in Stuttgart intensiv
daran gearbeitet, Nahfeldmethoden im Frequenzbereich einiger
Gigahertz bis mehrerer Terahertz zu entwickeln. Israel mit
seinem innovativen und risikobereiten Forschungsklima ist
auf diesem Wissenschaftsfeld führend. Prof. Davidov gehört
zu den Pionieren und verfügt über wichtige Kontakte zu
israelischen Medizinern, die zu einem Netzwerk verknüpft
werden sollen.
Doch gerade auch Palästinenser haben spezifische Talente,
die dem Forschungsprojekt sehr zugute kommen, betont Prof.
Davidov: "Arabische Wissenschaftler zeichnet eine hohe
manuelle Geschicklichkeit aus. Bei den extrem kleinräumigen
Systemen, mit denen wir arbeiten, ist das ebenso wichtig wie
die Kopfarbeit."
Leere Labore
Bis diese Talente sich voll entfalten können, sind jedoch
etliche Hindernisse zu überwinden. Ein Problem ist die
extrem schlechte Infrastruktur der Al-Quds Universität.
Finanzielle Mittel sind knapp, und auf die Frage, was in den
Laboren am dringendsten fehlt, antwortet Dr. Musa Abu Teir
lapidar: "Fragen Sie lieber, was vorhanden ist." Ob
Oszilloskop oder Temperaturmessgeräte: etwa 250 000 Euro
seien erforderlich, um auch nur die nötigste
Basisausstattung zu beschaffen - Geld, das jetzt aus
DFG-Mitteln aufgebracht werden soll.
Nur durch eine Verbesserung der Forschungsbedingungen
besteht die Chance, talentierte Wissenschaftler im Land zu
halten. So kann man am größten Physikfachbereich im
Westjordanland zwar seit 1997 einen Masterabschluss machen,
die etwa zehn Graduierten müssen sich jedoch damit abfinden,
im Wesentlichen Ergebnisse zu analysieren, die ihre Betreuer
während eines Auslandsaufenthalts erzielten. Vielen genügt
das nicht: Die Versuchung, ins Ausland zu gehen, ist groß.
Um ein weiteres Ausbluten zu verhindern, werden
Wissenschaftler der Al-Quds University während mehrmonatiger
Aufenthalte in Stuttgart gezielt darauf vorbereitet, den
Universitätsbetrieb in der Heimat aufzubauen. "Ziel ist das
lokale Training für dortige Studenten", betont Prof. Dressel.
Prof. Davidov hofft indes, dass die Kooperation nicht nur
auf wissenschaftlichem Gebiet ein Erfolg wird: "Unter meinen
Studenten sind Araber mit exzellenten Ergebnissen", sagte
der Israeli mit Nachdruck. "Es ist eine Schande, wenn diese
Talente aus politischen Gründen vergeudet werden. Wir wollen
Wissenschaft und nicht Krieg!"
Andrea Mayer-Grenu
KONTAKT
Prof. Dr. Martin Dressel,
1. Physikalisches Institut, Universität Stuttgart,
Pfaffenwaldring 57, 70550 Stuttgart,
Tel. 0711/685-4947
e-mail: dressel@pi1.physik.uni-stuttgart.de sowie unter
www.dfg.de/english/coop/israel palestine.html
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