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Stuttgarter unikurier Nr. 91 April 2003
Neue verschleißfeste Werkstoffe für Papiermaschinen:
Hart, glatt und absolut porenfrei

Moderne Papiermaschinen sind heutzutage in der Lage, riesige Mengen Papier in jeder gewünschten Qualität in unglaublich schneller Zeit herzustellen. Die dabei eingesetzten Maschinen errei-chen schon heute Ausmaße von zehn bis zwölf Metern Breite und fast 100 Metern Länge; Papiergeschwindigkeiten von 120 Stundenkilometern sind keine Seltenheit. Bei Investitionssummen von 60 bis 100 Mio. Euro pro Anlage stellen Ausfälle durch Verschleiß ein sehr hohes Risiko dar. In einem aktuellen Forschungsprojekt am Institut für Fertigungstechnologie keramischer Bauteile (IFKB) werden verschleißbeständige und reibarme Beschichtungen für diese Maschinen entwickelt, die auf dem Prinzip der so genannten selbstfließenden Legierungen aufbauen.
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Die Beschichtungen werden im Nassbereich der Papiermaschine am Beginn der Blattbildung auf den so genannten Deflektoren oder Entwässerungsleisten eingesetzt. Diese Deflektoren sind eigentlich riesige Klingen, über die das Papiersieb mit hoher Geschwindigkeit gezogen wird. Durch eine leichte Änderung der Laufrichtung des Siebs wird das in der Papiermasse enthaltene Wasser herausgedrückt. Eine der Hauptschwierigkeiten speziell für diese Bauteile ist die Anwesenheit korrosiver wässriger Suspensionen, die auch noch abrasive Feststoffe wie etwa Titanoxid enthalten. Diese Stoffe tragen erheblich zum Verschleiß der Teile bei. Schon in einer frühen Phase des Projektes wurde klar, dass ein wirkungsvolles Schichtsystem sehr glatt und absolut porenfrei sein muss, um eine Einlagerung der Hartstoffpartikel in die Schicht zu verhindern.

Selbstfließende Legierungen
In Frage kamen deshalb die so genannten selbstfließenden Legierungen, die hauptsächlich aus Nickel und Chrom sowie Bor und Silizium bestehen und durch ein thermisches Spritzverfahren (Hochgeschwindigkeitsflammspritzen) auf den metallischen Träger aufgespritzt werden. In einer anschließenden Wärmebehandlung bei Temperaturen bis zu 1000 Grad Celsius reagieren die Legierungsbestandteile und bilden glasartige binäre und ternäre Phasen. Die aufgespritzte Schicht wird dadurch ausgehärtet und verdichtet sich zu einem nahezu porenfreien Überzug. Dabei verbindet sich der Schichtüberzug auch schmelzmetallurgisch mit dem Substrat durch Ausbildung einer Diffusionszone, was zu außerordentlich hohen Haftkräften führt. Schichtdicken von bis zu einem Millimeter und mehr sind technisch herstellbar.

Neuer werkstofftechnischer Ansatz
Bislang werden solche Schichten in der Industrie als Schutzüberzüge beispielsweise auf Förderschnecken, Schaufelzähnen und Backenbrechern eingesetzt. Für die Anwendung in Papiermaschinen ist aber selbst diese Härte der Werkstoffe nicht ausreichend. Am IFKB verfolgt man deswegen einen neuen werkstofftechnischen Ansatz. Der Nickel-Chrom-Bor-Silizium-Legierung werden karbidische Hartstoffe zugesetzt, welche feinverteilt in der Schi.htmlatrix sitzen und der Schicht die nötige Härte verleihen. 

Die praktische Herstellung dieser Schichten ist jedoch sehr kompliziert, da die Karbide zwar sehr hart, aber unter Anwesenheit von Sauerstoff bei hohen Temperaturen nicht oxidationsbeständig sind. Der gesamte Einschmelzprozess muss daher auf diese Karbide abgestimmt sein. Ziel ist dabei, die Konzentration der Karbide in der Matrix so hoch wie möglich zu treiben, denn um so härter wird der Schichtwerkstoff. Ab einem Anteil von mehr als 70 Gewichtsprozent Karbid in der Legierung wird es allerdings schwierig, noch ausreichende gute Schichteigenschaften zu erreichen, da der Zusammenhalt in der Schicht nicht mehr gewährleistet ist. Auf diesem Grat zwischen hoher Härte und guten Schichteigenschaften gilt es, das Optimum zu finden.

Problem Bauteilgröße
Neben der werkstofflichen Herausforderung stellt sich auch die fertigungstechnische Seite als äußerst komplex heraus. Bauteillängen von bis zu zwölf Metern bei Bauteiltoleranzen im Bereich von deutlich unter einem Zehntel Millimeter stellen hohe Anforderungen an die Fertigungstechnik. Die gesamte Beschichtungs- und Wärmebehandlungstechnik muss auf die Besonderheiten dieser Bauteilgeometrie ausgelegt werden. 
Gegenwärtig findet die Werkstoffentwicklung noch an kleineren 

Versuchskörpern statt. Nach dem Abschluss erster Versuche ist die Umsetzung auf ein reales Bauteil und der Einsatz in einer Papiermaschine noch in diesem Jahr geplant.

Kontakt
Dr. Andreas Killinger, Institut für Fertigungstechnologie keramischer Bauteile,
Tel. 0711/685 8230, Fax 0711/685 8299,
e-mail: andreas.killinger@po.uni-stuttgart.de

 


last change: 20.07.03 / hj
Pressestelle der Universität
Stuttgart

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