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Stuttgarter unikurier Nr. 91 April 2003
Architekturworkshop in Polen:
Wolkenkuckucksheime für Kaschubien
Mehr europäische Studienprojekte wünscht sich Europaminister Christoph Palmer an den Hochschulen des Landes. Das Institut für Darstellen und Gestalten an der Uni Stuttgart machte Ernst damit: Im Mai reiste Professor Erwin Herzberger mit sieben Architekturstudenten zu einem Workshop nach Polen, um gemeinsam mit Kollegen von der Uni Danzig Ferienhäuser für die Kaschubische Seenplatte zu entwerfen. Beim Gegenbesuch der Polen in Stuttgart wurden im Oktober die Ergebnisse präsentiert.
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Gäserne Kuben, holzgetäfelte Bauriegel, Wolkenkuckucksheime ohne rechten Winkel: Die Ferienhäuser, deren Entwürfe im Foyer des K I aufgebaut waren, hätten schon bei einem deutschen Architekturwettbewerb für Aufsehen gesorgt. Umso mehr dürften sie in jener Region überraschen, in der die Sommerhäuser eines fernen Tages stehen könnten: im polnischen Kaschubien, einer unberührten Feriengegend südlich von Danzig, in der Seen, Hügel und Wälder das Landschaftsbild prägen. Das typische Urlaubshaus dort hat die Form eines Blockhauses oder Zeltes, ein spitzes Giebeldach und ist ein wenig planlos in die Lande gewürfelt.
„Der aufstrebende Tourismus in Kaschubien führte in den letzten Jahren zu einer chaotischen Zersiedelung der Landschaft", begründete Professor Andrzej Baranowski, Dekan an der TU Danzig und engagierter Umweltschützer, den Ansatz des Projektes. Neue Konzepte, die an die traditionelle Bauweise anknüpfen und zeitgenössische Bedürfnisse aufgreifen, werden daher dringend gebraucht. 

Um sich harmonisch in die reizvolle Landschaft einzufügen, so die Aufgabenstellung, sollten „einfache" Häuser entworfen werden. Aber was heißt das? „Einfach" präsisierte Professor Herzberger, „sollte nicht den Export von derzeit gängigen Gestaltungstendenzen bedeuten, sondern die Auseinandersetzung mit historischen Leitlinien und den dortigen regionaltypischen einfachen Häusern." Diese gelte es, in einen zeitgemäßen Ausdruck zu übersetzen und dabei in Konstruktion und Herstellung die Potentiale der Region zu berücksichtigen.

Studien im Museumsdorf
Um die traditionellen Bauprinzipien genauer zu untersuchen, nisteten sich die Teilnehmer des Workshops im Museumsdorf Wdzydze ein. In dem ältesten Freili.htmluseum Polens werden seit 1908 Zeugnisse kaschubischer Baukunst gesammelt: strohgedeckte Holzkaten mit Laubengängen und Ziergiebeln, alte Windmühlen und eine wertvolle Holzkirche aus dem 17. Jahrhundert. Eines der historischen Gutshäuser diente der Gruppe als Arbeitsraum - ein uriges Ambiente, in dem es fließend Wasser nur vom Brunnen gab und die Studierenden erst einmal eine Beleuchtung installieren mussten, um abends im Schein einer Glühbirne die Arbeitsergebnisse diskutieren zu können.

Die spartanische Unterbringung tat der Stimmung freilich keinen Abbruch: Die Schlichtheit der Museumshäuser, die Landschaft, die Farben und Düfte - all das trug zu einer Atmosphäre herzlicher Schaffensfreude bei, in der Verständigungsschwierigkeiten zwischen Deutschen und Polen schnell überwunden waren.

Verschiedene Arbeitsstile
Im Team wurden Berge von Papier bekritzelt, um die Beobachtungen festzuhalten und erste Ideen für die zukünftigen Häuser zu skizzieren. Wobei die Studierenden beider Länder durchaus unterschiedlich an die Aufgabe herangingen. „Polnische Studenten sind sehr diszipliniert", beobachtete Justyna Peczek ihre Landsleute, „sie hatten gleich die Bauordnung vor Augen und daher zunächst Entwürfe entwickelt, die konform zu den bestehenden Normen sind." Deutsche dagegen würden den gesamten Entwurfsprozess von Anfang bis Ende analytisch durchgehen und seien dabei unbefangener, glaubt die polnische Architekturstudentin.

Als Professor Herzberger aber anregte, mal etwas ganz Neues zu versuchen, ließen sich Deutsche wie Polen mitreißen und zeigten Mut, das Gewohnte gründlich infrage zu stellen.

Den fertigen Entwürfen sieht man denn auch nicht an, aus welchem Land sie stammen. Allen gemeinsam ist die intensive Auseinandersetzung mit der Topographie, in der jedes Haus seine individuelle Position findet: Mal ragt ein Wohnraum über die Hangkante hinaus, mal werden die Grenzen von Land und Wasser verwischt. Und immer geben die Häuser den Blick auf Wälder und Hügel frei. Bauformen und Wandverkleidungen stellen Bezüge zur Umgebung her.

Freundschaften entstanden
Im gemeinsamen Arbeiten, glaubt Professor Baranowski, lag das eigentliche Abenteuer des Workshops: „Beide Seiten haben viel voneinander gelernt." Und Steffen Hirsch, der in Stuttgart Architektur studiert, fügte hinzu: „Wir haben nicht nur Häuser gezeichnet, sondern sind Freunde geworden."
Beim Gegenbesuch der Polen hatten die Stuttgarter Gelegenheit, die freundschaftlichen Bande zu vertiefen. Dabei standen nicht nur die architektonischen Highlights der Landeshauptstadt auf dem Programm, sondern auch Vorlesungen, die Besichtigung verschiedener Unieinrichtungen und ein Abstecher ins Stuttgarter Nachtleben.

Dass der Austausch überhaupt zustande kommen konnte, betonte Professor Herzberger, ist der finanziellen Unterstürzung der Robert-Bosch-Stiftung sowie des Architekturbüros Reichl, Sassenscheid und Partner zu verdanken. Und dem unermöglichen Einsatz von Institutssekretärin Sibylle Brodbeck-Keinarth. Die hatte bei der Organisation die Fäden in der Hand und verlor auch dann nicht die Nerven, wenn Züge sich versäteten oder über Nacht noch schnell ein Visum zu besorgen war. /Andrea Mayer-Grenu


last change: 20.07.03 / hj
Pressestelle der Universität
Stuttgart

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