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Stuttgarter unikurier Nr. 91 April 2003
40 Jahre Elyséevertrag:
Versöhnung war ein „Wunder"
Der Rotwein kam vom Neckar, der weiße von der Loire, und in den Gesprächen der Gäste im überfüllten Foyer der Stadtbücherei verwoben sich ganz selbstverständlich die Idiome beider Länder. Dass die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland nicht immer so freundschaftlich waren, beleuchtete eine Vortragsveranstaltung der Universität Stuttgart und der DVA-Stiftung zum 40. Jahrestag der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags.
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Für den französischen Generalkonsul in Stuttgart, Francis Etienne, war es ein Tag von hoher Symbolkraft, für den Botschafter, François Scheer, Krönung und Rahmen der Beziehungen: jener 22. Januar 1963, an dem Staatspräsident Charles de Gaulle und Bundeskanzler Konrad Adenauer in Paris den Vertrag über die deutsch-französische Freundschaft unterzeichneten. Der Annäherung, schilderte Professor Wolfram Pyta vom Historischen Institut in seiner Einführung, ging ein zähes Ringen voraus. Einer der profundesten Kenner dieser Vorgeschichte hielt am Jubiläumsabend den Festvortrag: Dr. Ulrich Lappenküper, Dozent an der Universität Bonn, widmete seine Habilitationsschrift der Entstehung des Freundschaftsvertrags zwischen Frankreich und Deutschland.

Ressentiments nach dem Krieg
„Ein eigenartiges, grausames, schönes und großes Abenteuer ist die Geschichte dieser Brudervölker" - das etwas pathetische Zitat des früheren Staatspräsidenten Fran
çois Mitterand zum Einstieg in Lappenküpers faktenreichen Vortrag war gleichzeitig ein Resümee. Fast ein Jahrhundert lang hatte der Bann der „Erbfeindschaft" sich wie ein Bleigewicht auf die historischen Zwillinge des karolingischen Frankenreichs gelegt. Nach der Katastrophe zweier Weltkriege musste das Verhältnis der Nachbarstaaten neu bestimmt werden, doch tief verwurzelte Ressentiments auf beiden Seiten standen einer Annäherung im Wege. Während die junge Bonner Republik nach Souveränität strebte, setzte Frankreich alles daran, die „Boches" unter Kontrolle zu halten. Adenauers Traum von einer deutsch-französischen Union mit gemeinsamer Staatsbürgerschaft wirkte in diesem Klima mehr als utopisch.

Umdenken in den 50er Jahren
Für ein erstes Umdenken steht der Schumann-Plan aus dem Jahr 1950, der eine Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl zum Ziel hatte. Doch es sollten weitere acht Jahre vergehen, bis sich mit der Wahl Charles de Gaulles das politische Koordinatensystem grundlegend veränderte. Zwar begegnete Adenauer dem General zunächst mit tiefem Argwohn, der jedoch nach einer ersten persönlichen Begegnung in Euphorie umschlug. Als dann auch noch US-Präsident John F. Kennedy auf die Vormachtstellung Amerikas pochte, war - Parallele zur aktuellen politischen Situation - das Eisen der deutsch-französischen Entente heiß und konnte geschmiedet werden. Mit einer etwas steifen Zeremonie und einem Glas Champagner im Präsidenten-Sitz Elysée wurde der deutsch-französische Freundschaftsvertrag besiegelt. 

Widerstände gegen Ratifizierung 
Die nationalen Widerstände bei der Umsetzung des Abkommens wurden auf beiden Seiten unterschätzt. Die Ratifizierung verzögerte sich, und als nach dem Rücktritt Adenauers Ludwig Erhard die Zügel übernahm, fiel das deutsch-französische Verhältnis in einen Dauerkonflikt zurück. Auch Georges Pompidou und Willy Brand blieben einander so fern, dass ein Dolmetscher einst klagte, er habe nie wieder so viel Schweigen übersetzen müssen.
Erst mit dem Amtsantritt von Valéry Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt begann eine neue Epoche der deutsch-französischen Beziehungen, die bis heute als Glücksfall der Geschichte gilt. Statt idealistischer Visionen bahnten die beiden eine „Vernunftehe aus Neigung" an. Trotz diverser Meinungsverschiedenheiten in der Europapolitik blieb das Tandem auch dann intakt, als der Ton schärfer wurde, weil Teile der französischen Gesellschaft den Deutschen im Kampf gegen den Terror der Rote Armee Fraktion „Foltermethoden" vorwarfen. Auf den Feldern Kultur und Wirtschaft wurde die Zusammenarbeit intensiviert.

Herausforderung Mauerfall
Die Präsidentschaft François Mitterands und der Beginn der Ära Kohl markierten einen erneuten Richtungswechsel. Sozialist Mitterand stand zwar für gutes Einvernehmen mit den Deutschen, eine „Achse Bonn-Paris" lehnte er jedoch ab. Der Fall der Mauer geriet zur nächsten Probe: während das französische Volk ihn mehrheitlich begrüßte, befürchteten Teile der politischen Klasse ein Wiedererstarken des deutschen Imperiums und hätten die Wiedervereinigung am liebsten verschoben. Essentiell aus dem Tritt gerieten die Beziehungen darüber jedoch nicht, was vor allem der persönlichen Freundschaft der ungleichen Staatschefs zuzuschreiben war. 
Dass die Nachbarländer trotz immer wieder aufkeimender nationaler Exzesse zusammen gefunden haben, kann nur als Wunder bezeichnet werden, so Lappenküpers Fazit: „Mitunter gewinnt man den Eindruck, Deutsche und Franzosen müssten noch einen mentalen Westwall abtragen." Die Aussöhnung zur Bedeutungslosigkeit zu degradieren wäre fatal, sagte er mit einem Seitenhieb auf die Lustlosigkeit, mit der die Enkel der Nachkriegsvisionäre die deutsch-französischen Beziehungen gelegentlich verwalten: „Europa braucht das couple France-Allemagne"  /Andrea Mayer-Grenu


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Pressestelle der Universität
Stuttgart

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