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Stuttgarter unikurier Nr. 91 April 2003
Atomar-molekularer Ausgangspunkt: 
Mit unkonventionellen Verfahren 
zu neuartigen Materialien 

Mit steigender Komplexität, Integration und Miniaturisierung der Bauteile - vor allem für die Computer- und Kommunikationstechnologie - sind Herstellungsverfahren gefragt, bei denen die komplexe Funktionsarchitektur direkt aus atomaren und molekularen Bausteinen aufgebaut werden kann. Das Uni-Institut für Ni.htmletallische Anorganische Materialien, das in Personalunion mit einer Abteilung des Max-Planck-Instituts für Metallforschung geführt wird, befasst sich mit Grundlagenuntersuchungen über neuartige Materialien und unkonventionelle Verfahren für deren Herstellung. Die Forscher verfolgen dabei neben neuartigen Prozessen zur pulvertechnologischen Herstellung von Keramiken insbesondere Verfahren der „Thermolyse elementorganischer Verbindungen“ und der „bio-inspirierten Materialsynthese“.
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Vom Molekül zum Material

Die moderne Materialforschung zielt auf maßgeschneiderte Materialien; das Maßschneidern beschränkt sich nicht nur auf die Endeigenschaften des aus dem jeweiligen Material gefertigten Produkts, sondern kann auch auf verfahrenstechnische Anforderungen ausgerichtet sein; beide Aspekte verdeutlichen die enge Verknüpfung zwischen der naturwissenschaftlichen Materialforschung und den ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen.

Die Eigenschaften der Werk- oder Rohstoffe zur Erzeugung von Gebrauchsprodukten hängen weniger von der Elementarzusammensetzung als von der Art, Anordnung und Wechselwirkung des Elements oder der zu einem Molekül miteinander verknüpften Elemente ab. Es liegt auf der Hand, dass optimale Voraussetzungen für eine zielgerichtete Materialsynthese dann gegeben sind, wenn der Aufbau der Materialien aus atomaren/molekularen Dimensionen heraus mit möglichst geringem Aufwand kontrolliert werden kann. Dies setzt ein detailliertes Verständnis über Struktur-Eigenschaftsbeziehungen voraus; moderne Materialforschung ist also eng verknüpft mit der Erforschung der molekularen Zusammenhänge. Bei dem Design von neuen Materialien folgt man oft dem Beispiel Natur und versucht, die dort aufgefundenen und auf Selbstorganisation beruhenden hierarchischen Strukturen in synthetischen Werkstoffen nachzuahmen.

An den verschiedenen Instituten der Fakultät Chemie wird das gesamte Materialspektrum, angefangen von metallischen über ni.htmletallische-anorganische bis hin zu organisch flüssigkristallinen und polymeren Werkstoffen, untersucht und im Folgenden an einigen ausgewählten Beispielen illustriert. Claus D. Eisenbach

Vom Polymer zur Keramik
Keramische Materialien auf der Basis von Silicium, Bor, Kohlenstoff und Stickstoff weisen eine hervorragende thermische, chemische und mechanische Stabilität auf, die sie für Anwendungen bei höchsten Temperaturen und dies bis etwa 1600 °C sogar an Luft prädestinieren. Dies ist der Hintergrund für das Interesse der Wissenschaftler an der Thermolyse metallorganischer Verbindungen. Bei diesem Verfahren - übrigens ein sich rasant entwickelnder Zweig der materialwissenschaftlichen Forschung - werden Polymere aus den genannten Elementen durch eine moderate Wärmebehandlung in rein anorganische, also keramische 
Materialien überführt. Die Wissenschaftler verfolgen dabei die Idee, Polymere mit bekannten Prozessen der Molekülsynthesechemie so zu gestalten, dass diese bereits die atomaren Baueinheiten enthalten, die für das herzustellende anorganische Material typisch sind und dessen besondere Eigenschaften gewährleisten. Neben einer Nutzung der prozesstechnischen Vorteile des Verfahrens können dabei völlig neuartige, je nach Art der Prozessführung beispielsweise amorphe oder nanokristalline Materialzustände hergestellt werden, die Werkstoffkonzepte ermöglichen, die bisher nicht denkbar waren.

Prozesse der Natur als Vorbild
  Die Stuttgarter Forscher knüpfen bei der bio-inspirierten Materialsynthese an in der belebten Natur vorkommende Prozesse an. Das Foto zeigt durch Biomineralisation gebildete Coccolithe, die aus dem anorganischen Material Calcit (CaCO3) bestehen und um die Zellhülle der einzelligen marinen Alge Emilianea huxleyi angeordnet sind. Bei der Bildung dieser Strukturen wird die Architektur der anorganischen Phase durch eine organische Matrix gesteuert. (Quelle: S. Mann, „Biomineralization“, Oxford Chemistry Masters, 5, Oxford University Press, 2001.)
Die bio-inspirierte Materialsynthese orientiert sich an Vorgängen in der belebten Natur, die evolutionsoptimierte Wege zu komplex zusammengesetzten Materialien mit äußerst komplizierten Strukturen und Formen zeigt. Eindrucksvolle Beispiele sind die Bildung komplexer Körperteile aus anorganischen Materialien (etwa Gehäuse und Schalen von Weichtieren). Häufig handelt es sich bei derartigen „Produkten“ auch um raffiniert aufgebaute Verbundstrukturen aus anorganischen (Silicate, Carbonate, Phosphate oder Oxalate) und organischen (Proteine) Bestandteilen. Muschel- und Eierschalen sind hierfür bekannte Beispiele. Auch wenn die Details der diesen Vorgängen in der Natur zugrundeliegenden Biomineralisation noch in vielen Belangen unklar sind, kontrollieren offensichtlich molekulare Strukturen den makroskopischen Materialaufbau aus atomaren Dimensionen heraus. 

Keramiken bei Raumtemperatur herstellen
Solche Vorgänge laufen bekanntermaßen meist unter einfach anmutenden Bedingungen bezüglich Temperatur (nahe Raumtemperatur), Druck (Umgebungsdruck) und Atmosphäre (Luft) ab. Dies macht sie für eine technische Nutzung interessant. Die Bedingungen wurden durch die Evolution im Laufe von Milliarden von Jahren entwickelt und optimiert, so dass sie uns heute „einfach“ erscheinen. Eine Übertragung auf künstliche Materialbildungsprozesse und insbesondere die Herstellung von „Keramiken bei Raumtemperatur“ erscheinen daher vielverspre-chend. Daher hat man inzwischen versucht, mit Hilfe von organischen Templaten in Form von Monolagen organischer Moleküle, so genannten SAMs (Self-Assembled Monolayers), die zuvor durch Selbstorganisation auf einem Siliciumwafer abgeschieden wurden, oxidische Schichten aus wässrigen Lösungen abzuscheiden. So wurden erfolgreich dünne Schichten auf der Basis von Zirkoniumdioxid, Titanoxid, Zinkoxid, Zinnoxid und Vanadiumoxid aus wässrigen Lösungen und das im Bereich von Umgebungstemperaturen abgeschieden, die der Biomineralisation zwar fremd sind, jedoch für technische Zwecke beispielsweise als Elektrolyt bei Brennstoffzellen, als optisch transparente, leitfähige Schichten in der Elektronik oder als Katalysatoren in der Synthesechemie von großem Interesse sind.

Raffinierte Synthesestrategien
Auch konnten so erste Hybridstrukturen aus organischen und anorganischen Materialschichten mit interessanten Eigenschaftskombinationen realisiert werden. Durch eine gezielte Variation der Kopfgruppen der Moleküle der Monolagen können auch Peptide oder Proteine auf Oberflächen aufgebracht und deren Möglichkeiten für die Materialsynthese ausgelotet werden. 

Die Beispiele zeigen, wie durch raffinierte Synthesestrategien aus atomar-molekularen Dimensionen technisch interessante Materialien hergestellt werden können, die mit ihrem strukturellen Aufbau und ihren neuartigen Eigenschaften innovative Materialkonzepte eröffnen.

KONTAKT 
Prof. Dr. Fritz Aldinger, 
Tel. 0711/689-3202,
e-mail: aldinger@mf.mpg.de


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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