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Stuttgarter unikurier Nr. 91 April 2003
Konzepte für neue Hochleistungswerkstoffe:
Polymere – Materialien nach Maß
Synthetische makromolekulare Stoffe, auch „Polymere“ genannt, sind als Kunststoffe bekannt. Makromoleküle entstehen durch die chemische Verknüpfung von Tausenden kleiner Moleküle, den so genannten Monomeren. Stark vereinfacht kann man sich ein Makromolekül als eine aus vielen Gliedern zusammengesetzte Kette vorstellen. Ähnlich wie Aussehen und Beweglichkeit einer Kette von der Art und Anzahl der Glieder und ihrer Verknüpfung bestimmt ist, hängen Struktur und Eigenschaften synthetischer Makromoleküle von den Monomeren und ihren Verknüpfungsmustern entlang der Polymerkette ab. Diese Variationsmöglichkeiten des Kettenaufbaus in Kombination mit der nahezu unbegrenzten Formgebung erklären die vielfältigen und fast unbegrenzt erscheinenden Anwendungsmöglichkeiten von Polymerwerkstoffen.
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Abb. 8: Schematische Darstellung eines Blends von molekular in einer Polymerknäuel-Matrix dispergierten Stäbchenmolekülen (oben rechts) und einer unverträglichen Stäbchen/ Knäuel-Mischung (oben links) sowie Zug-Dehnungskurven des Matrixpolymers und des homogenen Ionomer-Blends aus Matrixpolymer und stäbchenförmigem Verstärkermolekül; die homogene Stäbchen/Knäuel-Mischung wird durch spezielle (ionische) Wechselwirkungen erzielt.)

Ausgangspunk der Forschungsarbeiten am Institut für Angewandte Makromolekulare Chemie (IAMC) der Universität Stuttgart, das in Personalunion mit dem Forschungsinstitut für Pigmente und Lacke e.V. (FPL) in Stuttgart geführt wird, ist die Synthese von Makromolekülen genau definierter Kettenarchitektur; die Stuttgarter Chemiker wollen mit neuen Ansätzen Polymerwerkstoffe entwickeln, die gleichzeitig auch als Modelle für die systematische Ermittlung von Struktur-/Eigenschaftsbeziehungen geeignet sind. Dieses Konzept soll an zwei Beispielen erläutert werden.

Fasergeometrie bestimmt Festigkeit
Klassische Polymerverbundwerkstoffe bestehen aus Glas- oder Kohlefaser-verstärkten Polymeren. Vereinfacht betrachtet beruht die Festigkeitssteigerung darauf, dass eine von außen auf den Kunststoffkörper einwirkende Kraft auf die zugbeanspruchungsstabilen Fasern übertragen wird. Die Festigkeit des Verbundwerkstoffes wird in erster Linie durch die Fasergeometrie und die Menge des zugesetzten Fasermaterials bestimmt. Der Variation dieser Parameter sind aus material- und verfahrenstechnischen Gründen Grenzen gesetzt, so dass die Festigkeit verfügbarer faserverstärkter Verbundwerkstoffe mehr oder weniger weit von den theoretisch möglichen Hochleistungseigenschaften entfernt ist.

Als Ausweg aus dieser Situation verwenden die Stuttgarter Chemiker anstelle der üblicherweise eingesetzten Glas- oder Kohlestofffasern stäbchenförmige Polymere als „Füllstoffe“. Wegen der nanoskopischen Dimension der polymeren Verstärkungskomponente, und da diese auch als Nano-Composite bezeichneten Werkstoffe nur aus einer Stoffart, organischen Polymeren, bestehen, sind diese verbesserten Konstruktionswerkstoffe konventionellen Verbundwerkstoffen in ihrer Festigkeit um Größenordnungen überlegen (Abb. 8). 

Neue Klasse von Verbundwerkstoffen
In Modellexperimenten mit ausgesuchten, maßgeschneiderten Polymeren konnten grundlegende Erkenntnisse über die molekularen Voraussetzungen zur Erzeugung von Hochleistungsverbundwerkstoffen allein auf Kunststoffbasis erarbeitet werden. Die bisherigen Ergebnisse belegen das anwendungstechnische Potential dieser neuen Klasse von Verbundwerkstoffen. Aktuelle Untersuchungen konzentrieren sich auf die Ergründung der Ursachen für die extrem hohe Festigkeit dieser Polymer/Polymer-Nano-Composites. Die direkte Umsetzung dieses neuen Werkstoffkonzeptes in Anwendungstechnologien wird unter anderem davon abhängen, inwieweit es gelingt, den Modellexperimenten vergleichbare Ergebnisse durch die gezielte Kombination von großtechnisch bekannten Polymeren zu erzielen oder ob dafür spezielle Kunststofftypen erforderlich sind.

Polymere als unersetzbare Additive
Die Verarbeitungs- und Gebrauchseigenschaften von Werkstoffen hängen in vielen Fällen entscheidend vom Zusatz relativ geringer Mengen an Additiven ab. Polymere Additive haben hier aufgrund der leichten Variation der molekularen Struktur und des breiten Eigenschaftsspektrums ein hohes Innovationspotential: Beispielsweise kann eine möglichst homogene und bleibende Verteilung von Partikeln in flüssigen oder festen (Pasten, Kunststoffe) Stoffgemischen oder Materialien effizient mit Hilfe von auf das System abgestimmten Polymeradditiven erreicht werden. 

Polymere mit speziellen Wechselwirkungseigenschaften und Affinitäten zu den jeweiligen Partikeln werden insbesondere in Dispersionen, Pigmentpasten und bei pigmentierten Beschichtungen eingesetzt. Vorteilhaft ist die Kombination polymerspezifischer Stabilisiermechanismen mit der Verträglichkeit der Polymerhüllschicht des Pigments mit Bindemitteln. Mit gezielter Molekülarchitektur (Block-, Pfropf-, statistisches Copolymer) und der Variation der relativen Anteile von beispielweise pigmentaffinen „Ankergruppen“ und matrixaffinen Bereichen im Makromolekül können für das jeweilige System geeignete polymere Stabilisatoren entwickelt werden, wie aus gemeinsamen Forschungsarbeiten des IAMC und FPL hervorgeht. Erste, vielversprechende Ergebnisse zeigen hier Block- und Pfropfcopolymer-Polyelektrolyte sowie hydrophob modifizierte Copolymere mit periodischen Sequenzen, die das Pigment in der gewünschten Weise umhüllen (Abb. 9).

KONTAKT 
Prof. Dr. Claus D. Eisenbach, 
Tel. 0711/685-4437
e-mail: cde@makro.chemie.uni-stuttgart.de



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Pressestelle der Universität Stuttgart

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