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Stuttgarter unikurier Nr. 91 April 2003
Doppelt genäht lohnt sich - auch beim Diplom:
Gute Berufschancen für Frankophile
Beim Gedanken an ein Auslandsstudium richtet sich der Blick oft nach Amerika. Doch auch ein paar Semester in Frankreich versprechen hervorragende Berufsperspektiven - zumal im Rahmen von Doppeldiplomprogrammen ein anerkannter Abschluss an der ausländischen Hochschule erworben werden kann.
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Den 26. November 2002 wird Peter Ullmann so schnell nicht vergessen: in überaus feierlichem Rahmen wurde der Physikstudent von der Französischen Académie des Sciences als Jahrgangsbester an der Eliteschule Ecole Centrale de Paris (ECP) ausgezeichnet (siehe dazu auch Seite 119). Wenige Monate später hielt Ullmann eine weitere Urkunde in Händen: das Physikdiplom der Universität Stuttgart.

Möglich wurde der zweifache Abschluss durch das Doppeldiplomprogramm TIME (Top Industrial Managers for Europe). Es bietet Studierenden der Fächer Physik, Kybernetik, Maschinenbau oder Luft- und Raumfahrttechnik ein zweiähriges Studium an der ECP, wo sie an allen Abschlussprüfungen teilnehmen. Im Folgejahr wird in Stuttgart die Diplomarbeit nachgereicht. 

In der Elektro- und Informationstechnik gibt es ein ähnliches Programm, das mit der Pariser
École Nationale Supérieure de Télécommunication sowie der Ecole Supérieur d’Electricité SUPELEC in Gif-Sur-Yvette (nahe Paris) kooperiert. Es sieht einen dreisemestrigen Auslandsaufenthalt sowie ein dreimonatiges Industriepraktikum vor. Auch ein Studium in Barcelona oder Madrid ist möglich. 

In den Sozialwissenschaften führt der deutsch-französische Studiengang Sozialwissenschaften der Universität Stuttgart und des Institut d'
Études Politiques de Bordeaux zum doppelten Abschluss. Und ganz neu ist das dreisprachige Doppeldiplomprogramm in der Chemie, das zwei Semester an der Ecole Européenne de Chimie, Polyméres et Matériaux (ECPM) in Straßburg vorsieht.

Koordiniert werden die Programme an der Deutsch-Französischen Hochschule (DFH) in Saarbrücken. Die dezentral arbeitende Einrichtung fördert insgesamt 114 binationale Studiengänge. Gezahlt wird - zusätzlich zum Bafög - ein Mobilitätsstipendium von zur Zeit 30O Euro im Monat.

Da die französischen Prüfungsleistungen im deutschen Hauptstudium anerkannt werden, hält sich der Mehraufwand für das zweite Diplom in Grenzen, sagt Peter Ullmann, der im Studium jenseits des Rheins die Chance sieht, internationale Kontakte in die Industrie zu knüpfen. 

Prüfungen sind harte Nuss
Die extreme Leistungsorientierung des französischen Bildungssystems war für den jungen Deutschen allerdings gewöhnungsbedürftig: „Für jeden Ausbildungsschritt gibt es einen Concours (Aufnahmewettbewerb), die Ergebnisse von Ratings an der Hochschule werden mit Namen am schwarzen Brett veröffentlicht." Diese Philosophie wirkt sich auf den Studienaufbau aus. Ähnlich wie in der Schule müssen die französischen Studenten auch während des Jahres regelmäßig Prüfungen ablegen. Eine harte Nuss für die Deutschen: Sie kommen im September an die neue Hochschule und schreiben bereits im Oktober die ersten Tests. Wer da im Französischen noch nicht so ganz fit ist, fällt schon einmal durch, zumal die Anforderungen an den Eliteschulen sehr hoch sind.

Eine weitere Systemfolge: das wissenschaftliche Arbeiten kommt im starren Curriculum der Grandes Ecoles ein wenig zu kurz. Wer mit einer Hochschulkarriere liebäugelt, meint Ullmann, sollte daher eher an eine französische Uni oder an eine Professorenschmiede wie die Ecole Normale Supérieure gehen.

Schwierigkeiten gibt es auch, wenn der Lehrplan der Gaststudenten von dem der Franzosen abweicht. Befreiungen für bereits an der Heimatuni erbrachte Studienleistungen müssen individuell mit der Direktion ausgehandelt werden. Konflikte sind da vorprogrammiert, berichtet Peter Ullmann und wünscht sich für solche Fälle mehr „offizielle" Regelungen.

In zehn Jahren nur ein Aussteiger
Im Ganzen jedoch kommen die meisten Gaststudenten gut zurecht, hat Professor Gert Denninger, der Studierende im Programm mit der ECP berät, beobachtet: „In zehn Jahren hatten wir bei 65 Teilnehmern nur einen Aussteiger." Was auch an der sorgfältigen Auswahl der Bewerber liegt. Neben einer Zwei im Vordiplom und guten Französischkenntnissen sollte ein Interessent soziale Kompetenz und Kontaktfreudigkeit mitbringen. Und natürlich Interesse am Gastland, wie Denninger betont: „Eine Spezialität für Frankophile ist das schon." 
Wer durchhält, muss sich um den zukünftigen Brötchengeber keine Sorgen machen. „Das Diplom einer Grande
École öffnet in Frankreich jede Tür", sagt Professor Paul J. Kühn, der die Programme in der Elektrotechnik betreut. Außerdem ist Frankreich der wichtigste Handelspartner Deutschlands. Wer den Arbeitsstil und die Lebensweise der Nachbarn mehrere Jahre lang profund kennengelernt hat, dem winken auch hierzulande lukrative Jobs.

Interesse ungleich verteilt
Kein Wunder, dass das Interesse an einem Doppeldiplom steigt. Rund 3800 junge Frauen und Männer sind im Studienjahr 2002/03 an der DFH eingeschrieben, 17 Prozent mehr als im Vorjahr. Der Zuwachs ist allerdings ungleich verteilt: Während sich Doppeldiplome in den Wirtschaftswissenschaften großer Beliebtheit erfreuen, lässt das Interesse in den Naturwissenschaften nach. „Früher hatten wir für unsere sieben Plätze ein Dutzend Bewerber, derzeit sind es nur zwei bis drei im Jahr",  bedauert Denninger. Neben einem generellen Rückgang der Studierenden macht der Physikprofessor die Anglisierung seiner Disziplin dafür verantwortlich: Wer zum Fachstudium sein Englisch perfektionieren muss, hat Respekt davor, auch noch intensiv Französisch zu büffeln.

Peter Ullmann, der inzwischen in Karlsruhe und Freiburg über die Entwicklung von Kernspintomographen promoviert, ermutigt dennoch zum Studium an der Seine: „Man schaut über den Tellerrand der Physik hinaus und außerdem hat Paris tolles Kulturleben.?" /Andrea Mayer-Grenu

Informationen zu den Doppeldiplomprogrammen gibt es unter 
www.uni-stuttgart.de/ia/ germinfo/doppeldiplom.html 
sowie unter www.dfh-ufa.org


last change: 20.07.03 / hj
Pressestelle der Universität Stuttgart

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