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Stuttgarter unikurier Nr. 90 November 2002
DVA-Gastprofessur am Städtebau-Institut:
Architektur mit Spaßfaktor
 

„Die Stuttgarter Schule ist viel gerühmt, doch ein wenig gehört ihr der Staub abgeschüttelt“, glaubt Professor Franz Pesch, bis Ende September dieses Jahres Dekan der Fakultät Architektur und Stadtplanung. Daher lud er im Sommersemester einen Gastprofessor an das Städtebau-Institut, der in der Szene für frischen Wind bekannt ist: den französischen Architekten Georges Heintz. Im Juni stellte Heintz seine Ideen bei einem Festvortrag in der Stuttgarter Stadtbücherei einem breiteren Publikum vor.

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„Kürfiguren“ lautete der Titel der von eindrucksvollen Dias untermalten Präsentation, und der Name war Programm. Wie im Sport die Kür gegenüber der Pflicht den kreativen Teil darstellt, so versteht auch Heintz unter „Kür“ Bauwerke, bei denen die Fantasie ihren freien Lauf nehmen kann. Der 43-jährige Professor an der renommierten Ecole d’Architecture de Strasbourg, der seine Lehrjahre in den Niederlanden verbracht und zahlreiche internationale Wettbewerbe gewonnen hat, steht für einen prägnanten Architekturstil voller Leben, Witz und Magie. Dabei gehören die Bauvorhaben, die er mit seinen fünf Mitarbeitern angeht, eher zu den schwer verdaulichen Aufgaben des Metiers: Einkaufszentren, Straßenknoten, Schnellbahnhöfe oder Industriegebäude.

Heintz löst sie, indem er vertraute Architekturelemente wie Türme und Riegel überraschend neu kombiniert oder die bekannte Formensprache gänzlich verlässt. Beim Umbau einer Feuerwehrkaserne 
etwa bekam die Rettungshauptwache die Form einer Mondsichel. Bürohochhäuser werden mit jedem Stockwerk nach oben breiter und wachsen förmlich in den Himmel. „Manchmal muss Architektur einfach Spaß machen“, kommentierte der Professor den augenzwinkernden Umgang mit den gemeinhin eher nüchternen Zweckbauten.

Farben wie Buntstifte
Zu dieser Architektur mit Spaßfaktor gehört auch der unbefangene Umgang mit Material und Farbe. Metall wird in so genannten Tricotdecken zu transparenten Quadraten verschweißt, eine Industriehalle lockern Farbstreifen wie aus dem Buntstiftkasten auf. Und für das Tourismusmuseum der norditalienischen Stadt Meran wählte Heintz eine ungewöhnliche „Zickzack-Fassade“, bei der nach vorne riesige Glasflächen dafür sorgen, dass der Kubus im Dämmerlicht wie eine Lampe in die Landschaft strahlt. Für die Gebäuderückseite dagegen wurde bronzefarbener, strukturierter Stahl gewählt, ein Material, dessen Charakter mit der Bergwelt korrespondiert, die sich hinter dem Museum erhebt.
Vielfach versucht Heintz, die umgebende Natur unmittelbar in den Baukomplex zu integrieren. So wurde ein riesiges Areal der französischen Supermarktkette Auchan mit viel Grün so aufgelockert, dass das scheinbar Unmögliche gelang und der von logistischen und kommerziellen Anforderungen geprägte Komplex ein menschliches Gesicht bekam. Bei dem im Jahr 2000 errichteten Konzert- und Theatergebäude „Les Tanzmatten“ im elsässischen Sélestat überspannt ein langgezogener Gebäuderiegel das Flüsschen Ill, über die Fassade aus rostig anmutendem Metall plätschern feine Rinnsale. Die Umsetzung solcher Bauprinzipien kann manchmal allerdings unerwartete Wendungen nehmen: Inzwischen wurde der Fluss begradigt, sodass die Tanzmatten im Trockenen liegen.

Sparen fördert die Kreativität
Auch sonst haben französische Architekten mit Schwierigkeiten zu kämpfen, von denen ihre deutschen Kollegen kaum ahnen, berichtete Heintz. In Frankreich stehen für Baumaßnahmen deutlich weniger Mittel zur Verfügung als hierzulande. „Das Budget, das Sie für eine Schule haben, muss bei uns für zwei reichen.“ Bei der Auswahl von Konstruktionsprinzipien und Materialien müssen die Franzosen daher sparsam und findig sein - und das fördert die Kreativität.
Von diesem Ideenreichtum profitieren auch die Stuttgarter Architekturstudenten. Schließlich war die Gastprofessur von Heintz kein persönliches Forschungssemester, sondern stellte die Lehre in den Mittelpunkt.

Gefördert wurde der Aufenthalt von der Stiftung der Deutschen Verlagsanstalt (DVA), die sich der Vertiefung der deutsch-französischen Beziehungen in den Bereichen Wissenschaft, Kultur und Literatur widmet und seit 1989 eine Gastprofessur für französische Wissenschaftler an der Uni Stuttgart unterhält. Heintz ist der 14. Professor auf dieser Stelle, an der neben dem Städtebau-Institut auch die Bereiche Geschichte, Romanistik, Politikwissenschaft und Philosophie beteiligt sind. „Durch die Lehrveranstaltungen bekommen Stuttgarter Studierende die Chance, in das authentische Denken französischer Wissenschaftler einzudringen“, meinte DVA-Geschäftsführer Horst Frank anlässlich der Veranstaltung in der Stadtbücherei.

Damit diese Impulse auch nach außen dringen, stellt die DVA pro Institut und Jahr 2000 Euro für solche Vorträge zu Verfügung, die einem breiteren Publikum in lockerer Atmosphäre Gelegenheit zur Diskussion mit den Wissenschaftlern geben. „Damit“, freute sich Nathalie Parent, die den wissenschaftlichen Austausch zwischen der Uni Stuttgart und Frankreich koordiniert, „holen wir die Forschung aus dem Elfenbeinturm.“

Andrea Mayer-Grenu

 


last change: 25.11.02 / gh
Pressestelle der Universität Stuttgart

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