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Stuttgarter unikurier Nr. 90 November 2002
Engagierte Projektarbeit zu deutsch-französischen Beziehungen:
Interviews mit Zeitzeugen - Hörbuch zum Nouveau Roman
 

Im Februar dieses Jahres wurde ihr Engagement in der Lehre mit dem Landeslehrpreis 2001 ausgezeichnet (siehe Stuttgarter Uni-Kurier Nr. 89, 1/2002, S. 88), doch auf diesen Lorbeeren ruht sich Françoise Joly nicht aus. Sie steckt mit ihren Studentinnen und Studenten schon wieder mitten in der Fortsetzung der Projektarbeit, für die sie den Preis erhielt.

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Gemeinsam haben sich Joly und die Projektteilnehmer „Auf die Spuren der deutsch-französischen Beziehungen im Stuttgart der Nachkriegszeit“ begeben, so lautet das offizielle Thema des Seminars. Françoise Joly ist als Lektorin am Institut für Literaturwissenschaft der Universität Stuttgart in der Abteilung Romanische Literaturen I tätig. Für das Projektseminar bekommen die teilnehmenden Studierenden, die sich meist im Hauptstudium Romanistik befinden, einen Schein im Bereich Landeskunde. Doch hier geht es schon längst nicht mehr nur um einen Pflichtnachweis für ein absolviertes Projekt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind alle mit großem Engagement dabei, viele wollen auch ihre Magisterarbeit dem Projektthema widmen. „Das Projekt wurde zwar von mir angeregt, betreut und geleitet - dass sich aus der ursprünglichen Idee eine produktive Arbeitsgemeinschaft entwickelte, ist aber in erster Linie das Verdienst der Projektteilnehmer“, betont denn auch die Preisträgerin Joly.

Nouveau Roman 
Es gibt zwei Projektgruppen, eine hat sich die Autoren des Nouveau Roman der 50er und 60er Jahre des letzten Jahrhunderts zum Thema gemacht. Die Vertreter des Nouveau Roman lehnten den traditionellen, realistischen Roman radikal ab. Sie versuchten, die Welt aus der Sicht einer gleichgültigen Erzählposition zu schildern. In den 60er Jahren hat der damalige Süddeutsche Rundfunk (SDR) eine Reihe von französischen Autoren des Nouveau Roman beauftragt, Hörspiele zu schreiben, die dann vom SDR produziert, inszeniert und gesendet wurden. Die Dokumentation zu diesen Produktionen befindet sich im Archiv des heutigen Südwestrundfunks (SWR). Für die Studenten ging es zunächst darum, das umfangreiche Material zusammenzutragen und zu klassifizieren. Ehemalige Beteiligte wurden kontaktiert, etwa Hans-Jochen Schale, damals Hörspielredakteur im SDR, und die Übersetzer Gerda und Helmut Scheffel.

Intensive Archivrecherchen
Die andere Gruppe beschäftigte sich mit der Wiederaufnahme der deutsch-französischen kulturellen Beziehungen in Stuttgart ab 1945. Die Teilnehmer erkundeten beispielsweise die Gründungsgeschichte des Französischen Instituts in Stuttgart, auch zum Verbindungsamt der französischen Armee in Stuttgart wurde Kontakt aufgenommen. Gespräche mit wichtigen Zeitzeugen wie dem ehemaligen Oberbürgermeister Manfred Rommel und dem damaligen Ministerpräsidenten Hans Filbinger fanden statt. Auf ihrer Spurensuche entdeckten die Studierenden den Nachlass von Else Krafft, die 1947 die „Gesellschaft der Freunde französischer Kultur e.V.“ in Stuttgart gründete. „Oft kamen die Studenten staubbedeckt, aber begeistert über ihre Funde aus den Archiven“, erzählt Françoise Joly.

Von Nathalie Sarraute bis Monique Wittig
„Wir machen einfach weiter“, kündigte die Französin bei der Preisverleihung an, und sie hat Wort gehalten. Gemeinsam mit der SWR Media GmbH, die für die Verwertung von SWR-Produkten zuständig ist, plant die Projektgruppe die Herausgabe der vom SDR produzierten Hörspiele als Hörbuch. Bei einem Termin mit Günther Hansen von der SWR Media GmbH besprechen Françoise Joly und drei Studentinnen die dafür notwendigen Schritte. Welchen Verlag könnte man für das Projekt gewinnen? Welche Autoren sollen vorgestellt werden? Die Gruppe hat sich für Nathalie Sarraute mit „Das Schweigen“, Michel Butor mit „Fluglinien“ und Monique Wittig mit „Johannisfeuer“ entschieden. Ideen und Fragen gibt es reichlich. Lebhaft geht es bei dem Treffen zu, mal wird französisch, mal deutsch geredet. Sollen auf einer CD zusätzlich zum Hörspiel noch Interviews mit den Autoren kommen, wie viel Platz ist überhaupt auf so einer CD? Auch ein Booklet mit Material zu den Autoren könnte beigelegt werden. Gemeinsam wird beschlossen, dass Günther Hansen zunächst telefonisch mit verschiedenen Verlagen spricht. Von der Projektgruppe braucht er dafür noch Verkaufsargumente. Françoise Joly berichtet: „In Frankreich erlebt der Nouveau Roman im Moment ein echtes Revival.“ Und die Studentin Angelika Baur ist sich sicher: „Die Stücke sind absolut aktuell und heute noch so hörbar wie damals.“ Julia Jäckel, sie studiert Romanistik für das Lehramt, zeigt sich begeistert von den Hörspielen: „Die Stücke sind spannend, selbst bei dem 100-minütigen Stück „Fluglinien“ denkt man nie: Wann ist es endlich vorbei.“ Auch die Auswahl der Stücke fand mit Bedacht statt: Zwei bekannte Autoren, Nathalie Sarraute und Michel Butor, und die in Deutschland weniger bekannte Autorin Monique Wittig. Das könnte eine Neuentdeckung werden.
Bevor so ein Hörbuch auf den Markt kommt, müssen allerdings noch einige Rechte abgeklärt werden, das ist Aufgabe von Günther Hansen: „Dazu muss ich alte Verträge anschauen und sehen, was dort festgelegt wurde.“ Autoren oder deren Nachkommen, Komponisten und Übersetzer müssen dann möglicherweise ausfindig gemacht werden.
Inzwischen arbeitet eine weitere Studentengruppe in Zusammenarbeit mit dem Institut Français de Stuttgart und dem Hatje Cantz Verlag (Ostfildern) an einem neuen Thema: dem Katalog für eine Ende 2002 geplante Ausstellung im Institut Français mit Büchern von Gerd Hatje, der in den ersten Jahren seiner Verlegertätigkeit die Arbeiten zahlreicher französischer Autoren und Künstler veröffentlicht hat.

Die bisherigen Ergebnisse der Projektarbeit sind übrigens unter www.uni-stuttgart.de/lettres/projekte einzusehen. 

Birgit Vennemann

Kontakt
Françoise Joly, Abteilung Romanische Literaturen I des Instituts für Literaturwissenschaft, Keplerstr. 17, 70174 Stuttgart, Tel. 0711/121-3109, 3111, 
Fax 0711/121-2765, 
e-mail: Françoise.Joly@po.uni-stuttgart.de

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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