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Stuttgarter unikurier Nr. 90 November 2002
Uni Stuttgart am Jahr der Geowissenschaften beteiligt:
Von der Entstehung des Sonnensystems bis zur Stadt von morgen
 

Mit dem diesjährigen „Jahr der Geowissenschaften“ sollte das breite Feld geowissenschaftlicher Forschung für die Öffentlichkeit transparenter gemacht werden. An der Universität Stuttgart haben sich die Institute für Geographie, für Geologie und Paläontologie, für Mineralogie und Kristallchemie sowie für Geophysik mit einem umfangreichen Angebot beteiligt. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hielten Vorträge an Schulen, begleiteten Interessierte bei Exkursionen durch Stuttgart und anderen Zielen in ganz Baden-Württemberg und luden zu Führungen in ihren Instituten. Durch diese Aktivitäten entwickelte sich ein lebendiger Dialog zwischen Wissenschaftlern und der Öffentlichkeit.

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Der Mars ist geologisch eingeschlafen
Wie entstehen aus kosmischem Staub Sterne? Was könnte die Bedeutung des Putzerfisches für das Ökosystem sein? Es war ein weiter Bogen, den Prof. Dr. Hartmut Seyfried, Direktor des 
Instituts für Geologie und Paläontologie, in seinem Vortrag „Was die Erde lebendig hält“ spann. Rund 100 Schüler des Instituts Flad in Stuttgart, die zu Chemisch-Technischen-Assistenten ausgebildet werden, ließen sich schnell von dem lebhaft gehaltenen Vortrag in den Bann schlagen.
Zu Beginn fragte Seyfried die Schülerinnen und Schüler nach ihrem Vorwissen und forderte sie auf, sich zu melden, wenn ihnen bestimmte Begriffe nicht geläufig wären. In seinen Vortrag baute er allseits bekannte Dinge wie das Periodensystem ein, fragte dann aber weiter: „Wissen Sie auch, woher die Elemente kommen?“

Geologische Abläufe, die aufgrund des schichtartigen Aufbaus der Erde stattfinden, veranschaulichte er durch schnelle Skizzen an der Tafel. Diese Stoffkreisläufe halten die Erde geologisch lebendig und ermöglichen dadurch erst alles weitere Leben auf der Erde, erklärte Seyfried, der 1998 mit dem Landeslehrpreis ausgezeichnet worden war. „Der Mars ist geologisch eingeschlafen. So einfach ist es nicht, einen anderen Planeten zu finden, bei dem alles so passt wie bei unserem, das können Sie vergessen“, machte der Geologieprofessor seinen Zuhörern eindringlich klar. Immer wieder betonte er in seinem Vortrag: „Wir haben nur eine Erde.“
Mit viel Schwung und ausladenden Armbewegungen wusste Prof. Seyfried große Zeiträume zu umfassen und machte den Schülern bewusst, das nicht nur Menschen Großes leisten können: „Das größte Gebäude, das jemals von Organismen auf der Erde gebaut wurde, ist das australische Barrier Riff.“

Es gibt viele Steuerungsprozesse auf unserer Erde, auf die wir keinen Einfluss haben, aber auch viele, auf die wir Einfluss nehmen können, betonte Seyfried. Jeder Organismus sei wichtig für das System. Er verglich das Ökosystem der Erde mit einem Gewölbe, das zusammenbricht, wenn man den Schlussstein herauszieht. „Wir wissen nicht, welche Organismen in einem solchen System die Schlussstein-Funktion haben. Ist es der Hundertfüßler im Regenwald oder der Putzerfisch im Korallenriff?“, fragte er die Schüler. Die betroffenen Gesichter der Schüler am Ende des Vortrages zeigten, dass sie sich haben aufrütteln lassen. Viele stellten im Anschluss noch Fragen.

„Diese Vorträge machen richtig Spaß“, sagt Seyfried. In ganz Baden-Württemberg sind er und seine Mitarbeiter in Schulen unterwegs. „Wir wollen Interesse für Naturwissenschaften wecken und die Leute sensibilisieren für den Grad der Vernetzung auf der Erde. Natürlich machen wir auch Werbung in eigener Sache für unseren wissenschaftlichen Nachwuchs in der Geologie.“ Insgesamt wurden 15 Vorträge gehalten. Für jede Schule wurde in Absprache mit den dortigen Geographielehrern ein eigenes Thema ausgewählt. Eine Klasse war sogar zu Besuch im Institut für Geologie und Paläontologie. „Das war eine spannende Herausforderung, die waren nämlich erst so elf oder zwölf Jahre alt und noch ganz neugierig. Wir haben sie Steine sieben lassen, ihnen Luftbilder in Stereoprojektion gezeigt und das Rasterelektronenmikroskop vorgeführt“, erzählt Seyfried begeistert.

Kontakt
Prof. Dr. Hartmut Seyfried, Institut für 
Geologie und Paläontologie, Herdweg 51, 70174 Stuttgart, Tel. 0711/121-1339, 
Fax 0711/121-1341, 
e-mail: hartmut.seyfried@geologie.uni-stuttgart.de

 

Wüsten, Meere und Vulkane
Hauptsächlich an Schülerinnen und Schüler wendet sich auch das Buch „Wüsten, Meere und Vulkane“. Die Autoren Dr. Herman Behmel vom Institut für Geologie und Paläontologie, Dr. Uli Schollenberger und Dr. Christine Stier legten es zum Jahr der Geowissenschaften neu auf. Im Buch ist die Erdgeschichte am Beispiel Baden-Württembergs dargestellt. Sehr anschaulich wird erklärt, wie heutige Landschaftsbilder entstanden sind und wie Baden-Württemberg in längst vergangenen Zeiten ausgesehen hat.

Wüsten, Meere und Vulkane - Baden-Württemberg in Bildern aus der Erdgeschichte (Peter-Grohmann-Verlag Stuttgart, ISBN 3-927340-18-9).

Das Buch ist für 14 € beim Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart erhältlich.

 

Die Erde - Kugel oder Football?
In den Granitstollen eines stillgelegten Erzbergwerks mitten im Schwarzwald bei Schiltach, 150 Meter unter der Erdoberfläche, befinden sich die Messräume des Geowissenschaftlichen Gemeinschaftsobservatoriums. Das Observatorium, auch Black Forest Observatory (BFO) genannt, wird von den geodätischen und geophysikalischen Instituten der Universitäten Stuttgart und Karlrsuhe betrieben. Zum Jahr der Geowissenschaften, aber auch darüber hinaus, bietet Dr. Rudolf Widmer-Schnidrig vom Institut für Geophysik der Uni Stuttgart Führungen für Gruppen im Observatorium an.

Im BFO wird das Erdmagnetfeld gemessen, Erddeformationen und Änderungen des Schwerefeldes werden erfasst und Seismometer zeichnen seismische Wellen von Erdbeben auf. Das Observatorium ist in verschiedene nationale und internationale seismische Netzwerke integriert. „Bei starken Erdbeben wird die Erde wie eine Glocke von einem Klöppel zu freien Schwingungen angeregt“, erklärt Widmer-Schnidrig. Empfindliche Messgeräte erfassen diese Schwingungen. Durch eine Analyse der verschiedenen Schwingungsanteile können dann Rückschlüsse über die Struktur des Erdinneren von der Erdkruste bis zum Erdmittelpunkt gezogen werden. 
„Nicht nur das Meer wird durch den Mond zu Ebbe und Flut angeregt. Auch die Erde selbst reagiert auf die wechselnde Anziehungskraft von Sonne und Mond mit Deformationen“, beschreibt Dr. Widmer-Schnidrig. Diese Formveränderungen werden am BFO mit einer 120 Meter langen Schlauchwaage und einem Askania Vertikalpendel gemessen. Auch Erdeigenschwingungen, vermutlich durch Vorgänge in der Atmosphäre angeregt, führen zu Erddeformationen. „Ein anschauliches Beispiel für die Schwingungsform ist die so genannte „Football Mode“, bei der sich die Erde in der Art eines Footballs deformiert“, erläutert er.

Am Observatorium gelang die weltweit erste eindeutige Beobachtung der torsionalen Grundschwingung, hierbei verdreht sich die obere Erdhälfte minimal gegen die untere. Die dabei auftretenden Dehnungen der Erde werden mit im Stollen installierten Invardraht-Strainmetern registriert.
Neben den routinemäßigen Datenaufzeichnungen dient das Observatorium auch als Experimentier- und Forschungseinrichtung für neue Instrumente und Methoden.

Kontakt
Dr. Rudolf Widmer-Schnidrig, 
Observatorium Schiltach, Heubach 206, 77709 Wolfach, Tel. 07836/2151, 
e-mail: widmer@geophys.uni-stuttgart.de

 

Steine klopfen am Fuße der Schwäbischen Alb
Einen Blick in die Vergangenheit erlebten Schülerinnen und Schüler einer fünften Klasse gemeinsam mit Prof. Dr. Hans-Joachim Massonne, Direktor des Instituts für Mineralogie und Kristallchemie. Massonne erklärte der Klasse, wie sich die Höhlen auf der Schwäbischen Alb gebildet haben, welche Sedimente dort lagern und weshalb man dort viele Fossilien entdecken kann. Dies wurde auch gleich begeistert überprüft: In einem ehemaligen Steinbruch im Vorland der Schwäbischen Alb durfte sich die Schulklasse auf die Suche nach Steinen und Fossilien begeben. 

Kontakt
Prof. Dr. Hans-Joachim Massone, Institut für Mineralogie und Kristallchemie, Azenbergstr. 18, 70174 Stuttgart, Tel. 0711/121-1225, e-mail: imima@po.uni-stuttgart.de

 

Minerale als Vorlagen für verwertbare Materialien
Für ihre Schausammlung machen sich die Mineralogen seit Jahren selbst auf die Suche. Durch zahlreiche Exkursionen und Forschungsreisen wurde die Sammlung zusammengetragen. Einige Stücke wurden auch von Sammlern zur Verfügung gestellt oder konnten mit finanzieller Unterstützung der Vereinigung von Freunden der Universität Stuttgart erworben werden.
„Weltweit gibt es rund 4500 beschriebene Mineralien. Es gibt noch viele neu zu entdecken, wir haben am Institut 60 bis 70 neue Minerale beschrieben“, berichtet Prof. Paul Keller vom Institut für Mineralogie und Kristallchemie. Die Mineralien-Schausammlung dient der Ausbildung der Studenten, steht aber - nach Anmeldung - auch anderen Gruppen offen.

In der Ausstellung werden einige Minerale gezeigt, die die einzig bekannten Exemplare dieser Art darstellen. „Hierin besteht der besondere, auch internationale Rang der Sammlung“, erklärt Keller. Zu sehen gibt es unter anderem Erze, Edelsteine, auch Minerale mit besonderen Eigenschaften, wie die mineralische „Naturfaser“ Serpentinasbest und das Lichtleitermaterial Ulexit. Die Sammlung sei nicht für museale Zwecke eingerichtet, betont Keller, sondern zur Unterstützung der Forschungsarbeiten des Instituts. „Minerale stellen eine Ressource dar, um als Vorlage für Materialien mit bestimmten Eigenschaften zu dienen“, erläutert Keller. Bestimmte Zeolithe sind bekannte Beispiele für Ionenaustauscher und Katalysatoren. Poröse Materialien, so genannte Käfigmaterialien, können der Abfallaufbereitung dienen. Die Analyse der Mineralstruktur lässt Schlüsse zu, unter welchen Bedingungen das Mineral entstanden ist. Wenn man die Bedingungen und die Ausgangsmaterialien kennt, kann man versuchen, Methoden zu finden, Materialien mit den gewünschten Eigenschaften künstlich und in größerem Maßstab herzustellen. Auf diesem Forschungsgebiet arbeiten die Mineralogen unter anderem eng mit Chemikern und Physikern zusammen.
Doch neben allem Nutzen, den die Minerale der Forschung und Industrie bringen können, bekennt Prof. Paul Keller: „Uns fasziniert auch einfach die Schönheit der Minerale.“

Kontakt
Prof. Paul Keller, Institut für Mineralogie und Kristallchemie, Pfaffenwaldring 55, 70569 Stuttgart, Tel. 685-4112 oder -4113, e-mail: paul.keller@po.uni-stuttgart.de

 

Zukunftsvisionen für eine lebenswerte Stadt
Stuttgart im Jahr 2030 - wie wird es aussehen, wie viele Menschen leben dann hier, wie leben sie zusammen, wie alt werden sie sein und aus welchen verschiedenen Herkunftsländern kommen sie? Und vor allem: Wie können Entwicklungen so gelenkt werden, dass das Leben in der Stadt eine wünschenswerte Zukunft hat?
Mit diesen Fragen beschäftigen sich die Diplomgeographinnen Simone Plahuta und Nicole Oberbach vom Institut für Geographie der Universität Stuttgart im Rahmen des vom Bundeswissenschaftsministerium ausgeschriebenen Ideenwettbewerbs „Stadt 2030“ (Bitte beachten Sie dazu unsere Rubrik „Forschung & Wissenschaft“). Neben anderen Bezirken wird der Stuttgarter Stadtteil Bad Cannstatt genauer untersucht. Um das Projekt vorzustellen, stand deshalb auch ein Rundgang durch Bad Cannstatt auf dem Exkursionsprogramm des Instituts für Geographie zum Jahr der Geowissenschaften. Auch Führungen zum neuen Geographischen Lehrpfad Schwälblesklinge (der Uni-Kurier berichtete) im Stuttgarter Süden zählten zum vielseitigen Programm.
Bad Cannstatt hat fast 70.000 Einwohner, es ist ein industriell geprägter Stadtbezirk, der schon früh Ziel von Zuwande-rern geworden ist. Simone Plahuta und Nicole Oberbach stellten den 15 Exkursionsteilnehmern drei Trends vor, die in allen deutschen Großstädten zu beobachten sind: die Zunahme der demographischen Alterung, die Zuwanderung von Menschen aus dem Ausland und die Zunahme der sozialen Segregation, damit ist gemeint, dass die sozialen Unterschiede immer größer werden. „Es besteht ein sehr hoher Integrationsbedarf, damit keine Parallelgesellschaften oder Ghettos entstehen“, so ihr Fazit.

In Bad Cannstatt gibt es sehr verschiedene Wohngebiete. Selbst Teilbereiche wie den Hallschlag kann man nicht über einen Kamm scheren. Eine Kurzumfrage unter den Teilnehmern, was sie mit dem Gebiet Hallschlag verbinden, ließ sich mit dem Stichwort „sozialer Brennpunkt“ zusammenfassen. Nach dem Aufstieg zum Bezirk Altenburg mit seinen gepflegten Vorgärten und schmucken Häusern wurde schnell klar, dass sich das (Vor-)Urteil zumindestens nicht auf diesen Bereich beziehen könne.

„Achten Sie mal auf die Namen der Klingelschilder und auf die Art der Häuser, auf Straßen und auf Lärm“, forderten die beiden Exkursionsleiterinnen im Bezirk Neckarvorstadt auf. An verschiedenen Haltepunkten wurden dann diese Beobachtungen ausgetauscht. Es wurde zum Beispiel deutlich, dass nur sehr wenige Grünflächen zum Verweilen einladen und die „gehören den Hunden“, wie ein Teilnehmer treffend bemerkte. Plahuta und Oberbach informierten mit Zahlen über Alter und Herkunft der im Bezirk wohnenden Bevölkerung, den Anteil der Sozialhilfeempfänger und der Arbeitslosen. Diese Angaben bildeten die Grundlage für angeregte Diskussionen in der Gruppe. Manchmal sagen Zahlen mehr als Worte: im Bezirk Neckarvorstadt zum Beispiel sind 70 Prozent der Kinder im Vorschulalter nicht deutsch. Nicole Oberbach gab zu Bedenken, dass es für diese Kinder schwer sein werde, überhaupt Kontakt zu deutschen Kindern zu finden und deutsch zu sprechen. Verhältnismäßig wenig Jugendarbeit werde in diesem Bezirk angeboten, prangerten Plahuta und Oberbach an.
Durch das Projekt „StadtRegion Stuttgart 2030“ sollen Zukunftsvisionen und Leitbilder für Stadt und Region formuliert werden. Auch Politik und Bürger sollen sich beteiligen. Die Exkursionsteilnehmer zeigten mit ihrer Diskussionsfreude, wie wichtig ihnen dieses Thema ist.

Das Jahr der Geowissenschaften geht auf die Initiative „Wissenschaft im Dialog“ zurück, die vom Bundesforschungsministerium, dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und den großen Forschungsorganisationen ins Leben gerufen wurde. Die Aktivitäten finden verteilt über das ganze Jahr hinweg statt. Am 20. November findet an der Uni Stuttgart zeitgleich mit dem „unitag“ zum Beispiel der „Tag der Geographie“ statt. 

Birgit Vennemann

Kontakt
Institut für Geographie, Barbara Malburg-Graf, Azenbergstr. 12, 70174 Stuttgart, 
Tel. 0711/121-1407, Fax 0711/121-1472, 
e-mail: barbara.malburg@geographie.uni-stuttgart.de

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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