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Stuttgarter unikurier Nr. 91 April 2003
Einblick in Strukturen und Eigenschaften:
Magnetische Spione verraten die 
Geheimnisse von Molekülen 

Wie binden sich Moleküle an katalytische aktive Metallzentren? Sind die Polymerketten in Polymerblends geordnet oder liegen sie völlig regellos vor? Wie ist der chemische und räumliche Aufbau eines pharmazeutischen Wirkstoffs? Wie sind die Porensysteme in so genannten Zeolithen aufgebaut, die zur Reinigung von Industrie- und Autoabgasen eingesetzt werden? Was sind die wesentlichen Strukturkomponenten neuartiger Hochleistungskeramiken?
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  Abb. 12 : 29Si und 11B NMR-Spektrum einer kristallinen Keramikprobe, deren Signale Siliciumcarbid-, Siliciumnitrid- sowie Bornitrid-Domänen zugeordnet werden können. 
Antworten auf diese Fragen lassen sich häufig mit Hilfe der Kernspinresonanzspektroskopie (Nuclear Magnetic Resonance = NMR) finden; diese wird als universelles Werkzeug in vielen Bereichen eingesetzt – von der Biochemie und Medizin über die Organische und Anorganische Chemie bis zu den Material- und Ingenieurwissenschaften.

Voraussetzung für das NMR-Experiment ist, dass die Atome der zu untersuchenden Probe einen Kernspin (= Eigendrehimpuls, „Drall“) und damit ein magnetisches Moment besitzen. Die Atomkerne verhalten sich damit wie atomare Magnete und können in einem starken äußeren Magnetfeld ausgerichtet werden. Durch Einstrahlung von Radiowellen passender Energie kann eine Umorientierung der magnetischen Momente erzeugt werden, die mit einem Übergang zwischen verschiedenen Energiezuständen der Kernspins verbunden ist. Diese Energieaufnahme der atomaren Magnete und die anschließende Rückkehr in den Ausgangszustand kann zeitlich und räumlich aufgelöst verfolgt werden. Dies wird in der Medizin zur Erzeugung dreidimensionaler Bilder mit Hilfe der „Kernspin-Tomographie“ genutzt. 

Wie Straßen auf der Landkarte
Die NMR-Spektroskopie zur Aufklärung molekularer Strukturen beruht darauf, dass die Übergangsenergie sowohl von kernspezifischen Konstanten als auch vom Bindungszustand des betreffenden Atoms abhängt. Dieser als „chemische Verschiebung“ bekannte Effekt führt dazu, dass eine Messung ein „Spektrum“ liefert, in dem alle Kerne mit unterschiedlicher chemischer Umgebung verschiedene Resonanzenergien aufweisen, die für den
 jeweiligen Bindungszustand charakteristisch sind. 
Die Auswertung der Spektren erlaubt so, die Anzahl und Art der in einer Probe vorhandenen funktionellen Baugruppen zu bestimmen. Durch die Beobachtung von Wechselwirkungen von Kernspins aus verschiedenen Baugruppen über so genannte „J-Kopplungen“ können Nachbarschaftsbeziehungen zwischen den verschiedenen Baugruppen eines Moleküls abgeleitet und so einzelne Fragmente – wie in einem Puzzle-Spiel – zu einer chemischen Formel zusammengesetzt werden. Eine vor allem bei großen Molekülen hilfreiche Methode ist die Aufnahme zweidimensionaler NMR-Spektren, in denen die Verknüpfungen von Baugruppen wie Straßen auf einer Landkarte abgebildet werden. 

Neben den J-Kopplungen, die das Muster der chemischen Bindungen abbilden, existieren weitere Wechselwirkungen, deren Messung die Bestimmung des Abstands zwischen zwei Kernen erlaubt. Durch Kombination vieler Einzelinformationen kann die exakte räumliche Anordnung („Konformation“) der Atome in einem Molekül ermittelt werden. Über die Bestimmung der statischen räumlichen Struktur hinaus erlauben NMR-Experimente aber auch, zeitabhängige Änderungen von Strukturen in Echtzeit zu verfolgen und können so Information über dynamische Umwandlungen liefern, die von der Beobachtung von Konformationsumwandlungen bis zur direkten Abbildung einer chemischen Reaktion reichen.

Ist der Werkstoff hochtemperaturstabil?
Die heute mögliche Anwendungsbreite und Leistungsfähigkeit von NMR-Methoden soll an zwei Beispielen verdeutlicht werden. Wissenschaftler des Instituts für Physikalische Chemie untersuchen neuartige keramische Materialien, die sich durch eine ausgeprägte Hochtemperaturstabilität (bis etwa 2000 °C) auszeichnen und aus speziellen polymeren Vorstufen hergestellt werden. Hauptziele sind dabei, die bei der Thermolyse der Polymere auftretenden Strukturkomponenten zu identifizieren, was für die Optimierung des Herstellungsverfahrens wichtig ist, und den strukturellen Aufbau der kristallinen Keramik zu ermitteln, der mit den speziellen Materialeigenschaften verknüpft sein sollte. Tatsächlich konnten durch NMR-Untersuchungen (Abb. 12) in der kristallinen Keramik homogen verteilte Domänen aus Siliciumcarbid, Siliciumnitrid und Bornitrid nachgewiesen werden, was als wesentliche Voraussetzung für die Hochtemperaturstabilität angesehen wird. 

Passt die Struktur der Zeolithe?
  Abb. 13: Siliciumatome in einem Zeolith (links) mit 0 bis 3 Aluminiumatomen in der Nachbarschaft und deren 29Si NMR-Spektrum (rechts), bestehend aus den vier Signalen 0 bis 3..
Ein modernes Forschungsgebiet in den Materialwissenschaften ist die Synthese und Charakterisierung neuer mikroporöser Feststoffe, die breite Anwendungsmöglichkeiten als formselektive Katalysatoren in der Petrochemie und als Adsor-benzien in der Stofftrennung besitzen. Wissenschaftler des Instituts für Technische Chemie untersuchen diese unter dem Begriff „Zeolithe“ zusammengefassten Materialen, die unter anderem bei der Reinigung von Industrie- und Autoabgasen angewendet werden. 
Die Festkörper-NMR-Spektroskopie ist eine der wichtigsten analytischen Methoden, die Aussagen über die Verknüpfung von Silicat- und Aluminat-Einheiten im Zeolithgerüst, die Lokalisation von Natrium-, Magnesium- und Lanthankationen in den Poren und der Bestimmung von Konzentration und chemischen Eigenschaften der als aktive Säurezentren wirkenden Hydroxylprotonen liefert und so wertvolle Hinweise auf Struktur, Funktion und Wirkungsweise dieser Stoffe gibt (Abb. 13). 

KONTAKT 
Prof. Dr. Klaus Müller, 
Tel. 0711/685-4470,
e-mail: k.mueller@ipc.uni-stuttgart.de

Prof. Dr. Jens Weitkamp, 
Tel. 0711/685-4059,
e-mail: jens.weitkamp@po.uni-stuttgart.de

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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