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Stuttgarter unikurier Nr. 91 April 2003
Forschung zum Ökozentrum Rommelmühle:
Umweltträume auf dem PrüfstandĀ 
Leisten Ökozentren einen Beitrag, um Menschen zu umweltverträglichem Handeln zu erziehen? Das untersuchte das Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) der Uni Stuttgart gemeinsam mit dem Hohenheimer Lehr- und Forschungsbereich für Konsumtheorie und Verbraucherpolitik in einer Langzeitstudie. Das Forschungsobjekt fand sich 25 Kilometer vor den  Toren von Stuttgart: die Rommelmühle in Bietigheim-Bissingen. In der denkmalgeschützten einstigen Mehlmühle eröffnete 1998 Europas größtes Ökozentrum.
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Kernstück der Rommelmühle ist ein Einkaufszentrum für umweltfreundliche Produkte. Auf 6500 Quadratmetern sollte dort vom Vollkornbrot bis zum hölzernen Badezuber alles zu finden sein, was Öko-Herzen höher schlagen lässt. Die Produktauswahl kontrollierte der Bund für Umwelt- und Naturschutz BUND. Um das Kaufhaus entstanden Büros sowie Wohnungen für über 100 Menschen. Abgerundet wird das Zentrum durch ein Gemeinschaftshaus mit Kinder- und Jugendräumen. Gebaut wur-de nach biologischen Grundsätzen: Nur schadstoffarme, wiederverwertbare Baustoffe durften verwendet werden, Strom und Wärme produziert das hauseigene Wasserkraftwerk. 

Verhaltensänderung erwartet
Doch wie ökologisch verhalten sich die Akteure nun wirklich? Um dies herauszufinden, befragte ein Projektteam um Professor Alfred Voß vom IER und Professor Gerhard Scherhorn von der Uni Hohenheim Bewohner und Mitarbeiter des Zentrums über vier Jahre hinweg nach Konsumgewohnheiten, Verkehrsverhalten und Gemeinschaftsgefühl. 

Tatsächlich, fasst Diplomökonomin Beate Gebhardt vom IER die Ergebnisse zusammen, wird ökologisches Denken im Umfeld der Rommelmühle groß geschrieben. Umweltschonende Verhaltensweisen wie etwa der sparsame Umgang mit den Ressourcen oder Müllvermeidung haben mehr Gewicht als anderswo. Viele der Befragten erwarteten durch das Ökozentrum eine Verhaltensänderung bei sich selbst: 80 Prozent wollten mehr Lebensmittel aus biologischem Anbau einkaufen, andere glaubten gleich, durch die Teilnahme an einer „Car-Sharing" Agentur auf das eigene Auto in Zukunft verzichten zu können. 

Problemfeld Mobilität
Die Realität allerdings sieht anders aus. Kann sich die Energiebilanz des Zentrums noch durchaus sehen lassen, so ist bei der Mobilität Schluss mit öko. Zwar fahren die Bewohner der Rommelmühle deutlich weniger Auto als der Rest der Deutschen, doch seit 2001 nehmen Pkw-Bestand und Fahrleistung zu. „Patchwork-Verhaltensweisen, bei denen Einstellung und Tun auseinanderklaffen, sind auch bei einem Modellprojekt wie der Rommelmühle anzutreffen", so ein Ergebnis der Studie. Oder, wie Beate Gebhardt es salopper formuliert: „Da leben auch nicht nur Öko-Apostel." Ein Grund für das Auseinanderfallen von Wunsch und Wirklichkeit ist der abgelegene Standort. Wer die Rommelmühle mit öffentlichen Nahverkehrsmitteln erreichen will, muss viel Zeit mitbringen. 

Unter diesem Manko leiden auch die Geschäfte. Zwar kennt jeder Zweite in der Region das Bissinger Ökozentrum, doch nur jeder Zwanzigste kauft gelegentlich dort ein - trotz guter Noten für Produktqualität, Service und Atmosphäre. Die anfangs angestrebten 1500 Kunden täglich wurden höchstens in den von großem Medienrummel begleiteten Eröffnungswochen erreicht. Vor allem Besucher aus Stuttgart empfinden den Weg nach Bietigheim-Bissingen als weit und umständlich - und bleiben deshalb fern. 

Begrenzte Wirkung
So hat sich der einstige Hoffnungsträger inzwischen zum Sorgenkind gewandelt. Drei Viertel der einst knapp 20 Läden haben dicht gemacht oder den Mieter gewechselt. Wenn überhaupt noch Händler gefunden werden, ist von ökologischen Prüfkriterien nicht mehr viel zu spüren. Immer häufiger ziehen Büros in die leeren Räume.

Auch in einem Ökokaufhaus hat der einschlägige Einzelhandel im hart umkämpften Konkurrenzmarkt seine Schwierigkeiten, folgert die Studie: „Gemessen an den Umsatzzahlen und der Kundenfrequenz ist die Wirkung des Ökozentrums in das räumliche Umfeld eher begrenzt."Wenn Ökozentren wie die Rommelmühle florieren sollen, so das Fazit der Autoren, kommt es vor allem auf den geeigneten Standort an. Und auf das passende Betreiberkonzept. Ökokaufhäuser müssen in puncto Angebot und Atmosphäre deutlich mehr bieten als der Bioladen an der Ecke, im Preisniveau aber deutlich unter demselben bleiben. Beratungsangebote und Dienstleistungen sollten so in die Gesamtstruktur integriert sein, dass sie zum Frequenzbringer für den Handel werden. Und im Marketing sollten Umweltkaufhäuser nicht nur auf das inzwischen etwas angestaubte Schlagwort Öko setzen. 

Dies sieht auch der Geschäftsführer der Rommelmühle, Erhard Schulz, so. Mit „Events, Lifestyle und Wellness" möchte er in Zukunft wieder mehr Menschen zum umweltbewussten Shopping locken. Ob die Umstrukturierung Erfolg hat, wird bundesweit mit Spannung verfolgt: Inzwischen entstanden vier weitere Ökokaufhäuser, mehr als 20 sind in Planung. /Andrea Mayer-Grenu

Kontakt
Prof. Dr.-Ing. Alfred Voß 
Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung, 
Tel. 0711/ 78061-0, 
Fax 0711/7806177,
e-mail: ier@ier.uni-stuttgart.de

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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