Home           Inhalt           Suchen

Stuttgarter unikurier Nr. 91 April 2003
Internationales Symposium:
Welche Zukunft hat die Stadt?
Welche Zukunft hat die Stadt als Raum öffentlicher Kommunikation? Über diese Frage diskutierten Architekten, Städteplaner und Architekturtheoretiker aus Japan, Korea, Brasilien, Dänemark, Italien, den Niederlanden und Deutschland auf einem zweitätigen Symposium „Perspektiven des urbanen Raums", das im November vergangenen Jahres vom Städtebau-Institut und dem Internationalen Zentrum für Kultur- und Technikforschung veranstaltet wurde. Rund 100 Besucher erhielten einen Einblick in die weltweit sich vollziehenden Strukturwandlungen des urbanen Raums und die unterschiedlichen städtebaulichen Antworten, zu denen sich Architekten und Stadtgestalter gegenwärtig herausfordern lassen.
kleinbal.gif (902 Byte)

Die Stadt gilt als Raum der öffentlichen Kommunikation. Sie ist ein Ort, der soziale Begegnungen, Austausch, kulturelles Leben und politische Selbstentfaltung in verdichteter Form erlaubt. Trotz vielfältiger Funktionswandlungen, denen die Stadt aufgrund ökonomischer und technischer Entwicklungen historisch unterlag, macht gerade dies das Städtische der Stadt aus. Doch diese Qualität der Stadt scheint heute in einem nie da gewesenen Maße geförrdet. Das explodierende Verkehrsaufkommen, die Möglichkeiten des Verbrauchs und der Zirkulation entgrenzen die Stadt, verlagern urbane Funktionen aus den Zentren an die Peripherie, entleeren Straßen und Plätze und vernichten Wohnumfelder als gemeinschaftliche Sozialisationsinstanz. 
Gläserne Einkaufspaläste, Multiplex-Kinos oder Themen-Parks simulieren nur mehr das, was einst das Versprechen der Stadt war. Schließlich scheint der Siegeszug der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien die Stadt als Raum öffentlicher Verständigung, kultureller Erfahrung und politischer Entscheidung gänzlich obsolet zu machen.

Verlust und Chance
Die Beiträge auf dem Stuttgarter Symposium machten klar, dass diese Phänomene unser Verständnis von Stadt, urbanem Raum und öffentlichkeit radikal in Frage stellen. Die Zukunft des öffentlichen Raums hat sich, wie Tilman Harlander (Stuttgart) in seinen einleitenden Worten sagte, zu einem „wirklichen Schlüsselthema" entwickelt. Den Teilnehmern ging es aber weniger darum, diesen Funktionsverlust nur zu beklagen, als vielmehr Prozesse seiner Rekonfiguration zu entdecken. Helmut Bott (Stuttgart) untersuchte, wie sich der für die Großstadt konstitutive Gegensatz von Privatheit und öffentlichkeit durch die neuen Medien tendenziell auflöst, wie er sich in baulichen Entsprechungen verschiebt und neue soziale Differenzformen hervorbringt. Uwe-Jens Walther (Berlin) analysierte die zunehmende Videoüberwachung städtischer Plätze und Anlagen und Harald Bodenschatz (Berlin) thematisierte die „gated communities" die vor allem in den USA ein schnell wachsendes Marktsegment darstellen, aber auch Einzug in Europa halten. Entgegen mancher Vorstellung, wonach die europäische Stadt gleichsam vor den Angriffen der amerikanischen Stadt geschützt werden müsse, gab er zu bedenken, dass der „New Urbanism" in der Gestaltung suburbanisierter Stadtregionen zumindest in programmatischer Hinsicht als „Bewegung der kultischen Verehrung des öffentlichen Raums" interpretiert werden könne. Einspruch gegen die These, dass das Urbane durch die Virtualität der Kommunikationsmedien an Bedeutung verloren habe, erhob Maria Elaine Kohlsdorf (Brasilia), indem sie auf körperliche Präsenz und kulturelle Identität als unabdingbare Modi der Raumkonstitution hinwies. Aus dem Schema geläufiger Entgegensetzungen trat auch der Beitrag von Elizabeth Sikiaridi (Amsterdam). Anstatt die Qualität der urbanen gegen die Möglichkeiten der virtuellen Räume auszuspielen, ging sie von hybriden Netzwerk-Räumen aus und entwickelteüberraschende Szenarien für ein „Public Media Urban Interface".  Dass nicht nur Zukunftsfragen, sondern auch die reflektierte Geschichte des öffentlichen Raums unsere Wahrnehmungsmuster zu erschüttern vermag, demonstrierte eindrucksvoll Werner Durth (Darmstadt). Seine Rekonstruktion repräsentativer Stadtgestaltungsprojekte aus der Zeit des deutschen Kaiserreiches bis zur Nachkriegszeit in BRD und DDR zeigte überdies, dass die Motive und Intentionen der Akteure sich selten mit den Folgen decken, die ihre stadtplanerischen Entscheidungen zeitigen. 

Wie aber bauen?
Wie aber bauen angesichts historischer Erfahrungen und künftiger Herausforderungen? Zu den Höhepunkten des Symposiums gehörten die zahlreichen Präsentationen konkreter Projekte aus Architektur und Städtebau, die - obgleich in verschiedenen kulturellen Kontexten entwickelt - ein gemeinsames Ziel verfolgten: die „Wiedergewinnung des öffentlichen Raums". So stellte zum Beispiel Jan Gehl (Kopenhagen) die Projekte einer Requalifizierung unter konzeptioneller Berücksichtigung bestimmter Formen menschlicher Aktivität am Beispiel Kopenhagens vor und Eckhart Ribbeck (Stuttgart) skizzierte die Aneignung der Straße am Beispiel von „Rio Cidade
" in Rio des Janeiro.

Auf einer Podiumsdiskussion, an der sich auch die Stuttgarter Architekten Antero Markelin und Jochem Schneider beteiligten, wurde die Idee einer Requalifizierung des urbanen Raums unter den Bedingungen von Mobilität, Informatisierung und Vernetzung auf ihre theoretische und stadtplanerische Konsequenz befragt: Vom geordneten Stadtraum zum organisierten Chaos? So kontrovers sich die Disputanten auch äußerten, einig waren sie sich darin, dass die Vorstellungen einer sozial relevanten Ästhetik, ja einer Ethik der Stadt, wie sie Michael Trieb (Stuttgart) in seinem Resümee aus drei Jahrzehnten Planungspraxis herausgearbeitet hatte, unabgegolten sind. Mit dem Symposium ehrte die Universität Stuttgart auch sein beharrliches Wirken für neue Perspektiven des urbanen Raums. Elke Uhl

Kontakt
Internationales Zentrum für Kultur- und Technikforschung, 
Keplerstr. 11, 70174 Stuttgart, 
Tel. 0711/121-2589, 
Fax 0711/121-2813,
e-mail: elke.uhl@po.uni-stuttgart.de

 


last change: 20.07.03 / hj
Pressestelle der Universität Stuttgart

Home           Inhalt           Suchen