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Stuttgarter unikurier Nr. 91 April 2003
Flüssigkristalle:
Funktionsmaterialien aus „weicher Materie“

Flüssigkristalle werden heute in der Technik vielfach eingesetzt: etwa in der weit verbreiteten LCD-Technologie (LCD: Liquid Crystal Display) als Bildschirme oder Anzeigeelemente in Notebooks oder Mobiltelefonen. Neben dieser etablierten Anwendung in der Kommunikationstechnik finden Flüssigkristalle auch in anderen Zukunftsfeldern wie der Nanotechnologie und der Photonik zunehmendes Interesse. Es überrascht daher nicht, dass sich auch an der Universität Stuttgart Arbeitsgruppen in der organischen und der physikalischen Chemie mit derartigen „Zukunftsaspekten“ flüssigkristalliner Materialien befassen.
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  Abb.10: Beispiele für die Organisation anisometrischer Moleküle in flüssigkristallinen Phasen. Links bilden stäbchenförmige Moleküle eine Flüssigkeit, in der sich die Moleküllängsachsen bevorzugt parallel zu einer gemeinsamen Vorzugsrichtung (Direktor) orientieren. Rechts ordnen sich scheibchenförmige (diskotische) Moleküle zu Molekülstapeln (Columnen), deren Längsachsen ebenfalls parallel zum Direktor orientiert sind. Aufgrund ihrer Orientierungsordnung weisen flüssigkristalline Phasen, wie ein Kristall, anisotrope (richtungsabhängige) physikalische Eigenschaften auf.
Flüssigkristalle sind „langreichweitig“ geordnete Flüssigkeiten, die die Fließfähigkeit gewöhnlicher Flüssigkeiten mit den elektrischen und optischen Eigenschaften kristalliner Festkörper verbinden. Flüssigkristalline Strukturen entstehen aus der Selbstorganisation stark anisometrischer Moleküle: Die meisten Flüssigkristalle sind aus stäbchenförmigen (kalamitischen) Molekülen mit einer Länge von etwa 20 bis 40 Ångström aufgebaut, aber auch scheibchenförmige (diskotische) Phthalocyaninkomplexe, Phospholipide oder steife DNA-Doppelhelices bilden flüssigkristalline Systeme. 

Molekülstapel mit elektrischer Leitfähigkeit
Seit einiger Zeit werden am Institut für Organische Chemie neue Synthesen für diskotische Moleküle, die sich zu columnaren Flüssigkristallen organisieren, entwickelt. Durch ihre besondere molekulare Gestalt – scheibchenförmiger starrer Kern mit flexiblen Ketten in der Peripherie – besitzen diese Moleküle eine ausgeprägte Tendenz, im flüssigkristallinen Zustand säulenförmige Aggregate (Columnen) zu bilden, wobei sich die einzelnen Scheibenmoleküle wie Münzen aufeinanderstapeln. Entlang dieser Molekülstapel tritt eine ungewöhnlich hohe elektrische Leitfähigkeit auf, wie sie sonst nur bei Silizium-Halbleitern zu beobachten ist. Damit verhalten sich diese Molekülstapel gewissermaßen wie „molekulare Drähte“, die interessante Anwendungsperspektiven für columnare Flüssigkristalle in der Nanotechnologie eröffnen.

 

  Abb.11: Polarisationsmikroskopische Aufnahme der Bildung eines Flüssigkristalls beim Abkühlen aus der isotropen Schmelze. Aufgrund seiner optischen Anisotropie (Doppelbrechung) erscheint der Flüssigkristall zwischen den gekreuzten Polarisatoren des Mikroskops hell. In den schwarzen Bereichen (links) liegt noch die optisch isotrope Schmelze vor. 
Eigenschaften mit Licht modulieren 
Ein ebenso faszinierendes wie charakteristisches Merkmal flüssigkristalliner Systeme liegt in ihrer Eigenschaft, ihre supramolekulare Organisation durch vergleichsweise kleine äußere Störungen zu verändern: In einer Flüssigkristallanzeige werden die Moleküle durch relativ schwache elektrische Felder umorientiert. Löst man kleine Mengen chiraler Moleküle in einer ansonsten achiralen flüssigkristallinen Wirtsphase, so treten makroskopisch bemerkenswerte Chiralitätseffekte auf wie etwa schraubenförmige (helicale) Überstrukturen oder Ferroelektrizität (also eine spontane elektrische Polarisation des Materials).

In diesem Zusammenhang untersuchen Wissenschaftler des Instituts für Physikalische Chemie den erst seit Mitte der 90er Jahre bekannten photoferroelektrischen Effekt in Flüssigkristallen. Hier wird die subtile ferroelektrische Ordnung bestimmter Flüssigkristalle durch die lichtinduzierte Verände-rung (Photoisomerisierung) gelöster Farbstoffmoleküle empfindlich beeinflusst. Auch in diesem Fall führt eine vergleichsweise geringe äußere Störung (Lichteinfall) zu einer drastischen Eigenschaftsände-rung des Flüssigkristalls. Man gelangt so zu bemerkenswerten Systemen, deren physikalische Eigenschaften durch Wechselwirkung mit Licht modulierbar sind und die aufgrund ihrer Kombination aus elektrischer und optischer Schaltbarkeit als Funktionsmaterialien in der Photonik eingesetzt werden könnten.


KONTAKT 
Prof. Dr. Sabine Laschat, 
Tel. 0711/685-4565,
e-mail: sabine.laschat@po.uni-stuttgart.de

Prof. Dr. Frank Gießelmann, 
Tel. 0711/685-4460,
e-mail: f.giesselmann@ipc.uni-stuttgart.de



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Pressestelle der Universität Stuttgart

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